„Ich bin nicht geistig behindert“

  • Sebastian Kollmann leidet an einer infantilen Cerebralparese, weswegen ihn viele Menschen für geistig behindert halten. Diese Vorurteile möchte er mit seiner Musik bekämpfen. Foto: Volkmar Könneke
  • Mithilfe von unterstützter Kommunikation kann Kollmann sprechen. Seine Gedanken tippt er in sein Tablet, welche dieses dann laut vorliest. Foto: Volkmar Könneke

Inklusion Auf der Straße wird Sebastian Kollmann wie ein Aussätziger angeguckt. Der 24-Jährige, der bei der Lebenshilfe Donau-Iller arbeitet, leidet an einer Cerebralparese.

Auf der Straße wird er angeschaut wie ein Alien. So schreibt es Sebastian Kollmann in einem seiner Lieder. Die meisten Menschen denken, er sei geistig behindert. Das merkt der 24-Jährige, wenn mit ihm wie „mit einem kleinen Kind“ geredet wird. Nur selten werde ihm auf Augenhöhe begegnet. An das schlechte Gefühl, das ihn in solchen Situationen überfällt, könne sich kein Mensch gewöhnen. Das ist Kollmanns Alltag. Dass er für geistig behindert gehalten wird, ist seinem äußeren Erscheinungsbild geschuldet.

Der junge Mann arbeitet bei der Lebenshilfe Donau-Iller. Zuständig ist er für Scanning, Bearbeitung und elektronische Archivierung von physischen Bildern. Seit seiner Geburt leidet er an einer infantilen Cerebralparese. Seine Krankheit kann Kollmann mit einem Satz beschreiben: „Ich bin gefangen in meinem Körper.“ Kollmann leidet unter unkontrollierter Muskelanspannung und starken Gelenkfehlstellungen und sitzt im Rollstuhl. Das Sprechen mit der eigenen Stimme ist ihm nur sehr eingeschränkt möglich.

Unterstützte Kommunikation

Davon lasse er sich jedoch nicht aufhalten. Mit anderen unterhält er sich über unterstützte Kommunikation. In Kollmanns Fall heißt das, dass er mit dem Zeigefinger auf seinem Tablet Buchstabe für Buchstabe tippt, was er sagen möchte. Hat er seinen Gedanken ausgeschrieben, spricht für ihn eine etwas metallisch klingende Computerstimme. Für einen Satz braucht Kollmann deutlich länger als die meisten Menschen. Wenn es geht, antwortet er mit Ja oder Nein. Dafür braucht er nicht seinen Computer, das kann er mit eigenen Lauten. Manchmal hebt er auch seinen Daumen oder schüttelt energisch seinen Kopf. Findet er etwas witzig oder freut sich über Sachen, beispielsweise seinen Lieblingsverein FC Bayern München, verzieht er freudig das Gesicht, er schüttelt den Kopf und seine Augen leuchten auf.

Spricht man mit Kollmann, lernt man schnell, wie er kommuniziert. Die eigenen Fragen formuliert man um, sodass mit Ja und Nein geantwortet werden kann. Beim Antworten beschränkt er sich auf das Nötigste, hält inne und überlegt, bevor er lostippt. Seine Antworten sind präzise.

Mit der unterstützen Kommunikation könne man sehr viel erreichen. Stolz berichtet Kollmann von Kathrin Klapper, eine Bekannte und sein Vorbild. Die 40-Jährige leidet ebenfalls an einer infantilen Cerebralparese. Trotzdem lebt sie selbstbestimmt, ist verheiratet und Dozentin an der Uni Köln. Ihre Doktorarbeit hat sie mithilfe der unterstützten Kommunikation geschrieben. Was sie erreicht hat, möchte der 24-Jährige auch schaffen.

Trotz der Freiheit, die ihm die unterstützte Kommunikation gegeben hat, leidet er weiterhin unter Ausgrenzung. In seiner Musik, die er mithilfe künstlicher Intelligenz produziert und auf YouTube veröffentlicht, verarbeitet er seine Erfahrungen. In seinem Lied „Ich bin mehr als du siehst“ erzählt er zum Beispiel, wie es ist, ständig vorschnell in Schubladen gesteckt zu werden.

Nicht wie Alien anschauen

„Auf der Straße gucken sie, als wäre ich verloren. Sie denken, ich wäre dumm“, heißt es im Text. Viele Menschen urteilten zu schnell und stempelten ihn und andere auf den ersten Blick als geistig behindert ab. Viele kämen erst gar nicht mit ihm ins Gespräch. Kommt es doch zu einer Unterhaltung, gebe es viele Menschen, die nicht geduldig genug seien, zu warten, bis er seine Antwort getippt habe. Dann fehle ihm oftmals die Chance zu beweisen, dass er fit im Kopf sei. Das stört ihn. „Ich bin nicht geistig behindert“, schreibt er immer wieder in seinen Texten.

Der 24-Jährige will etwas verändern und sich für mehr Bewusstsein für eingeschränkte Menschen einsetzen: „Respekt ist das, was ich fordere, kein Mitleid“. Menschen wie er sollten auf der Straße nicht wie Aliens angeschaut werden.

Deshalb ist Kollmann auch Referent für unterstützte Kommunikation. In Vorträgen und auf Seminaren spricht er über den Computer an seiner Seite: „Mit meinen Erfahrungen möchte ich anderen unterstützt sprechenden Menschen und deren Bezugspersonen helfen.“ Langfristig möchte er professioneller Musik produzieren – so könne er in Zukunft vielleicht mehr Menschen erreichen. Seine Botschaft: „Sprich uns doch mal an!“

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