Pfullingen Gläserne Produktion mit „Wellness-Melken“ im Milchviehbetrieb: Am Sonntag findet das Kreiserntedankfest auf dem Finkhof der Familie Fritz statt.
Da stehen Kühe vor ihrem „Astronauten“ freiwillig und gesittet Schlange. Ein Kamerasystem und Laserstrahlen ermitteln die Position der Zitzen. Und dann lassen sich die Tiere genüsslich melken; ist doch die Apparatur wohltemperiert und schont den Euter. Wer das nicht kennt – oder nicht glauben will, kommt am Sonntag zur Familie Fritz auf den Finkhof nahe Pfullingen zum Erntedank und zur Gläsernen Produktion. Wer Abtanzen will zu heißen Beats mit DJ Oeler kann das am Samstag ab 19 Uhr tun.
Im Beisein von Gebhard Aierstock, dem Vorsitzenden des Kreisbauernverbands, stellten die Milchbauern bei einem Medientreff das Programm und ihren Hof vor. Mit von der Partie waren auch Elke Weidinger, sie ist die Leiterin des Kreis-Landwirtschaftsamts, sowie Pia Münch, die Vorsitzende der Landfrauen im Kreis Reutlingen. Der Spaziergang begann mit einer Stippvisite bei den glücklichen Rindviechern, die, wenn sie denn reden könnten, voll des Lobes wären über das von Künstlicher Intelligenz (KI) gesteuerte Wellness-Melken.
High-Tech im Kuhstall: Der Roboter „Lely Astronaut“ sorgt für das „Prinzip des freien Kuhverkehrs“. Die Tiere können selbst entscheiden, wann sie gemolken werden wollen. Das System erkennt die Kuh an ihrem Responder, eine Technik, auf die auch Segelflieger und Düsen-Jets setzen. Ein Laser, oder eine 3D-Kamera, finden die Position der Zitzen, um das Melkzeug präzise anzubringen. Danach werden die Zitzen mit einem Euterpflegeprodukt besprüht.
In den Genuss dieser Prozedur, bei der mittels kleiner Bürsten auch die Milchbildung stimuliert wird, gewissermaßen für die nächste Runde, kommen auf dem Finkhof um die 130 Kühe. Die jungen Bullen mästen sie in ihrem Zweitbetrieb in Metzingen-Neuhausen, danach werden sie Fleisch und Wurst. „Es ist wichtig, dass es solche Betriebe gibt, die innovativ sind – und damit auch bleiben“, sagt der Bauern-Funktionär Gebhard Aierstock.
Denn sehr viele Milchbauern in Deutschland haben längst aufgegeben. Heute sind es noch etwa 49.000 Milchvieh-Betriebe, zur Jahrhundertwende waren es um die 152.000. Die Großeltern von Siegrun Fritz, geborene Fink, daher der Name, siedelten sich 1960 auf dem Hof nahe Pfullingen an, „Zuvor war meine Familie mit ihrem Hof nahe des heutigen Pfullinger Hallenbads“, so Siegrun Fritz.
Dialog und Transparenz
Elke Weidinger vom Landwirtschaftsamt freut es, dass es Veranstaltungen wie die Gläserne Produktion gibt, „das ermöglicht Einblicke, die Landwirte stehen Rede und Antwort“. Verbraucher sollten die Chance nutzen, am Sonntag mit dabei zu sein, wenn die Familie Fritz zum Kreiserntedankfest Am Langwaid 2, so die Adresse, ihre Türen und Tore öffnet. Der Tag beginnt mit einem Gottesdienst um 10.30 Uhr, begleitet vom Pfullinger Posaunenchor.
Dialog und Transparenz, Tradition und Moderne: Ein zentrales Anliegen der Veranstaltung ist der Dialog zwischen Verbrauchern und Landwirten. Und es ist kein Scherz, sondern befremdliche Realität: Auch in kleineren Städten in der Nähe von landwirtschaftlichen Betrieben gibt es Kinder, die noch nie eine Kuh gesehen haben. Regelmäßig bieten die Fritz‘ Kindern Besichtigungen an. Besucherinnen und Besucher erhalten am Sonntag ebenfalls Einblicke in die tägliche Arbeit auf dem Hof und erfahren, wie moderne Landwirtschaft und regionale Lebensmittelproduktion heute aussehen.
Kühe produzieren jede Menge Gülle und Mist. „Das kommt in unsere Biogas-Anlage, die produziert Energie für 100 Haushalte“, erläutert Philip Fritz. Der Strom wird auch verkauft. Allein die Abwärme reicht, um den kompletten Betrieb mit Wärme zu versorgen. Grundidee war die Geruchsminimierung bei der Gülleausbringung in Stadtnähe, die Reduktion von Mineraldünger im Betrieb und die bessere Verwertung von Gülle und Mist, erklärt Philips Vater Thomas. Bereits im Sommer 2016 ging die Anlage ans Netz.