Kino für alle Generationen

Französische Filmtage Die 42. Ausgabe der frankophonen Filmschau öffnet sich auch in Tübingen verstärkt für Familien, von harmonisch bis chaotisch. Neu ist die Sektion CinEnfant (Kinderkino).

Mit zirka 50 Spiel- und Dokumentarfilmen sowie vier Kurzfilmprogrammen präsentieren sich die Filmtage 2025 erneut als eines der bundesweit größten französischsprachigen Festivals. Mehr als 20 internationale Gäste werden erwartet und versprechen spannende Begegnungen, und das nicht nur in Tübingen, sondern auch in Reutlingen, Rottenburg und Stuttgart, sagte Lisa Haußmann, die neue künstlerische Leiterin der Filmtage, am Donnerstag beim Festival-Vorausblick im SWR-Studio Tübingen.

Festivalgast Léonor Serraille ist die bisher jüngste Regisseurin, die eine Filmtage-Werkschau bespielt. Das Interesse der 39-jährigen Französin an Menschen ohne Plan, Job oder Wohnung in Filmen wie „Ari“ (der Stuttgarter Eröffnungsfilm) oder „Bonjour Paris“ dürfte derzeit nicht nur die Stimmungslage von Endzwanzigern einfangen.

Zum Auftakt in Tübingen und Reutlingen radeln in „À Bicyclette!“ (Auf dem Fahrrad!) zwei Kumpel vom Atlantik ans Schwarze Meer. Anlass ist ein familiärer Einschnitt, und alles beruht auf einer wahren Geschichte, wobei der Mix aus Dokufiktion und Tragikomödie sich geschmeidig zwischen den Genregrenzen bewegt. Die Chancen stehen gut, dass die beiden Protagonisten Mathias (Mathias Mlekuz, auch Regie) und Philippe (Philippe Rebbot) zur Tübinger Eröffnung anreisen (Kino Museum, Mittwoch, 29. Oktober, 19.30 Uhr), so Haußmann.

Neue Narrative

Die ausgewählten Filme sollen durch neue Narrative, mutige Themen oder ihre Machart über die Kinosäle hinauswirken. In zwei Beiträgen wird vor allem die Landschaft zur Protagonistin: in „Le Lac“ sowie im Historienfilm „L’Engloutie“. Dessen Regisseurin, Filmtage-Gast Louise Hémon, sei durch familiäre Recherchen zu ihrer Hauptfigur gelangt, einer Lehrerin, die Ende des 19. Jahrhunderts in einem abgelegenen Alpendorf eintrifft. Das komplizierte Thema sexueller Missbrauch greift „Cassandre“ aus der Sicht einer Jugendlichen auf. Im packenden Gerichtsdrama „On vous croit“ versucht eine Mutter (Festivalgast Myriem Akheddiou) verzweifelt, ihre beiden Kinder vor dem Vater in Sicherheit zu bringen.

Für das Cinéconcert mit René Clairs 1925 bahnbrechendem Stummfilm „Paris qui dort“ konnten die Filmtage die renommierten Klangkünstlerinnen Eunice Martins und Abril Padilla gewinnen. Die beiden sind seit Jahren ein gefragtes Duo, um Stummfilmen oder fantastischen Filmen noch mehr Atmosphäre zu verleihen (Kino Museum, Freitag, 30. Oktober, 20 Uhr).

Neu ist ein stark erweitertes Kinder- und Familienprogramm, das zusätzlich zum Schulkino angeboten wird. Bereits für Kinder ab 5 Jahre gibt es ein moderiertes und filmpädagogisch begleitetes Programm. Am Familienwochenende am Samstag, 1. November, und Sonntag, 2. November, gehört Kindern das Foyer des Kinos Museum mit Workshops, Spiel- und Bastelaktionen. „Damit sich bereits die jüngsten Kinogänger mit dem Ort vertraut machen“, so Haußmann. Denn von ihnen hänge die Zukunft des Kinos ab. Das Deutsch-Französische Jugendwerk machte das Sonderprogramm möglich.

Für Kinder und Erwachsene

Ein Animationsfilm wie „Planètes“, in dem vier Löwenzahnsamen durch den Weltraum schweben, richtet sich gleichermaßen an Kinder und Erwachsene. Weil er ohne Dialoge auskommt, sind beim Anschauen keine Französischkenntnisse erforderlich. Aus dem frankophonen Kanada kommt „La Petite et le vieux“ (Die Kleine und der Alte) über eine Zehnjährige, die in einem alten Nachbarn einen Verbündeten findet. Die filmische Zeitreise ins Quebec der 1980er-Jahre könnte ebenfalls alle Generationen ansprechen.

Im Polizeithriller „Indomptables“ (Unbezähmbare) aus Kamerun will Kommissar Billon (Thomas Ngijol, auch Regie) nicht einsehen, dass er mit seiner berufsbedingten Härte zum eigenen Sohn nicht durchdringt und sogar die Familie sprengen könnte. Im Spielfilm „Ma frère“ (Mein Bruder) müssen zwei beste Freundinnen in einem Ferienlager in Südfrankreich plötzlich Verantwortung übernehmen. Die jungen Hauptdarstellerinnen Fanta Kebe und Shirel Nataf sind Festivalgäste.

Der Fokus Afrika

Der Fokus Afrika setzt sich unter anderem mit dem Kolonialismuskritiker Frantz Fanon auseinander. Dani Kouyaté, einer der bedeutendsten Regisseure von Burkina Faso, bringt seine meisterliche Macbeth-Variante „Katanga, la danse des scorpions“ zu den Filmtagen. Der von einem nigerianischen Filmkollektiv produzierte Spielfilm „The Legend oft the Vagabond Queen of Lagos“ bezieht sich auf einen aktuellen Landnutzungskonflikt in der Millionenstadt.

