„Bodenständig, ehrlich, echt“

Kulturgeschichte Der Tscheche Jaroslav Rudiš erzählt in seinem literarischen Reiseführer „Gebrauchsanweisung für Bier“ wunderbare Geschichten. Die Pflugbrauerei Hörvelsingen rühmt er auch.

Wenn ein tschechischer Schriftsteller ein Buch über Bier schreibt, beginnt er natürlich mit dem Pilsener Urquell, dessen Geschichte aber auf einen bayerischen Braumeister namens Joseph Groll zurückgeht, der aus Vilshofen an der Donau gekommen war und 1842 seinen ersten Sud angesetzt hatte. Sehr völkerverständigend, dieses flüssige Gold. Jaroslav Rudiš aber hat sein erstes Bier trotzdem in Turnov, im Böhmischen Paradies, getrunken, etwa 50 Minuten nach seiner Geburt am 8. Juni 1972. Also indirekt, über die Muttermilch.

Es war vermutlich ein Bier aus der Brauerei in Rohozec, der Mutter verabreicht vom Chefarzt persönlich, zur Stärkung, als Heiligtum, ja als Sakrament, wie Rudiš erzählt. „Ein Bier als erste medizinische Hilfe böhmischer Art, um die Milchbildung anzuregen.“

Kein Wunder, dass Rudiš weiß, wovon er schreibt. Er hat in seinen 52 Jahren dann nicht nur Romane („Winterbergs letzte Reise“, nominiert für den Leipziger Buchpreis) und Theaterstücke verfasst, sondern als „Eisenbahnmensch“ halb Europa befahren – und als „Biermensch“, was offenbar unmittelbar zusammengehört, die unterschiedlichsten Biere an außergewöhnlichen Orten getrunken: von Altbier bis Zwickel, Rauchbier, Kölsch, Guinness, Lager, Weißbier, Märzen bis Pils. Und was noch alles. Davon schreibt er sehr süffig, so unterhaltsam, humorvoll wie informativ, mit vielen Anekdoten in der beliebten Reihe des Piper-Verlags: „Gebrauchsanweisung für Bier“ ist ein literarischer Reiseführer. Und was hat das jetzt mit Hörvelsingen zu tun?

Eine Brauerei wie Kafkas Schloss

Dort stellte Rudiš am Sonntagnachmittag in der Pflugbrauererei auf Einladung des Langenauer Buchhändlers Thomas Mahr, mit dem er freundschaftlich verbunden ist, diesen Bestseller vor. Gewissermaßen an einem Originalschauplatz. Denn in Rudiš Kulturgeschichte des Bieres findet sich auf Seite 226/227 auch die Pflugbrauerei erwähnt. Der Autor hatte Freunde in München besucht, mit ihnen im Hofbräuhaus und andernorts gezecht, auch in Andechs stemmten sie eine Maß und in der Staatsbrauerei Weihenstephan hoch über Freising. Und dann wollte der Jaroslav seinen Kumpels in der sehr weiten Umgebung noch Hörvelsingen zeigen, einen „echten Geheimtipp“.

Und so erinnert er sich, wie er zum ersten Mal mit einem Freund im tiefsten Winter dorthin gekommen war, im Schneesturm. Spät war es damals gewesen, nach einer Lesung wollte Thomas Mahr mit dem Autor in der Pflugbrauerei einkehren. „Wir sahen die Lichter aus der Ferne, und dann sind sie wieder verschwunden. Alles eine einzige Täuschung. Wir mussten an Kafka und an den Landvermesser K. denken. Wir waren erschöpft und konnten nicht mehr weiter, und dann waren wir plötzlich da, in dieser alten Brauerei, die tatsächlich aussieht wie das Dorfschloss in dem Romanfragment ,Das Schloss‘ von Kafka.“

Aber dann sei ihnen in der warmen Stube ein Bier serviert worden, „und es war eines der besten Biere, das ich je getrunken habe. Bodenständig, ehrlich, echt.“ Das nennt man einen Ritterschlag! Prost!

Jetzt am Sonntag war ordentliches Herbstwetter in Hörvelsingen angesagt, und Rudiš las in der Gaststube der Pflugbrauerei vor einem gewiss bierseligen und sachkundigen und begeisterten Publikum mit seinem böhmisch gefärbten Deutsch aus seiner „Gebrauchsanweisung“ vor. Ein Glas Wasser mit obenauf schwimmender Zitronenscheibe auf dem Tisch vor dem Mikro? Schon kam Brauer Georg Walcher auf die Bühne und brachte Frischgezapftes mit: Spezial naturtrüb, dunkles Kellerbier und ein Hefeweizen. Rudiš griff zum Dunklen, rührte mit einem Finger im dicken Schaum und schmierte ihn sich ins Haar: „böhmische Biertaufe“. Sei gut für die Gesundheit. Ja, das könne er bestätigen, konterte der eher glatzköpfige Walcher. Riesengelächter. Und der Musikverein Langenau spielte neben dem Lesepult fröhlich-zünftig, gekonnt stimmungsvoll Volksmusik.

Das erste Bier – und Franz Kafkas letztes Bier im Sanatorium. Erinnerungen an den Schriftsteller Bohumil Hrabel, ein Besuch in Budweis oder am Würstelstand am Südtiroler Platz vor dem Wiener Hauptbahnhof. Sehr menschlich-herzliche Episoden. „Bier und Humor kann man kaum trennen“, konstatierte der Tscheche. „Die besten Geschichten findet man im Wirtshaus“, berichtete der trinkfeste Schriftsteller Rudiš aus eigener Erfahrung. Stimmt, so war das am Sonntag in der Pflugbrauerei in Hörvelsingen.

