Gespräche nach dem Schock
Industrie Bis zu 100 Mitarbeiter müssen gehen: Mit dieser Nachricht sorgte Sappi in Ehingen für viel Bestürzung. Jetzt laufen die Verhandlungen.
Bis zu 100 Mitarbeiter bei Sappi in Ehingen müssen gehen – diese Nachricht hat vor rund fünf Wochen für viel Bestürzung in der Region gesorgt. Galt doch der Papierhersteller mit seiner imposanten Industrieanlage an der Biberacher Straße bislang als ein eher solider und gefragter Arbeitgeber.
Wie ist die Lage jetzt? Es bleibe dabei, bis zu 100 Beschäftigte könnten betroffen sein, antwortet Werksleiter Maik Willig Ende September auf eine Anfrage der SÜDWEST PRESSE. Man habe ein sogenanntes Konsultationsverfahren im Ehinger Werk gestartet. Das Ergebnis? Ist derzeit nicht bekannt. Erst nach dem Abschluss könne dazu Stellung genommen werden, schreibt Willig.
„Übereinstimmung mit Gesetz“
Sappi will eng mit den Vertretern der Arbeitnehmer zusammenarbeiten. Vonseiten des Sappi-Betriebsrats will sich dazu derzeit aber niemand äußern – man wolle die laufenden Verhandlungen nicht öffentlich kommentieren. Sappi betont, alles „in Übereinstimmung mit der deutschen Gesetzgebung“ zu lösen. Rechtlich ist bei der Entlassung mehrerer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwa eine Sozialauswahl vorgeschrieben. Kriterien sind etwa Betriebszugehörigkeit, Alter oder schwere Behinderungen. Ziel ist es, diejenigen zu schützen, die besonders hart von der Kündigung betroffen wären. Es wird in den Gesprächen vermutlich aber auch um Abfindungsprogramme, Vorruhestandsregelungen oder Altersteilzeit gehen.
„Wir stehen dem Betriebsrat mit Rat und Tat zur Seite“, sagt Markus Wimmer, der für Sappi zuständige Sekretär der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE). Mit den Sappi-Betriebsräten säßen fähige Leute am Verhandlungstisch, um die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Die Gewerkschaft plant auch noch eine Mitgliederversammlung in Ehingen, in der offene Fragen der Beschäftigten beantwortet werden sollen. Das Treffen soll nicht im Werk stattfinden, die Gewerkschaft sucht einen Versammlungsort außerhalb.
Für Wimmer ist der Arbeitsplatzabbau „leider“ nicht besonders überraschend, vor allem in einer so energieintensiven Branche wie der Papierherstellung. Es sei ein Mix aus Ursachen, der da zusammenkomme. Sappi selbst spricht davon, dass der Markt weiter spürbar zurückgehe. Zudem seien die Energiepreise, Rohstoff- oder auch Personalkosten nochmals deutlich gestiegen. Die aktuelle Rezession und die Zollpolitik der USA verschärften die Situation. Für Wimmer ist die Krise bei Sappi übrigens eine Art Déjà-vu, er selbst hat in der – mittlerweile endgültig geschlossenen – Papierfabrik in Baienfurt (Kreis Ravensburg) gearbeitet.
Wer bleibt, muss weit fahren
Wie sehen die Chancen für Sappi-Beschäftigte aus, einen neuen Arbeitsplatz in der Region zu finden? Gemischt, sagt Wimmer; vor ein, zwei Jahren wäre es noch besser gewesen. Denn gerade würden Arbeitsplätze in etlichen Branchen abgebaut, etwa bei den Autozulieferern. Es hänge natürlich auch von den Qualifikationen ab, mit einer abgeschlossenen Ausbildung komme man leichter unter. Wer in der Papierbranche bleiben wolle, müsse unter Umständen lange Fahrtzeiten in Kauf nehmen. Wimmer weiß nur von drei weit von Ehingen entfernten Standorten der Papierproduktion im Bezirk Ulm.
Zwar färbe die hartnäckige Konjunkturflaute auch auf die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen in der Region ab, sagt Michael Wägerle, Pressesprecher der Agentur für Arbeit Ulm. Dennoch: Qualifizierte Arbeits- und Fachkräfte seien nach wie vor gesucht, der regionale Arbeitsmarkt sei aufnahmefähig. Allerdings steigen mit einer Fachkraft-Ausbildung die Chancen, wieder unterzukommen. Wägerle nennt dazu Zahlen: Im Bezirk Ehingen waren 330 offene Stellen verzeichnet, davon 246 für Fachkräfte (Stand Ende August). Nur 53 sogenannte Helferstellen waren frei, zu einem kleinen Teil werden noch ausgewiesene Spezialisten gesucht.
Ähnlich sieht die Verteilung im gesamten Alb-Donau-Kreis aus, wo knapp 1500 offene Stellen aufgelistet sind. Wichtig sei es, flexibel zu sein und sich nicht unbedingt auf einen Job in der Papierindustrie festzulegen. „Wer Alternativen zulässt, für den steigen die Chancen auf eine neue Tätigkeit“, sagt Wägerle. Der Experte rät unter anderem zu einer Berufsberatung für Erwachsene. Die Arbeitsagentur setzt auch auf sogenannte „Arbeitsmarktdrehscheiben“ – Unternehmen, die Mitarbeiter entlassen, und Firmen, die Leute suchen, treten dabei untereinander in Kontakt.