Die vier Festivalstädte Tübingen, Reutlingen, Rottenburg und Stuttgart sollen enger zusammenwachsen und erstmals gemeinsam über den Publikumspreis in Höhe von 3000 Euro für ihren Filmtage-Favoriten entscheiden: „Alle Festivalbesucher an allen Festivalstandorten bilden die gemeinsame Jury“, so Haußmann.

Cohens Texte nach Hause bringen

Jiddisch Louisa Lyne interpretiert die Texte von Leonard Cohen auf Jiddisch. Bald spielt sie im franz.K.

Reutlingen. Seit 2012 macht die Schwedin Louisa Lyne gemeinsam mit ihrer „Yiddishe Kapelye“ Folk- und Popmusik auf Jiddisch – und erhielt dafür zahlreiche Auszeichnungen. Am 1. November von 20 Uhr an wird die Sängerin mit ihrer Band im franz.K in Reutlingen auftreten, um dort das aktuelle Programm zu spielen: Darin interpretieren Lyne und ihre jiddische Kapelle das Werk Cohens auf jiddischer Sprache.

Es ist sehr spezifisch, was Sie machen – wie kamen Sie auf die Idee für das Cohen-Projekt?

Louisa Lyne Im Jahr 2024 wäre Cohen 90 Jahre alt geworden, wenn er noch leben würde. Anlässlich seines Geburtstags wollten wir etwas tun, um seiner zu gedenken: Wir kamen auf die Idee, seine Texte „nach Hause zu bringen“.

Wie war Cohens Verhältnis zur jiddischen Sprache?

Leonard Cohens Poesie und Lieder sind tief in seinem jüdischen Erbe verwurzelt. Er wurde in einem jüdischen Elternhaus geboren, und ich glaube, seine Eltern sprachen etwas Jiddisch. Er selbst wollte das wohl nie aktiv sprechen, er sagte immer, dass Englisch seine Sprache ist. Später wurde er dann Buddhist – er war jemand, der ständig suchte, der immer mehr über andere Kulturen erfahren wollte. Ich glaube, er war ein sehr neugieriger und wundervoller Mensch. Wenn man seine Texte liest, spürt man, dass seine Wurzeln im Jiddischen und im Judentum liegen. Man merkt oft, dass das Teil seiner Erziehung war.

Wie wird das Projekt aufgenommen?

Das Publikum hat mit Wärme und Enthusiasmus auf „Cohen in Yiddish“ reagiert – diese Arbeit hat ein sehr großes Publikum gefunden. Cohen hat so viele Fans. Sie lieben „Suzanne“ und seine anderen Klassiker. Wir spielen auch diese Klassiker – aber wir verbinden sie mit Cohens Wurzeln. Da entsteht eine Vertrautheit: Man erkennt die Lieder wieder, aber sie haben eine neue Tiefe. Ich erzähle dem Publikum auch etwas über den Hintergrund – das öffnet vieles.

Haben Sie ein Lieblingswerk von Cohen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich liebe „Famous Blue Raincoat“ – es ist einfach so wunderschön geschrieben. Es ist ein Brief an einen Freund, in dem Cohen Liebe, Betrug und Vergebung thematisiert. Es ist ehrlich, klar, aber ohne Pathos. Ich liebe sowohl den Text als auch die Melodie. Aber er hat so vieles geschrieben, es ist schwer zu wählen. Cohen war ein Mensch, der immer relevant war. Seine Texte sind es bis heute.

Wie geht es bei Ihnen weiter?

Das ganze kommende Jahr über werden wir das Cohen-Projekt weiterführen – wir bringen es nach Kanada und treten dabei auch in seiner Heimatstadt Montreal auf. Hoffentlich werden wir im nächsten Jahr auch ein Album mit Cohen auf Jiddish herausbringen.

Auszeichnung des Landes fürs franz.K

Kultur Das Reutlinger Kulturzentrum franz.K wurde mit dem Popländ-Award des Landes ausgezeichnet.

Reutlingen. Der Popländ-Award Baden-Württemberg geht ans franz.K in der Kategorie Livemusik-Spielstätte. Die Auszeichnung ist ein neuer Landespreis des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Er wird 2025 erstmals verliehen und „würdigt Popmusik und Popkultur als eigenständige Kunst- und Ausdrucksform. Ziel ist es, die Vielfalt, Relevanz und das kreative Potenzial der Popkultur sichtbarer zu machen und gezielt zu fördern“, wie es in einer Presseerklärung dazu heißt.

Ausgezeichnet wird in drei Kategorien: Live-Act, Livemusik-Spielstätte und Producing. In der Kategorie mit dem franz.K an der Spitze stehen Musikclubs und Festivals im Fokus, die mit einem kuratierten Programm, innovativen Formaten oder experimentellen Ansätzen zur popkulturellen Infrastruktur ihrer Region beitragen.

„Für uns ist der Preis eine bedeutende Anerkennung unserer bisherigen Arbeit und eine Ermutigung, musikalische Vielfalt, kreative Experimente und kulturelle Teilhabe weiter konsequent umzusetzen“, heißt es weiter von der Reutlinger Spielstätte.

Die Auszeichnung mache deutlich, „dass wir als Spielstätte nicht nur lokal verankert, sondern auch landesweit relevant sind – mit einem Profil, das künstlerische Qualität und gesellschaftlichen Anspruch verbindet“.

Der Dank des franz.K geht an Künstler, Partner, Mitarbeiter, Ehrenamtliche und an das Publikum, „ohne deren Unterstützung diese Entwicklung nicht möglich gewesen wäre“. Die Verleihung des Popländ-Awards geht am 16. November in Mannheim über die Bühne.

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