Gedenken an Mutter und Bruder

  • Die vier Brüder Alvaro, Rodrigo, Eduardo und Enrico Blumenstock (von links) bei der Gedenkveranstaltung für Mutter und Bruder. Matthias Kessler
  • Rafael und seine Mutter María Dolores Blumenstock 1989 bei einem Konzert in Ilse's Ladenstüble. Ein Jahr spoäter wurde Rafael Blumenstock ermordet. Foto: Privat

Trauer Familie und Freunde der verstorbenen María Dolores Blumenstock haben im Haus der Begegnung musiziert und gelesen. Der 1990 ermordete Rafael Blumenstock hätte an diesem Tag Geburtstag gehabt.

Mama“, heißt das Lied, das der kleine Chor an diesem Abend im Haus der Begegnung in spanischer Sprache gesungen hat, musikalisch begleitet von Piano, Geige, Cello und Oboe. Der schlichte Titel drückt aus, worum es ging – das Gedenken an María Dolores Blumenstock, die im Alter von 89 Jahren am 7. Juni dieses Jahres verstarb und Mutter von fünf Söhnen war: Alvaro, Rodrigo, Eduardo, Enrico und Rafael.

Erzählungen aus der Kindheit

Vier von ihnen haben die Gedenkveranstaltung an die Sängerin und Gesangslehrerin zusammen mit guten Freunden auf die Beine gestellt. Auf dem Programm stand nicht nur Musik, es wurden auch Bilder gezeigt, die ihr zu Ehren gemalt wurden, wie etwa eins der Ulmer Künstlerin Ursula Busch. Und es wurden Erinnerungen von Freunden geteilt sowie aus den Memoiren von María Blumenstock vorgelesen. Diese Aufgabe übernahm Enrico Blumenstock, der Passagen aus ihrer Kindheit auswählte – heitere Erzählungen.

Dass die Gedenkveranstaltung im Haus der Begegnung (HdB) stattfand, war unvermeidlich. Denn zu diesem Ort, wie auch zur vh Ulm, hatten die Eltern Blumenstock zeit ihres Lebens eine enge Verbindung. „Sie haben hier gemeinsam Abende gestaltet“, sagte Enrico Blumenstock. Sein Vater sprach etwa über den Maler Francisco di Goya (1746 bis 1828), der nicht nur malte, sondern auch Lieder komponierte. „Diese hat meine Mutter dann vorgesungen.“

Auch der Gesangsunterricht habe im HdB stattgefunden. Seine Mutter sei hier vielen jungen Menschen begegnet und habe den Kontakt oft über die Zeit nach dem Unterricht hinaus gehalten. „Sie hat fast bis zum Schluss unterrichtet. Gesang war ihr Leben.“ Es sei ein Glück, dass sie bis zwei Tage vor ihrem Tod selbstständig war und ihre Passion leben konnte, so Enrico Blumenstock.

Umso mehr als im November 1990 der fünfte Sohn, Rafael Blumenstock, von Unbekannten grausam ermordet worden war und die Tat die gesamte Familie Blumenstock traumatisierte. Man fand den damals 28-Jährigen am frühen Morgen des 4. November auf dem Münsterplatz: Getötet mit 21 Messerstichen, malträtiert mit Tritten und verstümmeltem Gesicht – die Nase wurde ihm abgeschnitten. Bis heute hat man den oder die Täter nicht gefunden.

Eine neu gegründete Cold Case-Einheit beim Polizeipräsidium Ulm rollt den Fall wieder auf. Der zuständige Kriminalhauptkommissar Manuel Köhler setzt in diesem Zusammenhang auch auf die Hilfe durch die Medien. So war er im Juli bei Aktenzeichen XY, um den Fall vorzustellen. Der SWR sendet seit 16. Oktober einen mehrteiligen Podcast, die SÜDWEST PRESSE kooperiert mit dem Sender. María Blumenstock hat nicht nur unter dem Verlust ihres Sohnes gelitten, sondern auch unter den Diskussionen um das Gedenken in der Stadt an ihn. So dauerte es Jahrzehnte, bis die Stadt 2024 eine Stele mit der Gedenkplatte, die der Vater entworfen hatte, aufstellte. „Sie wollte nichts mehr davon wissen“, sagt Enrico Blumenstock. Sie habe das Okay zum Podcast des SWR, in dem alle Brüder zu Wort kommen, erst ganz zum Schluss gegeben. „Was die Sendung Aktenzeichen betrifft, so bin ich mir sicher, dass sie das nicht gewollt hätte.“

Der Abend im Haus der Begegnung war auch ein Gedenken an Rafael Blumenstock. Denn just an diesem 24. Oktober wäre er 63 Jahre alt geworden. Und deshalb zogen Familie und Freunde nach der Veranstaltung zur Stele am Münsterplatz und zündeten Kerzen für den Bruder an, der in der Familie Blumenstock seit nunmehr 35 Jahren fehlt.

Sie hat fast bis zum Schluss unterrichtet. Gesang war ihr Leben.

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