„Bodenständig, ehrlich, echt“

  • Noch eine Verkostung im Keller: Jaroslav Rudiš in der Pflugbrauerei Hörvelsingen mit Bierbrauer Georg Walcher (links). Foto: Matthias Kessler
  • : Gebrauchsanweisung für Bier. Piper, 256 Seiten, 16 Euro. Foto: Piper

Kulturgeschichte Der Tscheche Jaroslav Rudiš erzählt in seinem literarischen Reiseführer „Gebrauchsanweisung für Bier“ wunderbare Geschichten. Die Pflugbrauerei Hörvelsingen rühmt er auch.

Wenn ein tschechischer Schriftsteller ein Buch über Bier schreibt, beginnt er natürlich mit dem Pilsener Urquell, dessen Geschichte aber auf einen bayerischen Braumeister namens Joseph Groll zurückgeht, der aus Vilshofen an der Donau gekommen war und 1842 seinen ersten Sud angesetzt hatte. Sehr völkerverständigend, dieses flüssige Gold. Jaroslav Rudiš aber hat sein erstes Bier trotzdem in Turnov, im Böhmischen Paradies, getrunken, etwa 50 Minuten nach seiner Geburt am 8. Juni 1972. Also indirekt, über die Muttermilch.

Es war vermutlich ein Bier aus der Brauerei in Rohozec, der Mutter verabreicht vom Chefarzt persönlich, zur Stärkung, als Heiligtum, ja als Sakrament, wie Rudiš erzählt. „Ein Bier als erste medizinische Hilfe böhmischer Art, um die Milchbildung anzuregen.“

Kein Wunder, dass Rudiš weiß, wovon er schreibt. Er hat in seinen 52 Jahren dann nicht nur Romane („Winterbergs letzte Reise“, nominiert für den Leipziger Buchpreis) und Theaterstücke verfasst, sondern als „Eisenbahnmensch“ halb Europa befahren – und als „Biermensch“, was offenbar unmittelbar zusammengehört, die unterschiedlichsten Biere an außergewöhnlichen Orten getrunken: von Altbier bis Zwickel, Rauchbier, Kölsch, Guinness, Lager, Weißbier, Märzen bis Pils. Und was noch alles. Davon schreibt er sehr süffig, so unterhaltsam, humorvoll wie informativ, mit vielen Anekdoten in der beliebten Reihe des Piper-Verlags: „Gebrauchsanweisung für Bier“ ist ein literarischer Reiseführer. Und was hat das jetzt mit Hörvelsingen zu tun?

Eine Brauerei wie Kafkas Schloss

Dort stellte Rudiš am Sonntagnachmittag in der Pflugbrauererei auf Einladung des Langenauer Buchhändlers Thomas Mahr, mit dem er freundschaftlich verbunden ist, diesen Bestseller vor. Gewissermaßen an einem Originalschauplatz. Denn in Rudiš Kulturgeschichte des Bieres findet sich auf Seite 226/227 auch die Pflugbrauerei erwähnt. Der Autor hatte Freunde in München besucht, mit ihnen im Hofbräuhaus und andernorts gezecht, auch in Andechs stemmten sie eine Maß und in der Staatsbrauerei Weihenstephan hoch über Freising. Und dann wollte der Jaroslav seinen Kumpels in der sehr weiten Umgebung noch Hörvelsingen zeigen, einen „echten Geheimtipp“.

Und so erinnert er sich, wie er zum ersten Mal mit einem Freund im tiefsten Winter dorthin gekommen war, im Schneesturm. Spät war es damals gewesen, nach einer Lesung wollte Thomas Mahr mit dem Autor in der Pflugbrauerei einkehren. „Wir sahen die Lichter aus der Ferne, und dann sind sie wieder verschwunden. Alles eine einzige Täuschung. Wir mussten an Kafka und an den Landvermesser K. denken. Wir waren erschöpft und konnten nicht mehr weiter, und dann waren wir plötzlich da, in dieser alten Brauerei, die tatsächlich aussieht wie das Dorfschloss in dem Romanfragment ,Das Schloss‘ von Kafka.“

Aber dann sei ihnen in der warmen Stube ein Bier serviert worden, „und es war eines der besten Biere, das ich je getrunken habe. Bodenständig, ehrlich, echt.“ Das nennt man einen Ritterschlag! Prost!

Jetzt am Sonntag war ordentliches Herbstwetter in Hörvelsingen angesagt, und Rudiš las in der Gaststube der Pflugbrauerei vor einem gewiss bierseligen und sachkundigen und begeisterten Publikum mit seinem böhmisch gefärbten Deutsch aus seiner „Gebrauchsanweisung“ vor. Ein Glas Wasser mit obenauf schwimmender Zitronenscheibe auf dem Tisch vor dem Mikro? Schon kam Brauer Georg Walcher auf die Bühne und brachte Frischgezapftes mit: Spezial naturtrüb, dunkles Kellerbier und ein Hefeweizen. Rudiš griff zum Dunklen, rührte mit einem Finger im dicken Schaum und schmierte ihn sich ins Haar: „böhmische Biertaufe“. Sei gut für die Gesundheit. Ja, das könne er bestätigen, konterte der eher glatzköpfige Walcher. Riesengelächter. Und der Musikverein Langenau spielte neben dem Lesepult fröhlich-zünftig, gekonnt stimmungsvoll Volksmusik.

Das erste Bier – und Franz Kafkas letztes Bier im Sanatorium. Erinnerungen an den Schriftsteller Bohumil Hrabel, ein Besuch in Budweis oder am Würstelstand am Südtiroler Platz vor dem Wiener Hauptbahnhof. Sehr menschlich-herzliche Episoden. „Bier und Humor kann man kaum trennen“, konstatierte der Tscheche. „Die besten Geschichten findet man im Wirtshaus“, berichtete der trinkfeste Schriftsteller Rudiš aus eigener Erfahrung. Stimmt, so war das am Sonntag in der Pflugbrauerei in Hörvelsingen.

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