„Schmerzerfüllter Angstschreie“

  • Der Prozess am Landgericht wegen auch wegen versuchten Totschlags wurde fortgesetzt. Foto: Bernd Weißbrod/dpa Symbolbild

Landgericht Verstörende Aussagen im Prozess um den Fenstersturz aus Flüchtlingsheim. Vergewaltigung beobachtet.

Reutlingen. Weil er seinen Mitbewohner in einer Asylbewerberunterkunft aus dem Fenster gestoßen und den Schwerstverletzten danach vergewaltigt haben soll, muss sich ein 30-Jähriger vor dem Landgericht unter anderem wegen versuchten Totschlags verantworten (wir berichteten). Der Angeklagte schweigt.

Der zweite Verhandlungstag am Mittwoch begann mit Verspätung, weil sich drei Zeugen, die zu Beginn geladen waren, momentan selbst in Haft befinden. Auch der Geschädigte. Lediglich einer der ehemaligen Mitbewohner des Opfers konnte vernommen werden – er saß zur gleichen Zeit in einem der anderen Säle auf der Anklagebank. Damit er aussagen konnte, wurde seine eigene Verhandlung unterbrochen.

„Die beiden sind in meinem Zimmer gewesen, wir haben Marihuana geraucht und Musik gehört“, erinnerte sich der 25-jährige Pakistani an den Tattag, den er teilweise mit dem späteren Opfer und dem Angeklagten verbracht hatte. Die beiden hätten sich immer in ihrer Landessprache (Farsi) unterhalten, die er nicht verstehe. Irgendwann sei er müde geworden und habe sie aus dem Zimmer geschickt.

Ob er selbst einmal Streit mit dem Angeklagten gehabt habe, wollte der Vorsitzende Richter Armin Ernst wissen. Streit nicht, aber einmal habe der Angeklagte völlig grundlos sein Handy aus dem Fenster geworfen. „Ich glaube, er hatte ein Problem.“ Von dem Sturz aus dem Fenster und der Vergewaltigung habe er nichts mitbekommen. Ob er jemals sexuelle Handlungen zwischen den beiden beobachtet hätte, lautete eine weitere Frage des Vorsitzenden Richters. Dies verneinte er. Er habe gedacht die beiden Männer seien Freunde.

Wie es zu dem Sturz aus dem Fenster des Geschädigten kam, darüber konnte keiner Aussagen machen, die mutmaßliche Vergewaltigung hingegen wurde beobachtet. Die erste Zeugin, die von einer „ungewöhnlichen Beobachtung“ berichtete, war eine Mitarbeiterin des benachbarten Seniorenheims. Sie habe bei Schichtende kurz vor 18.30 Uhr vor dem Haus eine Zigarette geraucht, als sie laute Rufe „Polizei, Polizei“ aus Richtung der Flüchtlingsunterkunft gehört habe. Sie habe sich dann genähert und habe ihren Augen nicht getraut. Ein junger Mann mit nacktem Körper und heruntergezogener Hose habe auf einem anderen gekniet, diesen festgehalten und rhythmische Bewegungen vollführt. Sie sei von einer Vergewaltigung ausgegangen, habe allerdings gedacht das Opfer sei eine Frau. Sie habe dann mit ihrer Handtasche nach dem Mann geschlagen und geschrien: „Steh auf, geh weg!“

Doch der habe einfach weitergemacht. Da habe sie Angst bekommen und sei zum Altenheim zurückgelaufen, wo sie mit Kollegen das Geschehen von einem Balkon aus weiterverfolgt habe. Sie habe dann noch gesehen, wie ein anderer Mann gekommen sei und dem nackten Opfer geholfen habe.

Ihre Beobachtungen wurden von mehreren Frauen bestätigt, die auf dem Nachhauseweg von einem Laternenfest waren. Am eindrücklichsten waren die Aussagen einer Frau und ihrer Tochter, die mit den Kindern unterwegs waren. Sie erhielten den Anruf einer weiteren Tochter, die zuvor auf der Heimfahrt vom Auto aus beobachtet hatte, wie ein nackter Mann einen anderen filmt. Sie riet ihren Verwandten, sie sollten die Straßenseite wechseln, was diese auch taten. Trotzdem wurden sie Zeugen des Übergriffs. Sie habe mehrmals laut gerufen „Polizei, ich rufe die Polizei“, so die Zeugin. Das Opfer habe einen „schmerzerfüllten Schrei“ ausgestoßen, erinnerte sich die Tochter: „Das war ein nicht einvernehmlicher Geschlechtsakt“.

Am Nachmittag ging es um die Spurenlage und die Auswertung der Aufnahmen dreier Überwachungskameras, die an der Asylbewerberunterkunft angebracht sind. An den Kleidern des Angeklagten habe man Blutspuren gesichert, die später dem Geschädigten zugeordnet werden konnten, so eine Kriminaltechnikerin. Spermaspuren, die im Krankenhaus beim Opfer gesichert wurden, stammen vom Tatverdächtigen.

Die Zeugin erläuterte Bilder vom Zimmer des Geschädigten, dem Fenster in sieben Metern Höhe und dem gepflasterten Weg auf dem er aufschlug.

Der Übergriff fand aber auf einem Rasenstreifen auf der anderen Seite des Gebäudes statt. 33 Meter muss der Tatverdächtige sein Opfer dorthin getragen haben. Dass sich dort eine Straßenlaterne befindet, sorgte bei Staatsanwalt Florian Fauser für Erstaunen: „Das heißt, der Geschädigte wurde aus dem Dunklen ins Licht geschleppt.“ Dies wurde durch die Videoaufzeichnungen bestätigt. Auch, dass der Mann rückwärts aus dem Fenster gefallen ist, kann man schemenhaft erkennen.

Die Verhandlung wird am 20. Oktober fortgesetzt.

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