Eine Fehleinschätzung

  • Guido Bohsem. Thomas Koehler/photothek.de

Der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung kommt zu dem Ergebnis, dass die Deutschen das Land für deutlich ungerechter halten als es ist. Darüber muss man sprechen.

Eine gefestigte Überzeugung in der öffentlichen Debatte lautet, dass es in Deutschland sehr ungerecht zugeht, die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Parteien links der Mitte sowie die zahlreichen Sozialverbände verstärken diesen Eindruck beinahe täglich. Aktuell etwa schlägt Vize-Kanzler Lars Klingbeil (SPD) vor, die Erbschaftsteuer zu erhöhen oder die Vermögensteuer wieder einzuführen. Er will damit die Lücken im Haushalt stopfen (obwohl der Ertrag den Ländern zusteht) und die Gesellschaft gerechter machen.

Ausgerechnet der neue Armuts- und Reichtumsbericht seiner Co-SPD-Vorsitzenden Bärbel Bas zeigt jetzt auf, dass diese gefestigte Überzeugung auf einer Fehleinschätzung beruht. Die Öffentlichkeit und mit ihr die Politik überschätze nicht nur die Zahl der Menschen in Armut, sie überschätze auch die Zahl der Reichen. Laut Bericht hat zudem die ungleiche Verteilung bei den Vermögen in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen. Würde man in die Berechnung die Rentenanwartschaften der Beschäftigten einbeziehen, sänke die Ungleichheit sogar erheblich.

Erstaunlich? Ja. Doch steht zu befürchten, dass sich die Erkenntnisse nicht durchsetzen werden, wieder einmal. Der Glaube, wonach es in der Bundesrepublik enorm ungerecht zugehe, scheint wie in Stein gemeißelt. Für die Öffentlichkeit ist das noch hinnehmbar. Doch die Politik sollte sich an die eigenen Zahlen halten, um bessere Gesetze zu verabschieden.

Das zu großzügig gestaltete Bürgergeld beispielsweise hätte so vermieden werden können. Mehr noch: Öfter mal über die eigenen Zahlen zu sprechen, könnte auch dabei helfen, die von Klingbeil ausgemachte schlechte Laune im Land zu verbessern.

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