Den Freund erschossen
Geschichte Über ein Drama am Ammersee vor fast 100 Jahren berichtet der Ebersbacher Stadtarchivar Uwe Geiger. Der angebliche Mörder stammte aus Roßwälden.
Wir kennen heute noch die Tragödie von Hinterkaifeck in der bayerischen Provinz. Davon handelt das Theaterstück „Tannöd“, das auch im Kreis Göppingen schon gespielt wurde. Gut 100 Jahre liegt dieser ungeklärte Mehrfachmord auf einem Bauernhof zurück. Im Umland von Augsburg gab es damals, nur wenige Jahre später, noch einen Mordfall. Den holt jetzt der Ebersbacher Stadtarchivar Uwe Geiger aus dem Dunkel der Geschichte. Denn: Der Verbrecher soll ein Mann aus Roßwälden gewesen sein. Geiger nahm das Jubiläumsjahr von Roßwälden zum Anlass für seine Recherche und einen Vortrag am 16. Oktober im Stadtmuseum.
Der Tatort: Ein abgelegener Bauernhof in der Nähe des Ammersees. Der Starkenhof in Bischofsried, das heute zu Dießen gehört. Vielleicht kann man von dort das Kloster Andechs sehen, das auf einem Hügel am anderen Ufer liegt. Aber eine Idylle wird es nicht gewesen sein, damals in den 1920er-Jahren. Es sind die Jahre der Hyperinflation, die Leute haben wenig zum Beißen. Hierzulande wird die Boller Bahn eröffnet, immerhin. Der Bauernhof bei Bischofsried hat einen neuen Pächter. Aber man weiß nicht wirklich, wer er ist. Er hält das geheim, lebt dort sogar unter einem falschen Namen. Warum?
Man schreibt das Jahr 1926, als auf dem Hof ein junger Knecht tot aufgefunden wird. Ermordet. Daraus wird ein Kriminalfall, der die Gemüter in Bayern erregt. Wer ist der Mörder? Geiger hat herausgefunden: Schnell deutete alles auf den jungen Pächter des Gutshofs als Täter hin. Der ist erstmal verschwunden. Aber erfolgreich untertauchen kann er nicht. Die Polizei findet auch heraus, dass er unter falscher Identität lebt. Sein richtiger Name lautet Otto Klein, und geboren wurde er 1892 in Roßwälden.
Sein Schicksal nimmt seinen Lauf. „Der Mörder vom Ammersee“ wird angeklagt und für schuldig befunden. Im Jahr darauf wird Otto Klein in Augsburg durch das Fallbeil enthauptet, auf der Guillotine. Geiger hat in alten Zeitungen geblättert. „Über den Gerichtsprozess berichtete die bayerische Presse ausführlich, hingegen war das Echo in der württembergischen Presse sehr zurückhaltend.“
An diesem Punkt wäre die tragische Geschichte zu Ende. Aber auch sie lebt weiter, wie der ungeklärte Mehrfachmord von „Tannöd“. Denn: Der aus Augsburg stammende Bertolt Brecht war in jener Zeit auf Besuch bei seinen Eltern und nahm den Rummel um den jungen Mörder hautnah wahr, sagt Geiger. „Der Prozess bewegte ihn und inspirierte den damals schon sehr bekannten Brecht zu einem Gedicht. Es ist das Augsburger Sonett Nr. 1.“
Es war nicht nur der Fall an sich, auch die Person und die Tat Otto Kleins sowie das Muster des Falls hatten Bertolt Brecht angesprochen. Er sah sich darin bestätigt, dass die Gesellschaft aufgrund ihrer Verhältnisse und Mechanismen Einzelne und Unschuldige vor sich hertreibe.
Kannten die Zeitgenossen das Gedicht? Verblüffend: Es wurde erst 1982 mit den anderen „Augsburger Sonetten“ veröffentlicht. Lange nach Brechts Tod. Dadurch wurde der Täter zur literarischen Figur. Und nochmals gingen Jahrzehnte ins Land, bis das originale Typoskript des Sonetts Nr. 1 der Brecht-Forschungsstätte in Augsburg geschenkt wurde.
Am Donnerstag (16. Oktober) hält Geiger einen Vortrag über diesen „True Crime“, ein wahres Verbrechen. Eingehen wird er auf die Jugend des Täters und sein Elternhaus in Roßwälden, Geiger erzählt über das dürftige Leben als Dienstknecht. Ein Ausweg aus der Misere sah Otto Klein durch die Pacht eines Bauernhofs in Bischofsried am Ammersee. Aber es lief nicht gut für ihn. Hier verstrickte er sich immer mehr in Lügen und Identitätsbetrug, schildert Geiger. Zuletzt erschoss er einen Freund, dessen Namen er angenommen hatte.
Über den Gerichtsprozess berichtete die bayerische Presse ausführlich. Uwe Geiger Stadtarchivar Ebersbach