Scharf und schärfer

  • Romeo Weiß sitzt an der Schleifmaschine. Danach poliert er die Klinge des Messers ebenfalls maschinell. Foto: Peter Kiedaisch

Neuhausen Romeo Weiß und seine Söhne fahren über Land. Seit Jahren schleifen sie alles, was schneiden soll. Dazu nutzen sie ihre fahrbare Werkstatt.

Reich werden? Romeo Weiß lacht kurz, aber freundlich. Nein, sagt er als Antwort auf die Frage. Er kann nicht reich werden mit seinem Handwerk. Aber es reicht fürs Leben. Das immerhin. Die Frage war freilich unpräzise, es war ein höfliches Annähern an ein Stück Privatsphäre, das jeder Mensch verdient. Auch das fahrende Volk, das es ohne ein Studium, beispielsweise in Empirischer Kulturwissenschaft oder in Sozialer Arbeit, zu etwas bringen möchte.

Zu etwas, das nichts mit Luxus zu tun hat, er möchte es zu etwas bringen, worauf er ganz einfach seinen nächsten Tag bauen kann. Dazu braucht er seinen Sprinter, in dem seine fahrende Werkstatt steckt. Dazu braucht er die Fertigkeiten, von denen er sagt, „die sind mir in die Wiege gelegt worden.“

Die Frage hätte, um die journalistische Neugier zu befriedigen, deutlicher formuliert werden müssen: Etwa, wie viel er im Jahr verdient, nach Abzug der Steuer. Aber große Unternehmen, sofern sie nicht per Gesellschaftsrecht dazu verpflichtet sind, verschleiern ihre Unternehmerzahlen genauso gerne. Dann sei das auch Romeo Weiß gestattet, auch wenn er weder Anzug noch Krawatte trägt und seine Berufsbezeichnung nicht hinter einer Buchstabenkombination versteckt, die mit einem großen „C“ wie Chief (Chef) beginnt. Sonst würde er sich vermutlich COS nennen, Chief of Sharpener, Chef der Schärfer oder einfach Chefschärfer. Chef ist er jedenfalls. Mit ihm reisen seine zwei Söhne Sergio und Maurice.

Der Vierte, der mit ihnen unterwegs ist, braucht keinen eigenen Sitzplatz im Wagen. Er ist eine Kombination aus Berufsethos und Familienstolz, freilich nicht in Persona, sondern als Lebensgefühl: „Unser Beruf ist seit 1746 Familientradition“, sagt Romeo weiß, um sich von Sergio, seinem Jüngsten, verbessern zu lassen: „Nein, erst seit 1846.“ Erst: Als wären 179 Jahre nichts. Die Familie stammt aus Neustadt an der Weinstraße, man hört’s am Pfälzer Zungeneinschlag, dem etwas Hessisch beigemischt zu sein scheint.

Dieser Tage (vermutlich bis kommenden Donnerstag) sind Romeo und Sergio in Neuhausen am Rebstöckle. Fürs Schleifen von Messern oder Gabeln nehmen sie je nach Schwierigkeit fünf bis zehn Euro. Und wieder taucht so eine Frage auf, deren Antwort das Potenzial hat, aus dem Ruder zu laufen: Was sie denn eigentlich so alles schleifen? Eigentlich alles, und dann beginnt die Aufzählung. Messer, Scheren, Brieföffner, Rasenmäherklingen, Heckenscheren, also eigentlich alles. „Alles, was eine Klinge hat“, sagt Romeo Weiß, und natürlich alles, was eine Schneide hat. Das deckt viel ab. Auch das Samurai-Schwert, das ihm kürzlich in die Hände gelegt wurde. Daran hat er eine ganze Woche gesessen. Vermutlich hat er dafür auch mehr als die üblichen zehn Euro verlangt. Dafür ist es jetzt, wie er sagt, „rasiermesserscharf“.

Damit das Messer lange hält

Die Leute mögen ihn, denn in der Regel bringen sie ihm auch ihre Schätze. Sägeblätter von Brotschneidemaschinen, Brotmesser mit Wellenschliff und die Aushängeschilder der Küche: Kochmesser aller Hersteller, aller Stahlarten und aller Größen. Er nimmt kaum Material ab, sagt er, denn so ein Messer hat ja sein Geld gekostet. Es sollte genügen, wenn man es nur ein Mal im Leben kaufen muss. Wenn die Qualität des Stahls stimmt, sorgt der Chefschärfer für ein langes Leben. „Aber es ist wichtig“, sagt er, „dass man alle zwei bis drei Jahre nachschleift.“

Und damit meint er nicht das Nachziehen der Klinge, wie es Köche und solche, die es laienhaft sein wollen, vor jedem Benutzen des Messers mit dem Wetzstein eigentlich machen sollten. Also im richtigen Winkel Messer ansetzen und über den Wetzstahl ziehen. Das Abziehen, wie der Vorgang auch genannt wird, trägt kein Material ab, es richtet vielmehr mikroskopisch kleine Dellen und Brüche in der Messerklinge wieder so aus, dass die Reibung möglichst gering ist.

Und dann noch so eine Frage, die er eigentlich gar nicht beantworten kann, ohne eine lange Aufzählung zu starten: Welche handelsüblichen Messer denn eigentlich gut sind. Er rattert runter: „Zwilling, WMF, Fissler, Güde, Chroma“, dann folgt eine kurze Pause, schließlich ergänzt Sergio „und Dick. Die Metzger bringen uns immer Dick.“ Wichtiger als die Marke, da sind sie sich einig, ist der Stahl. Messer sind derzeit en vogue, deswegen gibt es auch viele Klingenschmiede, die ihre eigenen Messer aus Damaszenerstahl herstellen und verkaufen. „Wenn man sie gut behandelt, bleiben sie zwei Jahre scharf, vielleicht drei“, sagt Romeo, dann sollte der Spezialist mal wieder schleifen und nachpolieren, damit es, siehe oben, ein Leben lang hält.

Wie gut er das macht, demonstriert er an einem alten Brieföffner. Der ist nach wenigen Minuten scharf genug, um butterweich durch ein hochkant gehaltenes Blatt Papier zu gleiten: „Damit könnte ich mich auch rasieren.“ Das freilich ist ein ganz anderer Beruf.

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