Fassungslos und machtlos

  • Das Pommes-Mobil des DGB war vor dem Cellforce-Gelände aufgestellt. Foto: Wolfgang Albers

Kirchentellinsfurt/Reutlingen Industriegebiet Mahden: Vor dem Cellforce-Gelände beklagten Gewerkschaftler und Bürgermeister das Aus für die Produktion vom Hochleistungs-Batterien.

Es war ein runder Tisch der Resignation. Der Fassungslosigkeit. Und auch manchmal nur mühsam unterdrückter Wut. Von Gewerkschaftlern und zwei Bürgermeistern. Sie standen gestern Mittag im interkommunalen Gewerbegebiet Mahden auf der Straße.

Wie, buchstäblich und auch bald im übertragenen Sinne, die Beschäftigten der Cellforce GmbH. Entlassen am 25. August in einer Hauruck-Aktion: In einer 23-minütigen Betriebsversammlung bekamen sie das Aus für die Produktion mitgeteilt, noch am Abend, so erzählt man, sollen Boten die schriftlichen Kündigungen in die Briefkästen gesteckt haben.

Rund 200 von 280 Beschäftigten soll es getroffen haben – so genau weiß das niemand. Und wie es weitergeht, auch niemand, zumindest nicht auf der Seite der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaft, der IG Metall. Und auch nicht OB Thomas Keck von Reutlingen und Kirchentellinfurts Bürgermeister Bernd Haug.

Auch sie waren gekommen zum Pommes-Mobil des DGB, das vor dem Cellforce-Gelände aufgestellt war. Keine klassische Kundgebung sei das, hatte die Gewerkschaft angekündigt. Was ganz passend war: Die Lage ist aus Arbeitnehmersicht zu desolat für kraftvolle Parolen.

„Die Firma ist ein Geisterhaus“

Dafür fehlte schon das Publikum – nur locker scharten sich ein paar Handvoll Beschäftigte um das Pommesmobil und den Tisch mit den Rednern. Kein Wunder: „Die Firma ist ein Geisterhaus, wo nur noch Verwaltung und Logistik gemacht werden“, sagt Patrick Wichary.

Vor drei Jahren kam der Fertigungsplaner aus Bietigheim, wo er eine Cellforce-Niederlassung mit aufgebaut hatte, nach Kirchentellinsfurt – überzeugt, einen krisensicheren, zukunftsträchtigen Job zu haben. „An der Spitze des technischen Fortschritts. Und mit einem starken Partner dahinter.“

Cellforce ist nämlich eine hundertprozentige Tochter der Porsche AG. Und sollte Energiespeicher der Spitzenklasse produzieren – Dinge, an denen sogar Tesla gescheitert war. Stattdessen muss Patrick Wichary nicht nur einen neuen Job suchen, sondern sich auf die Schnelle in ein neues Gebiet einarbeiten: Er ist der Betriebsratsvorsitzende.

Ein Betriebsrat ist erst nach den Kündigungen ins Amt gekommen – was dem Cellforce-Management das ganze Kündigen erheblich erleichtert. Zwar waren gestern auch der DGB-Landesvorsitzende Kai Burmeister und Harald Buck vom Porsche-Gesamtbetriebsrat gekommen. Aber außer Pommes hatten sie wenig anzubieten: „Wir können für euch nichts tun.“ Außer Patrick Wichary und seine Kollegen zu unterstützen. Die versuchen jetzt, weitere Informationen von der Geschäftsführung zu bekommen: Wen trifft es genau? Was ist mit den Restarbeiten? Denn das Betriebsgelände ist noch im Aufbau, die Baustelle muss ja gemanagt werden.

Aber es heißt, das sollen Fremdfirmen machen. „Bis jetzt haben wir noch keine Antworten“, sagt Patrick Wichary. „Wir haben keinen Zugriff auf das Unternehmen“, bedauert Kai Lamparter, Geschäftsführer der IG Metall Tübingen/Reutlingen.

Das kennt Harald Buck. Er hat sich bei den Porsche-Bossen über die Umstände der Kündigungen beschwert, er fordert höhere Abfindungen (bis jetzt 0,5 Monatsgehälter pro Betriebsjahr). „Wir sind auf taube Ohren gestoßen.“ Was bleibt, ist das Aufwachen in einer neuen Konzern-Welt: „Das ist eigentlich nicht Porsche-like“, sagt Kai Lamparter. „Alle sind erstaunt, dass dieser Konzern so durchgreift.“

Nicht nur erstaunt – sondern geradezu fassungslos sind Thomas Keck und Bernd Haug. Im schlimmsten Fall droht ihnen (gegenüber der einstigen Manz AG, wo die heruntergelassenen Jalousien von einem weiteren Niedergang künden) eine Industrie-Ruine. Und nichts ist mit der Hoffnung, einen Produzenten für Spitzentechnologie in ihren Kommunen zu haben, dessen gute Geschäfte auch ordentlich Gewerbesteuer abwerfen. „Natürlich sind wir darauf angewiesen“, sagt Thomas Keck.

Vor allem aber fühlen sie sich persönlich getäuscht und hintergangen. Im Sommer war Bernd Haug noch auf Betriebsbesichtigung, und da sei Cellforce-Geschäftsführer Markus Gräf geradezu euphorisch über die Zukunfts-Aussichten gewesen: „Es gab nicht einmal einen Hauch einer anderen Entwicklung.“ Jetzt, in den Arbeitsgerichtsprozessen, 60 Verfahren seien es, sei herausgekommen, sagt Kai Lamparter, dass Porsche schon im April den Daumen über Cellforce gesenkt habe.

Thomas Keck und Bernd Haug haben da nicht den Cellforce-Geschäftsführer im Blick („der wusste das wohl auch nicht“), sondern die Porsche-Eigner, die Familien Porsche und Piech. Für Thomas Keck ist das jedenfalls eine verhängnisvolle Entscheidung für den Industriestandort Deutschland: „Jetzt verliert man nach dem Technologie-Vorsprung in der Photovoltaik auch den in der Batterie-Fertigung an die Asiaten. Mir wird bange um die Zukunft.“ Das sei doch eine nationale Aufgabe, findet Bernd Haug: „So eine Zukunfts-Chance wird jetzt fallen gelassen – das kann doch nicht sein.“

Er, der sich gezielt um die Wirtschaft in seiner Gemeinde kümmert, der Demonstrationen gegen die Cellforce-Ansiedlung entgegengetreten ist, der sich mit Thomas Keck gegenüber dem Porsche-Management für das Kommen nach Kirchentellinsfurt verkämpft hat, ist hörbar verbittert: „Man wird hier stehen gelassen wie ein kleiner Konfirmand. Porsche macht immer noch Milliarden-Gewinne, und dann stößt man das ab. Warum haben die nicht den langen Atem, um das auszuprobieren? Wenn wir unser Geschäft so machen würden, wüsste ich nicht, wie wir das als Kommune hinbekämen. So darf es jedenfalls nicht enden.“

Jetzt verliert man nach der Photovoltaik auch den Vorsprung bei Batterien an die Asiaten. Thomas Keck Oberbürgermeister

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