Ein Film verdeutlicht die Realität

  • Teilnehmende der Podiumsdiskussion (von links): Prof. Nicholas Rüsch, Thomas Poreski MdL, Sandra Ebinger, Claudia Küchler, Nikolaus Mantel und Andreas Bauer. Foto: Landkreis Reutlingen

Reutlingen Inklusionskonferenz, Verein „Autismus verstehen“ und Selbsthilfeorganisation „SPER“ veranstalten „Tag der nicht sichtbaren Beeinträchtigungen“. Vortrag von Professor Nikolas Rüsch vom Universitätsklinikum in Ulm.

Unter dem Stichwort „#sichtbarwerden“ fanden sich kürzlich viele Interessierte beim „Tag der nicht sichtbaren Beeinträchtigungen“ im Reutlinger Kamino ein. Veranstalter und Organisatoren waren die Inklusionskonferenz, der Verein „Autismus verstehen“ und die Selbsthilfeorganisation „SPER“, wie es in einer Mitteilung des Landratsamts heißt.

„Wir wünschen uns ein respektvolles Miteinander“, waren sich die sieben „Filmhelden“ einig, die im Reutlinger Kamino auf der Leinwand zu sehen waren. Für den „Tag der nicht sichtbaren Beeinträchtigungen“ hatten sich sieben Personen einverstanden erklärt, in einem Filmprojekt über ihre jeweilige persönliche unsichtbare Beeinträchtigung zu berichten. „Es braucht viel Engagement und auch viel Mut, sich so in einem Film zu präsentieren“, hatte Andreas Bauer in einem Grußwort betont. „Die Krankheit, die für das Umfeld oft unsichtbar bleibt, ist für Betroffene alltägliche Realität“, sagte der Sozialdezernent des Landkreises Reutlingen. Nur gemeinsam sei es möglich, eine Gesellschaft zu gestalten, „in der sich niemand ausgeschlossen fühlt“, so Bauer.

„Wir brauchen systematische Lösungen, in Form eines Nachteilsausgleichs – es gibt viel zu tun, ich bin dankbar, dass es die Inklusionskonferenz gibt“, sagte der Grünen-Landtagsabgeordnete Thomas Poreski.

Dass die Gesellschaft aber noch weit von solch passenden Lösungen entfernt ist, davon berichteten die sieben Menschen aus dem Kreis Reutlingen in dem Film unter dem Titel „#sichtbarwerden“. Sie sind betroffen von unsichtbaren Beeinträchtigungen wie Depressionen, Asperger- Autismus, einer Sehbehinderung oder psychischen Erkrankungen. „Ich habe mich immer als andersartig empfunden, ich fühlte mich nicht mehr als Teil der Gesellschaft“, sagten zwei der „Filmheldinnen“.

Die Folgen der Erkrankung waren bei fast allen, die berichteten, die gleichen: Antriebslosigkeit, Ängste, geringes Selbstwertgefühl, Mobbing. „Man kommt mit der Diagnose in eine Schublade rein, hat Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche, wird schlechter bezahlt“, so einer der Betroffenen. Immer wieder müssten sich die Menschen mit psychischen Erkrankungen erklären, viele Vorurteile würden ihnen begegnen.

Und das führt nach den Worten von Professor Nikolas Rüsch vom Universitätsklinikum in Ulm oftmals zu Selbststigmatisierung, zum Verlust des Selbstwertgefühls. In dem Stil: „Weil ich psychisch krank bin, kann ich mir nichts mehr zutrauen.“ Betroffene würden oft Scham empfinden, sich demoralisiert fühlen und ihre Lebensziele aufgeben. Die Folgen seien häufig Isolation, Hoffnungslosigkeit und gar Suizidalität.

Das bestätigten auch die „Filmhelden“, die ihr Leiden, ihre Erlebnisse und Empfindungen sichtbar machten. Und sie äußerten Kritik auch an den Medien: „Die berichten nur negativ über psychische Erkrankungen, es entsteht der Eindruck, dass psychisch Kranke gefährlich sind – das stimmt aber einfach nicht“, so die Aussage eines Betroffenen. Statistiken würden belegen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht gefährlicher sind als alle anderen.

Aufklärung sei bitter notwendig, lautete die eindeutige Forderung. Es brauche mehr Hilfsangebote, „es gibt viel zu wenig ambulante Versorgungsangebote, das ist ein Skandal“, betonte Nicolas Rüsch. Aufklärungsansätze gebe es, etwa mit dem Schulprojekt „Verrückt? Na und“ oder auch mit Rüschs Programm „IWS“ (In Würde zu sich stehen). Damit sollen Betroffene dem Selbststigma entkommen und mehr und besser zu sich selbst stehen können.

Die am Montagabend auch live anwesenden „Filmheldinnen und Filmhelden“ ernteten viel Applaus für ihren Mut, ihre Beeinträchtigungen öffentlich gemacht und damit zu mehr Bewusstsein in der Gesellschaft beigetragen zu haben. „Denn Inklusion bedeutet für uns mehr als bloße Toleranz. Es bedeutet, alle Menschen vorbehaltlos einzubeziehen, ihre Vielfalt zu anzuerkennen und ihnen gleiche Chancen zu bieten“, so Susanne Blum, Leiterin der Geschäftsstelle Inklusionskonferenz.

Der Film ist auf der Internetseite des Landkreises für alle Interessierten verfügbar unter „https://www.kreis-reutlingen.de/sichtbarwerden“.

Es braucht viel Engagement und auch viel Mut, sich so in einem Film zu präsentieren. Andreas Bauer Sozialdezernent

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