Leben war „häufig wie ein Gewitter“

  • Faurndau, Stiftskirche: Im Dialog mit Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung Nürnberg (rechts) gab die Holocaustüberlebende Mina Gampel freimütig Einblick in ihr Leben. Foto: Giacinto Carlucci

Geschichte Die Holocaust-Überlebende Mina Gampel hat in Deutschland ihre Heimat gefunden. In der Stiftskirche Faurndau sprach sie über ihr bewegtes Leben.

Sie wollte nur für zwei Jahre nach Deutschland kommen, in den sechziger Jahren. Zwischenzeitlich sind es fast 60 Jahre, die sie hier lebt, hat hier ihre neue Heimat gefunden, nachdem sie zuvor bereits in mehreren Ländern gelebt hatte. Mina Gimpel war 1940 in der heute belarussischen Stadt Pinsk zur Welt gekommen, als jüngstes von acht Kindern. Ihrem Vater war nach dem Überfall von Nazi-Deutschland auf die damalige Sowjetunion sofort klar, dass die jüdische Familie das Land verlassen muss. Die abenteuerliche Flucht führte sie nach Kirgisistan. Drei Brüder überlebten die Strapazen nicht.

Am Sonntagnachmittag las die Holocaust-Überlebende auf Einladung des CVJM und der evangelischen Kirchengemeinde Faurndau in der Stiftskirche aus ihrem Buch „Meine Vier Leben: Weißrussland, Polen, Israel, Deutschland“ und freute sich über das große Interesse. Vor dem Altar waren zwei Sessel aufgebaut und im Dialog mit Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung Nürnberg gab die Stuttgarterin freimütig Einblick in ihr Leben. Das „häufig wie ein Gewitter war“, bei dem sie „nicht immer das Heft des Handelns in meinen Händen gehalten“ hatte. Und „nur sehr wenig bereut.“ In den vergangenen Jahrzehnten habe sie sich sehr intensiv mit dem Unrecht beschäftigt, das ihr und Millionen Menschen widerfahren war. Das, was sie dabei erfuhr und die Erzählungen innerhalb der Familie „übersteigen meine Vorstellungskraft. Die Grausamkeiten lassen mich manchmal nicht zur Ruhe kommen.“ Um nicht zu verzweifeln, habe sie sich ihre eigenen zehn Gebote gegeben. „Nicht aufgeben“, „nicht verbittert sein“, „Neues wagen“ oder „Alles mit Liebe machen“ haben ihr durch ihr stürmisches Leben geholfen. Und die Hoffnung darauf, „dass sich der gesunde Menschenverstand durchsetzt und dass Nationen und Religionen in Frieden zusammenleben.“

Halt im Leben und der Kunst

Mina Gampel wuchs in einem zwar bitterarmen, aber liebevollen Elternhaus auf. Nach Kriegsende durfte die Familie nicht nach Pinsk zurück, wurde vielmehr nach Stettin ausgesiedelt. „Das war die schönste Zeit meines Lebens.“ Wenn die Stadt auch nicht frei war von Antisemitismus. Die Familie wanderte nach Israel aus, sie heiratete früh, bekam drei Kinder und kam wieder nach Deutschland, weil ihr Bruder sie hier begleiten konnte. Die Ehe scheiterte. Halt fand sie nicht nur im Lesen, sondern auch in der Kunst. In späteren Jahren besuchte sie eine Kunstakademie, ist zwischenzeitlich eine anerkannte Künstlerin und unterrichtet selbst bis heute. Es ist insbesondere das jüdische Leben, das sie festhält, aber auch Blumen – „das Lächeln der Erde“ – oder bedeutende jüdische Persönlichkeiten, die Württemberg prägten.

Nach ihrem Vortrag, den der Stiftschor Faurndau unter Leitung von Christine Schurr und das „Duo Barrique“ (Thomas Reil, Klarinette und Siggi Köster, Akkordeon) feierlich musikalisch umrahmten, stellte sich Mina Gampel den Fragen des Publikums, das auch ihren Standpunkt zu aktuellen politischen Entwicklungen interessierte. Auf die Frage, ob sie Angst vor Antisemitismus habe, betonte sie, dass es hauptsächlich „der importierte Antisemitismus“ ist, der ihr Angst mache und wünscht sich hier entschiedenere Reaktionen der Bevölkerung. „Wie kommen Sie darüber hinweg, was Ihrer Familie angetan wurde?“ „Ich vergesse nicht, aber ich vergebe.“ Und: „Wir müssen miteinander reden, sonst kommen wir nicht weiter.“

Das „Genussstifter-Team“ hatte für ein leckeres Buffet gesorgt und so bestand auch nach den Vorträgen Gelegenheit, mit der Autorin und Künstlerin ins Gespräch zu kommen.

Die Grausamkeit aus Erzählungen in der Familie übersteigt meine Vorstellungskraft. Mina Grampel Holocaust-Überlebende

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