Ich bin ein Berliner

  • In Ulm oft im Mittelpunkt: Nelson Weidemann ist einer der wenigen, die nach der Vizemeisterschaft geblieben sind. Foto: eibner/Gerald Oelze-de Stoppany

Ratiopharm Ulm Nelson Weidemanns Sommer prägte ein Wort: fast. Fast Meister, fast EM-Sieger. Der 26-Jährige hat beides verarbeitet. Jetzt reist Ulms Spielmacher zurück zu seinen Wurzeln.

Berlin fühlt man. Das hat Nelson Weidemann gelernt. Er weiß nicht genau, warum – da ist einfach diese Verbundenheit, die der Basketball-Profi spürt, wenn er jemanden aus der Hauptstadt trifft. „Ein Match“ nennt er es. Wie auf der Dating-Plattform Tinder.

Berlin verbindet. Innerlich. Es ist eines dieser Dinge, die sich nur schwer erklären lassen. Vielleicht, weil es hier kaum einer leicht hat. Weil man hier in einer rauen Welt aus Beton und Stahl groß wird. „In Berlin aufwachsen – das ist jeden Tag Kampf“, sagt Weidemann rückblickend.

Verständnis für Bundestrainer

Doch es gab ein paar Orte, an denen der 26-Jährige diesem Kampf entfliehen konnte. Der Basketball-Hartplatz in der Gneisenaustraße. Die zwei Tischtennisplatten am Haus seines Freundes, wo er seine „brutale Vorhand“ auspackte. Und die Max-Schmeling-Halle.

Als Kind lebte Weidemann nur zwei Minuten von ihr entfernt. Manchmal, wenn Alba Berlin dort spielte, lief er hin und feuerte das Team an. Am Sonntag, 16.30 Uhr, kommt er wieder hierhin zurück. Nicht als Fan – sondern als Gegner. Die Berliner treffen im Pokal-Achtelfinale auf Ratiopharm Ulm.

Und Weidemann hätte alles genauso machen können wie früher. Denselben Weg laufen, im selben Bett schlafen wie damals. Er hat sich dagegen entschieden. Der 26-Jährige nimmt lieber „das gemütliche Hotel-Zimmer“. Weidemann ist jetzt ein anderer. Ein Ulm-Stammspieler. Ein BBL-Veteran. Ein Fast-Europameister.

Dieses fast zeigt gut, wie hart das Profi-Geschäft ist. Im Prinzip basiert es auf einem kurzen Gespräch in den Katakomben der Kölner Lanxess-Arena am Abend des 23. August. Die deutsche Mannschaft hatte gerade das Vorbereitungsspiel gegen Spanien gewonnen. Ein paar Spieler mussten noch Autogramme schreiben, Weidemann ging schon in die Kabine. Álex Mumbrú wartete dort auf ihn.

Der Bundestrainer fing an zu reden. Er nutzte empathische Sätze. Doch die Botschaft war knallhart: Du bist nicht dabei. Mumbru strich ihn aus dem EM-Kader. Als letzter Spieler, am letzten Tag der Vorbereitung. Der berüchtigte letzte Cut.

Auch den kann man fühlen. Bei Weidemann fühlte es sich so an, als würde ihm eine Tür zugeschlagen, in der er schon einen Fuß gesetzt hatte. Und das schon zum zweiten Mal in diesem Sommer. Ein paar Wochen vorher war er mit Ulm denkbar knapp im BBL-Finale gescheitert. Nun diese Last-Minute-Absage. „Es war nervig in dem Moment.“

Doch dieses Gefühl war kein Berlin-Gefühl. Dieses Gefühl verflog wieder. Mehr noch: Es wurde ersetzt. Mit Dankbarkeit. „Ich konnte aus der Zeit sehr viel mitnehmen. Sie war genau das, was ich gebraucht habe.“ Und auch mit Einsicht. Weidemann kann Mumbrú, der relativ wenige Big Man zur Verfügung hatte, verstehen. „Ich glaube, wenn ich in seinen Schuhen gesteckt hätte, hätte ich ähnlich entscheiden.“

Vielleicht macht ihn diese Einstellung auch zu einem Sieger. Weidemann kommt sich jedenfalls so vor. „Ich habe mich so sehr für das Team gefreut“, sagt er. „Sie haben gewonnen. Wir haben alle gewonnen. Wir alle sind Europameister.“

Das Positive sehen. Nach vorne schauen. Es könnte in einem der Bücher stehen, die Weidemann immer liest. Sie handeln von Persönlichkeitsentwicklung. Gerade kommt er vermehrt dazu, sich damit zu beschäftigen. Die Saison für Ulm hat begonnen. Weidemann reist wieder viel – und ist dabei bisher sehr erfolgreich. Die Schwaben haben fünf ihrer ersten sechs Pflichtspiele gewonnen.

Trotzdem: Aktuell ist es so wie in Weidemanns Büchern. Am Anfang ist man vom Idealbild weit entfernt. Ulms Spielmacher spricht von den „typische Kinderkrankheiten“. Mangelhafte Kommunikation, fehlende Abläufe. „Ich glaube aber, wir sind auf einem ganz guten Weg.“

Nun kommen sie an die erste Kreuzung. Pokal-Achtelfinale in Berlin. Das erste K.o.-Spiel dieser Saison. Härter hätte es kaum sein können. Alba Berlin – das war mit der größte Name in der Auslosung. Früher wären die Ulmer als klarer Außenseiter angereist.

Mittlerweile hat sich das geändert. Ulm hat die letzten vier Duelle alle gewonnen, die Hauptstädter in der letzten Saison aus dem Playoff-Viertelfinale gefegt. Das hat Selbstvertrauen gegeben. „Alba ist immer ein ernstzunehmender Gegner“, sagt Weidemann. „Doch es ist auf keinen Fall so, dass wir uns verstecken müssen.“

Berlin kann hart sein. Berlin kann richtig wehtun. Aber Berlin lässt sich auch bändigen.

Das weiß Weidemann nur zu gut.

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