Aufstieg und Fall des TTC Neu-Ulm
Tischtennis Jonas Egert hat die Geschichte eines der außergewöhnlichsten Projekte in der deutschen Sportgeschichte dokumentiert. Die Doku kommt jetzt ins Kino.
Wie aus dem Nichts erschien 2019 der Tischtennis-Club Neu-Ulm auf der Bildfläche. Dank einer Wildcard durfte das Team von Klubgründer Florian Ebner sofort in der Bundesliga und weniger später in der Champions League spielen. Ein normaler Verein war der TTC nie. Er wurde als Retortenklub beschimpft, mischte die Tischtennisszene gehörig auf, beschäftigte die Sportgerichte, stellte sich eine Weltauswahl zusammen, gewann 2023 den deutschen Pokal, verpasste mehrfach dramatisch den Gewinn des begehrten Europapokals – und verschwand 2024 so schnell von der Bühne, wie er sie fünf Jahre zuvor betreten hatte. Regisseur Jonas Egert und sein Team haben die Geschichte des TTC mit der Kamera begleitet und einen Dokumentarfilm gedreht. „Ping Pong Paradise“ feiert am kommenden Dienstag (21. Oktober, 20 Uhr) im Neu-Ulmer Dietrich-Theater seine Kino-Premiere. Wir haben mit dem Regisseur gesprochen. Herr Egert, sind Sie ein guter Tischtennis-Spieler?
Jonas Egert (lacht): Nein, nicht wirklich. Ich würde mich als Hobbyspieler bezeichnen. Ich spiele gern im Park auf einer der Betonplatten, die es dort gibt.
Was reizt Sie an der Sportart?
Ich habe ein Faible für Nischenthemen. Und Tischtennis ist ein Nischensport. Es ist ein toller Sport. Ich glaube, das ist es, was mich daran so sehr gereizt hat.
Aber deshalb dreht man ja nicht gleich einen Dokumentarfilm darüber?
Stimmt. Ich bin durch einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung auf den TTC Neu-Ulm gestoßen. Da dachte ich: Das ist ein Thema aus dem Hier und Jetzt, ein spannendes Projekt. Das könnte ein Thema für meinen Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film in München sein.
Wie ist denn der Kontakt zum TTC Neu-Ulm zustande gekommen?
Ich habe Vereinschef Florian Ebner angerufen und mein Interesse geäußert. Und ich war schon ein wenig aufgeregt, als ich zum ersten Gespräch nach Ulm gefahren bin. Florian hat sich dann aber total offen für das Projekt gezeigt und alle Türen für uns aufgemacht, obwohl ich klargemacht habe, keinen Werbe- oder Erfolgsfilm drehen zu wollen. Die Chemie zwischen uns hat von Anfang an gestimmt.
Wussten Sie, worauf Sie sich einlassen?
Nicht wirklich. Dieser Verein war ja nicht so richtig greifbar. Er bestand irgendwie nur auf dem Papier. Der TTC hatte kein eigenes Vereinsheim, keine eigene Trainingshalle. Und die Stars waren gar nicht vor Ort. Sie wurden zu den Spielen eingeflogen.
Der TTC Neu-Ulm hat sich im Sommer 2022 eine Weltauswahl zusammengestellt, mit Top-Ten-Spielern wie dem deutschen Olympiadritten Dimitrij Ovtcharov, dem schwedischen Vizeweltmeister Truls Möregardh oder dem japanischen Wunderkind Tomokazu Harimoto. Wie haben Sie diese Stars erlebt?
Die Begegnung mit den Profis war zunächst nicht so leicht. Sie mussten ja auch erstmal aneinander kennenlernen. Ich habe viele Gespräche geführt, etwa mit Dimitrij Ovtcharov und Truls Möregardh. Truls haben wir auch mal in seiner schwedischen Heimat besucht.
War‘s schön?
Absolut! Wir haben uns dort besser kennengelernt. Bei der Reise hat es irgendwie Klick gemacht. Von da an ist er lockerer geworden.
