Das Drama unter der Asche
Brand Lange durfte man den zerstörten Fundus des Theaters Ulm in der Paketposthalle nicht betreten. Nun ist die Tür offen, die Schäden werden sichtbar.
Ein rot-weißes Betreten-verboten-Schild hängt an der weißen Stahltür, die ins Innere der Paketposthalle führt. Tritt man ein, ist die Luft auch knapp vier Monate nach dem Brand noch rauchig. „Daheim würde man das Fenster aufmachen“, sagt Johanna Kienzerle von den Theaterfreunden. Eine große, silberne Schaufel lehnt an einem Holzstapel, ein zusammengekehrter Haufen von Scherben, Schutt und Asche davor. Einige Fensterscheiben sind zerbrochen, und ein Schaukelpferd steht einsam im Eingangsbereich des ehemaligen Theaterfundus. Es ist glimpflich davon gekommen.
Bevor die Aufräum- und Reinigungsarbeiten in vollem Gange sind und die Spuren des Brandes beseitigen, hat das Theater Ulm die Tür der Paketposthalle geöffnet: Damit die Öffentlichkeit zu sehen bekommt, welche Zerstörung der Brand in der Nacht des 25. Juni angerichtet hat. Peter Perkovac, der technische Direktor des Theaters, zeigt dorthin, wo das Feuer am stärksten gewütet hat: zum Kostümfundus. „800 bis 1000 Grad waren es dort oben“, sagt er.
Steigt man die Stufen hinauf, verhallen die Gespräche derer, die die Baustellen besichtigen. Für einen Moment ist nur das Knirschen der Schritte auf den Glasscherben zu hören. Verbrannte Kleiderhaufen liegen auf dem Boden. Dort, wo früher Kleider aus der Jahrhundertwende hingen, Militäruniformen aus der NS-Zeit und Brautkleider, sind jetzt nur noch Schutt und Asche. Verrußte Stiefel mit abgeschmolzen Stilettos hängen in einem Gerippe, das vormals wohl ein Schrank war. Vereinzelte Farbtupfer, sonst ist alles schwarz. Nicht ein Kleidungsstück des oberen Stockwerks hat den Brand überstanden. Etwa 27.000 Kostüme sind verbrannt.
Fehlender Lagerraum
Der ideelle Wert, der sich hier in Asche aufgelöst hat, ist unmessbar. Auch der tatsächliche materielle Schaden lasse sich nach wie vor noch nicht beziffern. „Was jetzt am dringendsten gebraucht wird, das sind die unsexy Kleidungsstücke“, sagt Angela Weißhardt, die Verwaltungsdirektorin des Theaters. Unterröcke zum Beispiel oder die sogenannten Kollektive für den Chor. Das, was in großer Stückzahl gebraucht werde, könne man sich nicht so einfach von anderen Theatern leihen, erklärt sie.
Für das Theater bestehe die größte Herausforderung im fehlenden Raum. Zwar konnte mit der alten Kepler-Turnhalle eine Übergangslösung für die Probebühne gefunden werden, doch ein Lagerraum für Bühnenteile fehle noch. So können derzeit beispielsweise noch keine Sachspenden angenommen werden, sagt Kay Metzger, der Intendant.
Oberbürgermeister Martin Ansbacher und Kulturbürgermeisterin Iris Mann schätzen die Leistung des Theaters wie der Stadtverwaltung im Angesicht des Ausmaßes des Brandes. „Auf der Theaterbühne sehen sie nichts von diesem Drama“, sagt Mann. Das mache es zugleich schwer, dem Theaterpublikum den Schaden zu vermitteln.
Vor einer Woche haben die Aufräumarbeiten begonnen. Etwa zehn Wochen sind dafür angedacht, die Möbel und Requisiten, die noch brauchbar sind, zu reinigen. Eine Spezialfirma ist dafür im Einsatz. Gleichzeitig sind verschiedene Gutachter vor Ort, für die Statik und wegen der Versicherung. Was aus der Halle werden wird, ist derzeit noch unklar.
Ein Stockwerk ist weiter unzugänglich: der Keller. Dort lagern die Möbel. Das Löschwasser ist durch den Boden in den unteren Stock gesickert. So hat sich Schimmel ausgebreitet. Nur mit Schutzkleidung kann man den Keller noch betreten. „Es sah aus wie in der Tropfsteinhöhle“, erinnert sich Peter Perkovac. Er hat am Morgen nach dem Brand an der Seite des Einsatzleiters die Halle betreten.
Als er morgens gegen sieben Uhr auf sein Handy blickte, war seine Mailbox schon voll. Bereits in der Nacht wurde er angerufen. Auch in Andreas Lonsingers Gedächtnis hat sich jener Morgen eingebrannt. Der Werkstättenleiter erzählt: „Ich konnte gar nicht glauben, was passiert ist.“ Und obwohl er ein regelmäßiger Saunagänger sei, hat er es an diesem Morgen nur schwer ausgehalten. Im Kopfbereich, auf etwa 1,60 Meter Höhe, habe es mehr als 100 Grad gehabt. Mit gebeugtem Rücken und eingezogenem Kopf sei er damals durch die Halle gelaufen.
Trotz der vergangenen Zeit haben sie sich noch immer nicht daran gewöhnt, die unzähligen Kostüme und Requisiten verloren zu haben. „Manchmal sagt jemand ,das ist in der Pakethalle‘, und dann holt es einen wieder ein“, sagt Perkovac.
Schließt man die weiße Stahltür hinter sich, bleiben Rußflecken an den Schuhen zurück und ein leicht rauchiger Geruch in den Haaren.