Wird der Bau-Turbo zünden?
Wohnungsbau Mit einem neuen Gesetz will die Bundesregierung den Bau günstiger Wohnungen beschleunigen. Was halten Verwaltungen davon?
Gut 550.000 Wohnungen fehlen laut einer Studie des Pestel-Instituts in Deutschland. Mit dem neuen Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus, das vor wenigen Tagen als letzte Hürde den Bundesrat passiert hat, will die Bundesregierung Abhilfe schaffen. Der sogenannte Bau-Turbo soll Bürokratie abbauen und den Kommunen erlauben, von bauplanungsrechtlichen Vorschriften abzuweichen. Aufstellungen oder Änderungen von Bebauungsplänen (siehe Infokasten) sollen für Wohnbauprojekte dann nicht mehr nötig sein. Wenn sich eine Kommune entscheidet, den Bau-Turbo anzuwenden, gelten Bauanträge als genehmigt, wenn die Verwaltung sie nicht binnen drei Monaten ablehnt. Das neue Gesetz soll zunächst für fünf Jahre gelten.
Der Bau-Turbo sei „ein ganz neuer Ansatz, der kurzfristig durchaus Potenzial“ habe, meint Sebastian Ritter, Dezernent beim Städtetag Baden-Württemberg. Doch langfristig müsse das Baurecht so aufgestellt werden, dass Bebauungspläne einfacher geändert werden können. Bisher sei das entsprechende Verfahren „ressourcenaufwendig und fehleranfällig“. Wenn ein Investor eine Idee habe, die zur Vorstellung von Verwaltung und Gemeinderat passt, könne der Bau-Turbo eine gute Lösung sein.
Doch Investoren seien auch auf Profitmaximierung aus, gibt Ritter zu Bedenken: Werde „ein fünfgeschossiges Gebäude hingestellt und die Abstände sind egal“, könnten Kommunen es später bereuen. „Wie sieht es in zehn bis 15 Jahren aus? Haben wir dann lauter städtebauliche Missstände?“ Bebauungsplanverfahren können mehrere Jahre dauern, hätten aber auch den Vorteil, dass die Anliegen der Öffentlichkeit umfassend abgewogen und in Gemeinderatssitzungen diskutiert werden, hebt der Städtetag-Dezernent hervor: „Das ist träge, bringt aber planungsrechtlich gute Ergebnisse.“
Dass durch den Bau-Turbo mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht, hält Ritter nicht für einen Selbstläufer – auch wenn Bauprojekte schneller genehmigt werden können. Preise für Baumaterial und Grundstücke sowie der Stand der Zinsen würden dadurch ja nicht beeinflusst. Wichtig sei, dass die Kommunen Kriterien festlegen, wann der Bau-Turbo zum Einsatz kommen soll. Dafür müssten auch die Gemeinderäte ein Gespür bekommen. „Man muss überlegen, welche Art von Quartieren man hat und an Beispielen durchgehen, welche Bauanträge es in den vergangenen Jahren gab, für die man den Bebauungsplan hätte ändern müssen.“ Anfang November bietet der Städtetage dazu eine Online-Konferenz zu dem Thema an. Das Interesse ist laut Ritter groß: 120 der 206 Mitgliedsstädte hätten sich bereits angemeldet.
Kriterien müssen geklärt werden
Dass wegen der Einbindung des Gemeinderats noch viel geklärt werden muss, hebt auch Irene Cziriak, Leiterin des Fachbereichs Bauverwaltung im Geislinger Rathaus, hervor. Die entsprechenden Fortbildungen für Verwaltungsmitarbeiter stünden noch an. Aktuell entspreche der Wissensstand der Geislinger Stadtverwaltung deshalb dem des Städtetags. Zudem müssten durch die Rechtsprechung noch Randbedingungen festgelegt werden. Klar sei jedoch: „Der Bau-Turbo ist kein Freibrief für Bauen an jeder Stelle in jedem Umfang.“ Cziriak erwähnt außerdem, dass die Geislinger Baurechtsbehörde kurze Bearbeitungszeiten habe und über Bauanträge in der Regel innerhalb von drei Monaten entschieden werde, solange sie genehmigungsfähig sind: „Wir haben normalerweise einen guten Draht zu unseren Bauherren.“
Deggingens Bürgermeister Markus Schweizer begrüßt „das einfachere, schnellere Baugenehmigungsverfahren“, das der Bau-Turbo möglich macht. „Auch dass man bei Vorhaben im Bestand nun wohl mehr zulässt, ist grundsätzlich positiv zu bewerten, vor allem da es die Gemeinde trotzdem noch in der Hand hat.“ Bei eigenen Vorhaben würden die Kommunen sicherlich davon profitieren, wenn keine Bebauungspläne aufgestellt oder verändert werden müssen – gerade wenn es um gewisse Abweichungen im Bestand geht.
Dass durch das neue Gesetz zügig bezahlbarer Wohnraum entsteht, bezweifelt Schweizer allerdings. An den „wesentlichen Kostentreibern“ – also Bau- und Materialkosten sowie dem Fachkräftemangel – ändere sich durch den Bau-Turbo schließlich nichts. Diese anhaltend hohen Kosten führten insbesondere im ländlichen Raum zu einer Stagnation im Wohnungsbau: Dort könnten weder Mieten noch Verkaufspreise erzielt werden, die eine wirtschaftlich tragfähige Investition ermöglichen – anders als in Ballungszentren. Deshalb wären nach Schweizers Ansicht weitere Impulse, wie beispielsweise der Wegfall der Grunderwerbsteuer für Erstkäufer einer Immobilie, förderlich für den Wohnungsbau, „aber womöglich auch noch nicht ausreichend, damit der Bausektor wieder richtig in Schwung kommt“. Denkbar wären auch zusätzliche Förderprogramme, zinsgünstige Darlehen oder steuerliche Anreize.
Weitere Änderungen nötig
Auch der Gemeindetag Baden-Württemberg, in dem rund 1000 Gemeinden und Städte im Land Mitglied sind, hält weitere Änderungen an „zahlreichen Vorgaben und Standards“ im sogenannten Baunebenrecht für nötig, wenn es mit dem Wohnungsbau grundsätzlich schneller gehen soll, sagt Pressesprecher Christopher Heck. Als Beispiele nennt er das Immissions- und das Naturschutzrecht. Ein Ansatz, Bauleitplanverfahren zu beschleunigen, wäre unter anderem, den Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens nach Paragraf 13a des Baugesetzbuchs auszuweiten, so Heck weiter. Dieser macht es möglich, bei der Innenentwicklung auf Umweltprüfung und -bericht zu verzichten. Im Einzelfall könne der Bau-Turbo zumindest dazu beitragen, dass bestimmte Flächen schneller bebaut werden können: „Ob dies nun das Bauen selbst beschleunigt, wird die Praxis zeigen müssen.“
Der Bau-Turbo ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Markus Schweizer Degginger Bürgermeister