Prozess Ein Familienvater schüttelt seinen Sohn aus Wut und Überforderung, sodass dieser massive Hirnschädigungen erleidet. Jetzt muss er sich dafür verantworten.
Ein 57-jähriger Familienvater aus dem nördlichen Altkreis musste sich vor dem Schöffengericht Crailsheim wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen verantworten. Der Einzelhandelskaufmann ist Vater von sieben Kindern, zuletzt wurden im Januar 2023 Zwillinge geboren – ein Junge und ein Mädchen.
Baby in Lebensgefahr
Laut Anklage soll der Mann zwischen März und Anfang Juli 2023 seinen Sohn mehrfach heftig geschüttelt haben, weil er überfordert und wütend war. Dabei habe er das Kind mit beiden Armen gepackt und mit erheblicher Kraft hin- und herbewegt. Das Baby erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma mit Einblutungen und massivem Hirndruck. Eine Operation im Juli 2023 war lebensrettend, da Hirnstrukturen bereits eingeklemmt waren. Vor Gericht zeigte sich der Angeklagte geständig. Er habe bei der Polizei umfassend ausgesagt: „Ich weiß, dass man ein Kind nicht schütteln darf. Ich wollte nur helfen, aber ich habe falsch reagiert.“ Seitdem befindet er sich in psychologischer Behandlung.
Er schilderte, dass er und seine Frau nach fünf Kindern nochmals Nachwuchs wollten. Nach der überraschenden Zwillingsschwangerschaft sei seine Frau stark belastet gewesen. „Ich war überfordert, der Junge ließ sich kaum beruhigen. Danach hatte ich sofort ein schlechtes Gewissen.“ Nach eigenen Angaben kam es vier- bis sechsmal zu solchen Vorfällen.
Während dieser Zeit habe sich die Ehefrau ein Bein gebrochen und war im Krankenhaus. Als sich der Gesundheitszustand des Säuglings verschlechterte, suchte der Vater ärztliche Hilfe. Das Kind kam in die Uniklinik Würzburg, wo daraufhin auch die Zwillingsschwester untersucht wurde.
Nach der Reha der Mutter lebte die Familie zeitweise getrennt. Die Zwillinge wurden später unter Auflagen wieder aufgenommen, doch im Dezember 2023 kam es erneut zu einer Hirnblutung. „Nach der Operation habe ich ihn nicht mehr geschüttelt“, betonte der Vater. Nach dem Vorfall kamen die Zwillinge in Pflegefamilien, durften aber im Mai 2024 wieder heimkehren. Das Jugendamt stellte den Eheleuten eine Familienhilfe zur Seite, sah jedoch weiterhin ein Risiko und nahm den Jungen erneut kurzzeitig aus der Familie. Heute leben alle Kinder wieder bei der Mutter; der Vater darf seinen Sohn nur unter Aufsicht sehen.
Den Ermittlern zufolge begannen die Untersuchungen nach einer Anzeige der Rechtsmedizinerin Dr. Müller aus Ulm. Hinweise auf weitere Gewalttätigkeiten habe es nicht gegeben, Spannungen zwischen den Eltern aber durchaus. Bei der zweiten Blutung im Dezember konnte ein erneutes Schütteln nicht nachgewiesen werden.
Überraschende Wendung
Mit den Zeugenaussagen nahm der Fall eine Wendung. Eine Mitarbeiterin der Familienhilfe, die regelmäßig im Haushalt unterstützte, schilderte ein deutlich anderes Bild: Als sie die Familie zum ersten Mal besuchte, sei der Vater allein mit fünf Kindern gewesen, während die Zwillinge bei der Mutter waren. „Das Zusammenarbeiten mit ihm war harmonisch und ruhig.“ Erst als die Mutter mit den Zwillingen zurückkehrte, habe sich die Atmosphäre verändert. „Die Mutter war aggressiv mir gegenüber und sehr impulsiv, der Vater dagegen ruhig und besonnen.“
Die Zeugin berichtete von mehreren beunruhigenden Vorfällen. Bei einem Spaziergang habe sich die Zwillingstochter nicht beruhigen lassen. „Die Mutter hob sie aus dem Wagen und ließ sie aus etwa 20 Zentimetern Höhe wieder hineinfallen.“ In einem anderen Fall habe der Zwillingsbruder im Haus geschrien, woraufhin die Helferin ihn aus dem Wagen nahm. „Die Mutter rastete aus, schleuderte den Kinderwagen gegen die Wand und schrie mich an.“ Ein weiteres Mal habe die Tochter gespuckt, woraufhin die Frau lautstark ausgerastet sei, als ihr Mann eingreifen wollte.
Der Würzburger Neurochirurg Prof. Dr. Schweitzer beschrieb den Zustand des Kindes bei der Aufnahme als lebensbedrohlich: „Das Kind war apathisch, hatte erbrochen und einen steigenden Hirndruck. Wir mussten sofort operieren.“ Der Kleine habe sich von der Operation gut erholt, Langzeitfolgen seien aber nicht ausgeschlossen.
Typisches Schütteltrauma
Rechtsmedizinerin Müller bestätigte das typische Bild eines Schütteltraumas: massive Netzhauteinblutungen, Schwellungen und Hirnverletzungen. „Jedes fünfte betroffene Kind stirbt, nur etwa 20 Prozent überstehen es ohne Folgeschäden.“
Der Kinderarzt der Zwillinge erklärte, der Junge sei heute altersgerecht entwickelt und zeige keine Auffälligkeiten. Auch das Verhältnis zu den Eltern sei unauffällig.
Richterin Dorothea Keck stellte während der Verhandlung die Frage, ob der Angeklagte womöglich seine Frau schütze. „In den Akten gibt es Hinweise auf ihr aggressives Verhalten“, so Keck. „Nehmen Sie jemanden in Schutz oder waren Sie es tatsächlich?“ Doch der 57-Jährige blieb bei seiner Aussage: „Ich war es. Ich stehe dazu.“ Ein Eintrag im Führungszeugnis existiert nicht.
Die Staatsanwaltschaft forderte zwei Jahre Haft auf Bewährung. Der Angeklagte habe aus Überforderung gehandelt, jedoch Verantwortung übernommen, Reue gezeigt und sich freiwillig in Behandlung begeben. Für den Säugling habe Lebensgefahr bestanden, weshalb eine schwere Misshandlung vorliege.
Verteidiger Dennis Arendt aus Crailsheim plädierte auf einen minderschweren Fall und beantragte neun Monate Haft auf Bewährung. Sein Mandant sei überfordert gewesen, befinde sich in Therapie und sorge sich um seine Familie.
Das Schöffengericht verurteilte den 57-Jährigen schließlich zu einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung. Er muss seine Therapie fortsetzen, mit der Familienhilfe zusammenarbeiten und erhält einen Bewährungshelfer. „Ihr Sohn musste wegen Ihrer Taten zwei Bohrungen am Kopf überstehen“, sagte Richterin Keck in der Urteilsbegründung. „Sie wussten, dass Schütteln lebensgefährlich ist. Nach dem ersten Mal hätten Sie Hilfe suchen müssen.“
Gleichzeitig würdigte das Gericht, dass der Angeklagte Reue zeige, Verantwortung übernehme und alles für seine Familie tue. Wiederholungstaten seien nicht zu erwarten. „Offensichtlich war Ihnen das eine Lehre“, so Keck. „Trotzdem bleibt es eine gravierende Tat – Ihr Sohn war Ihnen schutzlos ausgeliefert.“