Tanz der Langwellen in der Klangwiese

Stadthaus Radio free FM präsentiert die Live-Uraufführung des Radiostücks „Drift“ des Duos Kreysing/Emerge.

Bisweilen geben die Ankündigungen von Veranstaltungen genau das wieder, was man dann live letztendlich auch erleben darf. So kündigte Radio free FM in der „RR Reihe Radiostücke“ den Abend des Duos Kreysing/Emerge im Stadthaus so an: „Kurzwellenfragmente treiben durch instabile Frequenzen und verdichten sich zu unerwarteten Narrativen. Zwischen Field-Recordings, Radiokulturen, Noisescapes und zeitgenössischer elektronischer Musik entfaltet sich eine akustische Hybridwelt um Improvisation und Komposition, Lauschen und Rauschen, Melodie und Störung.“ Das trifft doch ziemlich gut, was bei der im Rahmen der Sonder-Livesendung entartet hybrid im Radio und im Saal zu erleben war. 

Seit dem Sendestart im Sommer 1995 versteht sich entartet als Platz für experimentelle und randständige Musiken, für Zwischenräume und Nischen. In diesem Jahr feiert die Sendung, die von Christian Clement, dem einstigen Macher der legendären Roxy-Materialausgabe, und Ex-Sauschdall-Macher Florian Wieland redaktionell so ambitioniert wie am ersten Tag produziert wird, gemeinsam mit Radio free FM das 30-jährige Jubiläum.

Im Rahmen der vier Live-Uraufführungen war nun in einem kleinen Kreis der Freunde des Musikexperiments das Duo zu erleben und dies tatsächlich in der Mitte des Saals. 

In der Auftragsarbeit „Drift“ warteten auf Anja Kreysing und Sascha Stadlmeier aka Emerge besondere Herausforderungen, denn oftmals sind ihre Klangentwicklungen und die live gemachte Geräuschmusik in visuelle Performances und Stücke eingebunden. Es ging darum, starke Bilder für das Programmkino im Kopf der Zuhörer zu malen. Dafür nutzte Anja Kreysing neben einem Rechner und etwas Elektronik vor allem ihr Akkordeon. Dagegen saß der Augsburger Klangkünstler Emerge auf dem Boden vor einem ganzen Arsenal von Effektgeräten.

Am Ende der knappen Stunde füllte wie nach Fahrplan ein kollabierendes Industriegewaber den Saal, eine sich kumulierende Kakophonie der Geräusche, munter tanzende Sinuswellen und geschredderten Sounds. 
 


Am Sonntag, 16. November, kann man in der RR Reihe Radiostücke im Stadthaus Ulm Nika Son & Pose Dia mit ihrer Auftragsarbeit „Areal“ live erleben und wie immer auch bei Radio free FM.

Statt 1,5 Millionen nur eine halbe

Ulmer Münster 650 Jahre Grundsteinlegung: Stadt muss sparen und kürzt das Budget für das Jubiläum 2027 drastisch.

Noch vor acht Monaten, im März 2025, hatte der Kulturausschuss des Gemeinderats 1,5 Millionen Euro für das Jubiläum der Grundsteinlegung des Münsters bereitgestellt. Denn im Sommer 2027 werden 650 Jahre Grundsteinlegung gefeiert. Jetzt stimmte der Kulturausschuss einstimmig dafür, die Ausgaben auf ein Drittel zu reduzieren. Aus 1,5 Millionen Euro werden 500.000 Euro, die die Stadt dem Programm widmet.

Einen „kleinen Schmerz“ nannte Kulturbürgermeisterin Iris Mann die Veränderung. Doch im Angesicht der gegenwärtigen Finanzlage gab es keinerlei Kritik von Seiten des Kulturausschusses zu den Einsparungen. Die Fraktionen sind von den entsprechenden Veränderungen im Programm überzeugt. Einstimmig beschlossen sie die Kürzung und drückten ihre Wertschätzung für die Planung der Kulturverwaltung sowie die Zusammenarbeit mit der Münstergemeinde und dem Münsterbauverein aus.

An welcher Stelle werden die Mittel gekürzt? Das sogenannte „Highlight-Event“ ist dem Rotstift zum Oper gefallen: keine Lasershow auf das Münster mehr. Auf diese Weise werden 400.000 Euro eingespart. Aus einem größeren Symposium soll ein Bildungstag werden. Und auch bei dem Programmpunkt Konzerte steht derzeit eine Null.

Zusätzliche Gelder von Stiftung

Doch ohne Musik wird das Jubiläum nicht bleiben. Denn die Stadt bestreitet den Festakt nicht alleine. Münsterdekan Torsten Krannich stellte das geplante Programm der Münstergemeinde vor: Orgel- und Chorkonzerte, philharmonisches Orchester und Mendelssohn sind die Schlagworte. Auch der Landesposaunentag findet just an den Tagen vor dem Jubiläum statt.

Insgesamt 500.000 Euro kommen direkt aus dem Haushalt der Stadt Ulm. 163.000 Euro sind als sogenannte Drittmittel eingeplant und müssen extern eingeworben werden, zum Beispiel durch die Baden-Württemberg-Stiftung. Unter anderem bei einem Zeitkapsel-Wettbewerb für Schulklassen hofft die Kulturabteilung Ulm auf eine Finanzierung durch die Stiftung.

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