Das Monster mitteilen dürfen

  • Im Jahr 2024 wurden in Baden-Württemberg 18.538 Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, polizeilich erfasst. Das Dunkelfeld ist weitaus größer. Foto: Fabian Sommer/dpa/ Archiv

Gewaltprävention Ein Mann berichtet, wie er sich der Gewaltspirale stellte und was ihm geholfen hat. Auch im Zollernalbkreis gibt es eine Anlaufstelle.

Auf einmal war Malte (Name geändert) einer, der seiner Frau Gewalt antat. Zu Beginn sei er laut geworden, wenn er die Fassung verlor. Später wurde er handgreiflich; tat seiner Partnerin weh. „Ich habe mich selber in einer Situation gefunden, in der ich niemals sein wollte“, erzählt der junge Tübinger.

Der Prozess habe ganz schleichend begonnen. „Wir waren schon viele Jahre zusammen und da ist nichts passiert“, erzählt Malte. „Rückblickend war der Hauptauslöser ein innerer Konflikt mit mir selber, der die ganze Ordnung in mir durcheinander gebracht hat.“ Malte wirkt selbst schmerzgeplagt, wenn er davon berichtet; kämpft damit, diese Seite in sich zu haben. „Ich wollte das schon lange ändern“, sagt Malte. Er wusste aber nicht, wie.

Rat vom Kollegen

Die Hilfe, die er brauchte, fand er bei der Präventionsambulanz für Sexual- und Gewaltdelinquenz der Psychiatrie Tübingen. Ein Gespräch mit einem Arbeitskollegen gab ihm den Mut und den nötigen Anstoß, sich dort zu melden. „Nach ein paar Bier sagte mein Kollege zu mir, dass er merkt, dass es mir nicht gut geht“, erzählt Malte.

Der Kollege hatte selbst Erfahrungen mit psychischen Krisen; hatte schon einmal eine Situation erlebt, in der es ihm egal war, ob er lebte oder starb. Sein Appell „Geh zur Psychiatrie und sag, dass du Hilfe brauchst“ kam bei Malte deswegen an. Er nahm sich das zu Herzen.

Als er seine Partnerin das nächste Mal angriff, sagte er hinterher zu ihr: „So, das war es jetzt. Ich suche mir Hilfe.“ Einfach war das für den jungen Mann nicht: „Es hat übertrieben viel Überwindung gekostet“, sagt Malte. „Man weiß ja ganz genau: Jetzt bleibt diese Sache nicht mehr im Schatten, jetzt muss man sich mit seinem Gesicht einer Person anvertrauen.“ Seine größte Angst sei gewesen, be- oder verurteilt zu werden. „Das macht man ja selbst am meisten. Man zerhackt sich selbst.“

Keinem kann man das erzählen

Malte überwand sich. Und wurde ganz unkompliziert aufgenommen. „Ich musste nur hierherkommen und sagen: Mir geht es nicht gut, ich brauche Hilfe.“ Es sei eine große Erleichterung für ihn gewesen, dass sein Therapeut ihm einfach professionell zuhörte, anstatt ihn zu verurteilen. „Ein Therapeut ist ein Begleiter, der einem hilft, selbst Anstöße zu finden“, sagt Malte.

Am Anfang sei er fast jede Woche gekommen, nach und nach habe er sich geöffnet, sein Therapeut lernte ihn kennen: „Ich konnte von mir erzählen – von allem, was mich ausmacht und was dazu geführt hat, dass ich diese abscheuliche, bestialische Seite in mir habe.“ Dass er seine Geheimnisse und alle Gedanken in den Gesprächen einfach teilen konnte, tat Malte gut: „Wem kann man so was sonst erzählen? Nicht einmal dem besten Kumpel kann man so was erzählen.“

Erst Akzeptanz

Es war unheimlich wichtig für Malte, dass sein Gegenüber dabei wertfrei blieb. „Dass man dieses Monster, so wie es ist, mitteilen darf. Dass man das sein darf, was man ist, ohne verurteilt zu werden – das bringt eine gewisse Ruhe mit rein“, sagt Malte. Mit dieser Ruhe sei die Akzeptanz seiner selbst gekommen. Diese Akzeptanz brauchte er, um im nächsten Schritt etwas an seinem Verhalten ändern zu können.

„Ich habe gemerkt, dass nicht ich das Monster bin“, sagt Malte. Vielmehr, so beschreibt er es selbst, sei er damals ein „kleines, zerbrochenes Wesen“ gewesen, das sich hinter einem Monster – der Gewalt, die er seiner Partnerin antat – versteckt hat. „Der Therapeut nimmt einen an der Hand, hilft einem beim Wachsen, bis man irgendwann zum Monster sagen kann: Vielen Dank, ich brauche dich nicht mehr.“

Die Gewalt endete nicht von heute auf morgen, aber in diesem Prozess wurde er immer seltener gewalttätig; lernte, seine Wut zu spüren, bevor er ausrastete. „Irgendwann war ich an einem Punkt, an dem ich sagen konnte: Das wird in nächster Zeit nicht mehr passieren“, so Malte. „Inzwischen bin ich mir sogar sicher: Das wird nie mehr passieren.“ Dabei hilft, dass er Techniken zur Selbstwahrnehmung kennengelernt hat, dass er weiterhin nach Bedarf mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Präventionsambulanz in Kontakt ist und auch, dass er sich im Notfall wirklich jederzeit melden darf. „Das ist ein unheimlich beruhigendes Gefühl.“

Anderen gewalttätigen Männern, die sich zu dem Schritt entscheiden, sich Hilfe zu holen, möchte Malte sagen: „Es sind Stufen. Die erste Stufe ist der Wunsch, wirklich etwas verändern zu wollen. Die zweite Stufe ist, dass man das dann auch voll durchzieht und komplett ehrlich ist und nichts weglässt.“ Nur so sei Heilung möglich.

Die größte Entschuldigung

Wie schwierig das ist, ist Malte anzumerken. Er, der gerne in Bildern spricht, hat noch ein Bild, um dieses Gefühl zu beschreiben: „Der Therapeut hat den Weg zum Sprungturm gezeigt – und es ist gefühlt ein 100 Meter hoher Sprungturm –, aber den Schritt nach vorne muss man selbst tun.“

Malte ist gesprungen. Und es hat sich gelohnt. Seit dem Moment, an dem er sich sagte, dass die Gewalt nicht mehr vorkommen wird, ist er wirklich nie mehr gewalttätig geworden. Für seine Partnerin, sagt er, ist das die größte Entschuldigung. „Jetzt, wo sie sicher ist, kann auch ihre Heilung anfangen“, sagt Malte. „Wenn ich jetzt ‚Es tut mir leid‘ zu meiner Partnerin sage, dann hat das ein ganz anderes Gewicht bekommen. Früher war das nur ein Satz, heute ist es aufrichtig.“

Man weiß ja ganz genau: Jetzt bleibt diese Sache nicht mehr im Schatten. „Malte“ zum Schritt in die Therapie

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