Losungen und Weltkulturerbe

  • Prächtiger Herrnhuter Barock: der Kirchensaal mit Garten in der Bad Boller Partnerstadt. Foto: Thomas Przyluski
  • Sie hielt den Vortrag: Heide-Rose Weber von der Kirchenleitung der Herrnhuter in Bad Boll. Foto: Jürgen Schäfer
  • Noch in Handarbeit: Hier werden die Hernhuter Sterne hergestellt. In Bad Boll bekommt man sie auf dem Weihnachtsmarkt. Foto: Heide-Rose Weber

Kirche Heide-Rose Weber von der Brüderunität in Bad Boll stellt die Bad Boller Partnerstadt Herrnhut vor. Die Entfernung ist groß, die Beziehung bedarf einer Auffrischung.

Wer von euch kennt Herrnhut? Viele Hände gehen nach oben beim Seniorenfrühstück in Bad Boll. Volles Haus, mehr als 80 Senioren sind gekommen, um Näheres über die Bad Boller Partnerstadt zu erfahren. Die kennt der Leiter, Pfarrer im Ruhestand Gerd-Ulrich Wanzeck, natürlich. Er war mit einigen im Saal schon dort, auf Zwischenstation zu einer Exkursion nach Schlesien. Er könnte selber eine Menge erzählen.

Aber berufen dafür ist Heide-Rose Weber, Mitglied der Kirchenleitung der Herrnhuter in Bad Boll. Die Herrnhuter sind ja eine eigene und weltweite Kirche, und Herrnhut ist ihr geistliches Zentrum. Vor gut 300 Jahren gegründet, hat sie heute 2700 Einwohner, davon 530 Mitglieder ihrer Kirche. Und seit einem Jahr ist sie UNESCO-Kulturerbe. Genauer: UNESCO-Welterbe, und das meint die Kultur und Natur gleichermaßen, erläutert Heide-Rose Weber. Die Sitzung des Weltkulturerbe-Rats vor einem Jahr hat man in Herrnhut mit Public Viewing verfolgt, erzählt sie. Und die Auszeichnung mit einem Riesen-Fest gefeiert.

Die Bewerbungsschrift hatte über 100 Seiten. Gewürdigt hat die Unesco die Lebensform, die sich in der Architektur spiegelt. Und das nicht nur von Herrnhut, auch von Tochter-Siedlungen, die schon bald nach 1722 gegründet wurden, damals schon weltweit: Bethlehem in Pennsylvania, Gracehill in Nordirland, Christiansfeld in Dänemark. Christiansfeld wurde schon vor zehn Jahren Welterbe.

Die Architektur: Es gibt sogar den Begriff „Herrnhuter Barock“, und zentral ist der Kirchensaal mit einem großen Platz und flankierenden Chorhäusern. Typisch für den Kirchensaal, also die Kirche, ist der Dachreiter, sagt Heide-Rose Weber. Die Bad Boller kennen das von ihrem Kurhaus. „Kirchtürme hat unsere Kirche nicht.“ Quer ausgerichtet ist der Kirchensaal im Inneren. Viele sitzen so in einer Reihe, „das betont die Gleichheit der Leute.“ Weiß ist er, „die Farbe der Reinheit“. Kein Bild, kein Kruzifix. Es ist auch „die gute Stube der Gemeinde“, sagt sie. Für Schulversammlungen, Konzerte, Ausstellungen, für die Synode der Herrnhuter. Dazu zeigt Heide-Rose Weber ein großes Gruppenbild. Darunter sind Geschwister aus den Niederlanden, die aus Surinam stammen. Das weist auch darauf hin, dass die Herrnhuter Kirche weltweit wächst: in Afrika, in Asien, in der Karibik. Die Herrnhuter in Deutschland sind „nur“ 15 Gemeinden mit 4500 Mitgliedern. Bad Boll hat mit großem Umland 500. Im kleinen Holland sitzt auch eine Direktion für Europa.

Heide-Rose Weber ist dabei, wenn in Herrnhut die berühmten Losungen gezogen werden. „Das ist eine meiner schönsten Aufgaben.“ Aus einer silbernen Schale mit fast 2000 Zahlen werden die Bibelverse für jeden Tag des Jahres gezogen. Drei Jahre im Voraus, „weil sie in 60 Sprachen übersetzt werden.“ Je einen Vers aus dem alten Testament und einen aus dem neuen, die miteinander korrespondieren. „Zu jedem Vers wird diskutiert, welche Übersetzung die richtige ist“, sagt sie. Der Ursprung der Losungen war: Die junge Herrnhuter Gemeinde gab sich ein Wort für jeden Tag, das wurde mit Zuruf in die Häuser gebracht.

Durch Zufall ist Bad Bolls Bürgermeister Hans-Rudi Bührle anno 2008 bei einer Ziehung dabeigewesen, er war damals grad in der Partnerstadt bei seinem Amtskollegen Fischer. „Ich durfte dazu treten“, erzählt er im Seniorenfrühstück. Und muss leider auch berichten, dass die partnerschaftlichen Beziehungen ziemlich vertrocknet sind. „Wir haben 2015 Silberhochzeit gefeiert wie ein altes Ehepaar“. Das Hauptproblem sei die Entfernung. Herrnhut liegt noch eine Autostunde hinter Dresden. Und dass Herrnhut keine Vereinsstrukturen habe wie hier im Schwabenland, mit denen hiesige Vereine Partnerschaft knüpfen könnte. Aber es gibt die Herrnhuter Sterne. Die hängen im Advent an vielen Häusern in Bad Boll und im Umland. Auf dem Bad Boller Weihnachtsmarkt werden sie verkauft. Heide-Rose Weber zeigt ein Bild von der Schauwerkstatt in Herrnhut, die ein richtiger Betrieb ist.

Das Ziehen der Losungen ist eine meiner schönsten Aufgaben. Heide-Rose Weber Mitglied der Kirchenleitung Bad Boll

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