Gezaubert, gezittert, gewonnen
Ratiopharm Ulm Das Harrelson-Team gewinnt auch die dritte Eurocup-Partie in dieser Saison. Gegen Lietkabelis Panevėžys heißt es am Ende 98:94. Ein Spiel, zwei völlig unterschiedliche Halbzeiten.
Er war groß, er war muskulös, er trug Umhang und Augenbinde. Ein Superheld, eine Mission. Die Fans in der Kalnapilio-Arena so richtig heiß machen. Gut, ob es dafür direkt so ein skurriles Superheld-Maskottchen braucht, sei mal dahingestellt. Aber das Resultat konnte sich in jedem Fall sehen lassen.
Die Zuschauer standen. Sie feuerten ihr Team in den letzten Minuten richtig an. Und sie wirkten zufrieden – obwohl Lietkabelis Panevėžys letztlich verlor. Genau das musste Ratiopharm Ulm missfallen.
Ja, die Ulmer hatten 98:94 gewonnen. Ja, es war der dritte Sieg im dritten Eurocup-Spiel. Doch konnte der Vizemeister wirklich zufrieden sein? Nach dieser zweiten Halbzeit?
Trainer Ty Harrelson jedenfalls war es nicht ganz. Er sprach von einer „Lernerfahrung“. Die Erfahrung, dass auf diesem Level kein Vorsprung sicher ist. Und dass eine starke Hälfte alleine nicht ausreicht. Selbst eine wirklich, wirklich starke nicht.
Auftakt nach Maß
Höflich waren sie, diese Ulmer. Sie hatten für die Litauer etwas eingepackt. So wie es sich für gute Gäste gehört. Harrelson überreichte seinem Kollegen Nenad Canak einen kleinen orangefarbenen Plastik-Wimpel. Der schaute etwas verdutzt. Ein Geschenk vom Gegner? Das bekommt man im Profi-Sport nicht allzu häufig.
Und mehr als diesen Wimpel gab Ulm auch nicht her. Das hier waren nämlich nicht mehr die Ulmer vom Samstagabend, die beim MBC eher lethargisch aufgetreten waren. Nein, das waren wieder die Turbo-Ulmer. Defensiv giftig und offensiv blitzschnell.
Chris Ledlum, 26 Punkte: „Sehr stark.“ Tobias Jensen, 13 Punkte, sechs Rebounds: „Hat das Statistik-Blatt ausgefüllt.“ Harrelsons Extra-Lob ging wieder an die üblichen Verdächtigen. Aber eben nicht nur. Auch die Rotationsspieler bekamen etwas ab. Mohamed Diakite, Alec Anigbata – die jungen Typen. Sie hätten im ersten Spielabschnitt gute Minuten abgeliefert, meinte Harrelson.
Und laut waren sie dabei auch noch. Anigbata brüllte nach einem erfolgreichen Korbleger seine Freude heraus. Die Ulmer gaben in dieser ersten Halbzeit absolut den Ton an. Schon nach dem ersten Viertel führten die Gäste zweistellig (28:17). Es sah schnell nach einem Auswärtssieg aus.
Was auch am Heim-Team lag. Panevėžys um den Ex-Ulmer Augustine Rubit fiel wenig ein – und mit Fehlern auf. Zwölf Ballverluste leisteten sich die Litauer in der ersten Halbzeit. Da wusste auch Coach Canak nicht mehr, was er sagen soll. Er beschränkte seine Auszeit-Ansprachen auf ein paar dürre Sätze.
Die Defensive thematisierte er lieber gar nicht. Die nahmen die Ulmer regelmäßig auseinander. Sie spielten schneller, physischer – einfach eine Klasse besser als die Hausherren. Panvezys-Spieler Kristian Kullamäe kommentierte es ao: „Uns wurde in den Hintern getreten.“ In Zahlen hieß das: 61:42 für Ulm zur Pause. 19 Punkte mehr. Ein schönes, ordentliches Polster. Eines, auf dem sich die Ulmer etwas zu sehr ausruhten.
Es dauerte nur 74 Sekunden im dritten Viertel, bis Harrelson eingriff. Timeout – erstmal beruhigen. Aber dieser Gegner ließ sich nicht mehr so einfach beruhigen. Er hatte sich in der Pause verwandelt. Entschlossen wirkte Panvezys plötzlich – und selbstbewusst dazu. Die Litauer starteten nach der Pause einen 9:0-Lauf (51:61).
So wurde es ein ganz anderes Spiel. Die Ulmer mussten sich einen anstürmenden Gegner irgendwie vom Laib halten. Leichte Punkte bekamen sie dabei nicht mehr. Auch, weil sie defensiv lange nicht so aufmerksam agierten wie noch in Hälfte eins. „Wir haben in der zweiten Halbzeit nicht mehr so gut gespielt“, sagte Harrelson.
Da hatte es das Superheld-Maskottchen natürlich leicht. Das Publikum, darunter auch ein Block aus litauischen Soldaten, machte gerne mit beim Anfeuern. Jedenfalls so lange, bis Mark Smith den Stimmungskiller gab. Sein Dreier zum 93:86 brachte die Entscheidung. Der Vizemeister hatte die Nerven behalten. „Ein kollektiver Verdienst“, meinte Ledlum danach. „Ich liebe die Art, wie wir spielen.“