Ein Solitär am falschen Platz

  • Das GZ-Verlagsgebäude wirkt im Angesicht der Stadtkirche und der historischen Altstadt wie ein Fremdkörper. Zur Zeit der Errichtung im Jahr 1970 war diese Bauart durchaus beliebt. Foto: Roderich Schmauz
  • Die Stadtkirche lugt durch den Durchgang am GZ-Gebäude. Alt und „Neu“ stoßen hier direkt aufeinander. Roderich Schmauz

Serie Heute passt das GZ-Verlagsgebäude in die Altstadt wie die Faust aufs Auge. Blauäugig war man damals aber nicht – und erwog lediglich das Für und Wider.

Anfang der 1970er Jahre entstand nach Plänen des Geislinger Architekten Eugen Binder das Verlagsgebäude der NWZ in der Hauptstraße 38. Mit knapp einer Million D-Mark war der Neubau veranschlagt, er sah vier Obergeschosse und zwei Untergeschosse vor. Das Entscheidende: Das funktionale Bürogebäude wies die charakteristischen architektonischen Elemente auf, die damals für modern und zukunftsweisend galten, als da wären: Sichtbetonwände, immerhin nicht glatt, sondern mit Struktur; dazu im Kontrast Transparenz pur: auf allen Stockwerken fast rundum durchgängige Fensterfronten, die Glasscheiben in dunklen Metallrahmen gefasst; unten Arkaden; obendrauf ein Flachdach. Und das im Angesicht der Stadtkirche, des Schubart-Schulhauses, der historischen Häuserzeilen in der Hauptstraße. Wie kann man nur, fragen wir uns heute. Die penibel geführte Bauakte im städtischen Bauverwaltungsamt gewährt Einblicke, wie die maßgeblichen Entscheider damals getickt haben, welche Gesichtspunkte sie leiteten.

Zustand des Altbaus zu schlecht

Bevor sich die „Zeitungsverlag und Druckhaus GmbH“ der NWZ Göppingen in der Hauptstraße 38 in Geislingen einkaufte, klärte man ab, was aus städtischer Sicht genehmigungsfähig ist. Der bisherige, etwas zurückversetzte Altbau, vor dem sich noch eine Shell-Tankstelle befand, sei in einem so schlechten Bauzustand, dass er nur „mit übermäßigem Aufwand“ erhalten und umgebaut werden könne, argumentierte der Architekt. Stadtrat Heinrich Henkel pflichtete dem bei, aus eigener Kenntnis, hatte er doch hier schon zur Miete gewohnt. Also Abriss und Neubau.

Stadt und Gemeinderat hatten sich erst in den Jahren 1968 und 1969 „städtebauliche Grundsätze für die künftigen Baumaßnahmen im Gebiet der Altstadt“ gegeben. Gleich in Punkt eins war festgeschrieben: „Der Raum der Hauptstraße zwischen Karl- und Rosenstraße ist im historischen Zustand zu erhalten. Markante Merkmale hierfür sind die lebendige Versetzung der (Gebäude-)Fluchten und die Giebelstellung der Gebäude, ihre Stockwerkszahl und die Kubatur der Gebäude an der Straße.“ Als Ziel wurde zudem formuliert, die Hauptstraße „von umweltfremdem Kraftfahrzeugverkehr zu befreien“, sprich: eine Fußgängerzone anzustreben.

Architekt bietet zwei Optionen

Die konkreten Vorgaben für den Verlagsneubau: ein maximal dreigeschossiger Giebelbau, Fachwerkstruktur aus modernen Materialien, „fein maßstäbliche Gliederung“ der Fassade, Auskragungen, Dachüberstand, Dachneigung mindestens 45-Grad. Architekt Binder legte einen solchen Vorentwurf vor; der aber, so bemängelte er selbst, könne „weder in gestalterischer, noch in wirtschaftlicher Hinsicht befriedigen“. Binder hielt es für verfehlt, „in unserer heutigen Zeit, mit ihren so anders gearteten Bedürfnissen und Formvorstellungen, Neubauten zu erstellen, die sich in ihrer äußeren Gestaltung gewaltsam an historische Vorbilder anlehnen“.

Sein anderer, favorisierter Neubau konkurriere ja viel weniger mit der nahen Stadtkirche als ein „steilgiebliger Stahlbetonfachwerkbau“. Beispiele aus anderen Städten zeigten zudem, dass „sehr wohl altehrwürdige Baudenkmäler in spannungsvollem Gegensatz zu modernsten Bauwerken in nächster Umgebung stehen können“. Spontan fallen einem dazu heute in der Tat in Ulm das Stadthaus neben dem Münster oder die Bücherei-Glaspyramide neben dem historischen Rathaus ein.

Denkmalamt: „Mustergültig“

Stadt und Gemeinderat waren sehr zufrieden, als im Plan das vierte Obergeschoss zurückversetzt wurde. Die Geschosse über den Arkaden werteten sie als die erwünschte Auskragung. Das Denkmalamt lobte das als „mustergültig“. Am 25. August 1970 wurde die Baugenehmigung erteilt. Übrigens wurde zeitgleich noch erwogen, das Schubart-Schulhaus „abzutragen“. Streitpunkte waren heute nebensächlich Anmutendes: Wo wie viele Parkplätze möglich sind; welche Werbeschriften angebracht werden dürfen. Letztere Frage wurde erst vom Verwaltungsgericht entschieden, als die Firma Schuh Mayer, die eine Etage im Neubau gemietet hatte, deswegen klagte.

Der Solitär aus Glas und Beton steht am falschen Ort, dem dürften die meisten heute beipflichten. Vollends unstrittig ist etwas anderes: Bei dem Verlagsgebäude, nach der Fusion von NWZ und GZ bis heute Sitz der Geislinger Zeitung, fällt die Energiebilanz verheerend aus. Die Fensterfronten und Fensterbänke, die diese moderne Architektur prägen, sind extreme Kältebrücken und Energiefresser.

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