Inwiefern?
Ich glaube, Truls hat die Kamera irgendwann gar nicht mehr wahrgenommen. Er hat uns ignoriert, im positiven Sinne.
Wie war es bei den anderen?
Ich würde sagen: Es herrschte eine gesunde Akzeptanz. Wir haben einen Vertrauensvorschuss erhalten, konnten jedes Kabinengespräch aufnehmen. Vor dem Film habe ich mit Profisportlern nicht wirklich sympathisiert. Das hat sich geändert.
Wie meinen Sie das?
Man muss nur mal erleben, wie sich Dimitrij Ovtcharov an einem Spieltag konzentriert. Das ist schon beeindruckend. Der Druck im Profisport ist enorm. Wenn wir da mit der Kamera zu nah dran gegangen sind, haben wir auch mal einen bösen Blick erhalten.
Wie viele Stunden haben Sie und ihr Team gefilmt?
Am Ende sind 180 Stunden Filmmaterial zusammengekommen. 111 Minuten davon haben es in den fertigen Film geschafft. Unser Konzept war, nur zu beobachten. Wir haben auf unseren Instinkt vertraut.
Haben Sie Interviews geführt?
Nein, wir selbst haben das nicht. Wir haben aber gefilmt, wenn die Spieler oder der Trainer den Medien Interviews gegeben haben. Im Film haben wir überdies noch Radiomeldungen über den TTC Neu-Ulm eingebaut, die das Geschehen für die Zuschauenden einordnen.
Das Geschehen rund um den TTC war turbulent. Langweilig war es selten ...
Das kann man wohl sagen.
Nach dem gewonnenen Pokalfinale 2023 sperrte die Bundesliga die Weltklasse-Spieler Truls Möregardh und Lin Yun-Ju, nachdem sie für andere Vereine in Schweden und Japan mit dem Segen ihres Neu-Ulmer „Heimatklubs“ Ligaspiele bestritten.
Der TTC hatte damit wissentlich gegen Lizenzbestimmungen verstoßen. Da wurde es richtig spannend.
Nicht nur für die Spieler war das eine aufwühlende Zeit, auch für den Trainer Dimitrij Mazunov. Er ist eine Hauptfigur in Ping Pong Paradise, richtig?
Ja, er wurde mit der Zeit unser Hauptansprechpartner. Und es zeichnete sich immer mehr ab, dass dem Trainer der ganze Wirbel zu viel wurde. Der TTC hatte zu jener Zeit ja zwei Mannschaften. Eine für die Bundesliga, eine für die Champions League. In der Bundesliga-Mannschaft spielten die drei jungen russischen Spieler, die den internationalen Durchbruch schaffen wollten und für die sich Dimitrij Mazunov besonders verantwortlich fühlte. Die Russen wurden wegen des Angriffskriegs ihres Heimatlandes auf die Ukraine für internationale Spiele gesperrt. Eine schwierige Situation.
Wie haben Sie Dimitrij Mazunov erlebt?
Er war der Resonanzraum.
Resonanzraum?
In ihm hallte alles wieder, was in dem Verein passierte. Einerseits genoss er den sportlichen Erfolg, er genoss, dass er große Stars trainieren durfte. Andererseits war er eine Vaterfigur für seine russischen Spieler. Dimitrij Mazunov stammt ja selbst aus Russland, er war selbst ein erfolgreicher Spieler. In den jungen Russen erkannte er sich wieder. Er war viel mehr als ein Trainer.
Das Weltgeschehen machte auch vor dem TTC Neu-Ulm nicht Halt.
Ja, so kann man es wohl sagen. Es ging um Krieg und Frieden, um menschliche Schicksale. Es ging um das Große im ganz Kleinen. Die Situation hat die russischen Spieler sehr belastet. Mehr, als damals nach außen gedrungen ist. Alles das zeigt der Film. Deshalb ist er, wie ich denke, auch so facettenreich.
Es ging um Krieg und Frieden, um menschliche Schicksale.