Der Insolvenz noch einmal von der Schippe gesprungen

  • Einmal Insolvenz und zurück: Der Reutlinger Autozulieferer Krämer Automotive kann weitermachen. Inhaber Hans-Peter Schmidt (rechts) und Mitarbeiter Talha Mansoor stehen neben einem Bentley, für den sie modernste Infotainment-Anlagen entwickeln. Foto: Thomas de Marco

Reutlingen Die Firma Krämer Automotive Systems ist dank chinesischer Hilfe gerettet. Nun kann der Betrieb in der Oberen Wässere weitergehen.

Als schwäbischer Unternehmen hätten drei Begriffe bis vor einem Jahr nicht zu seinem Wortschatz gehört, sagt Hans-Peter Schmidt vom Reutlinger Autozulieferer Krämer Automotive Systems: „Urlaub, krank und Insolvenz.“ Doch am 11. Juli 2025 hatte er in Tübingen Insolvenz anmelden müssen: „Das hätte ich mir nie vorstellen können“, sagt er heute. Und dann passierte das völlig Unerwartete: Ein Trip nach China brachte doch noch die Rettung, Schmidt konnte die Insolvenz zurücknehmen.

Die Reutlinger Firma in der Oberen Wässere entwickelt Infotainment-Systeme und digitale Cluster in Cockpits für deutsche, französische und britische Autohersteller. Darunter sind Porsche, BMW oder Bentley, aber auch LKW-Produzenten. Auch im Classic-Bereich ist Krämer aktiv: Hersteller von hochwertigen Fahrzeugen bestellen in Reutlingen modernste Infotainment-Anlagen für ihre älteren Modelle, für die es zur Zeit der Fabrikation solche Technik noch nicht gab.

Als die SÜDWEST PRESSE vor einem Jahr das Unternehmen vorgestellt hatte, war Schmidt mit seinem Team auf der Überholspur: Der Umsatz betrug 11,3 Millionen Euro, die Firma hatte Aufträge für die nächsten zehn Jahre im Volumen von rund 350 Millionen Euro. „Wir waren klar auf Expansionskurs“, sagt der gelernte Maschinenbau-Ingenieur.

Vom Expansionskurs in die Krise

Doch kurz darauf ging ein Kunde von Krämer in Konkurs, ein Auftrag von 120 Millionen Euro im E-Mobil-Bereich war weg. „Das alleine wäre nicht schlimm gewesen“, erinnert sich der Chef. Kurz vor Weihnachten 2024 dann aber die nächste schlechte Nachricht: Ein Kunde stornierte vier Aufträge im Wert von rund 180 Millionen Euro für E-Mobile. Zudem brach die Nachfrage bei den Bestandskunden um 80 Prozent ein. „Mir wurde gesagt, es laufe derzeit nicht gut, sie bräuchten in nächster Zeit keine Ware“, sagt Schmidt.

Er lotete Alternativen wie Solartechnologie aus und suchte nach Kooperationspartnern oder Firmen für eine mögliche Übernahme. „Aber wenn sie da keine Aufträge vorweisen können, haben sie keine Daseinsberechtigung“, sagt Schmidt. Im März meldet Krämer Automotive Kurzarbeit an. Von den ursprünglich 120 Beschäftigten an den Standorten Reutlingen, Pfullingen, Huizho (China) und Rawalpindi in Pakistan blieben letztlich nur noch 20 im Unternehmen.

„Denen habe ich immer gesagt: Das Spiel ist erst aus, wenn der Schiedsrichter abpfeift“, erinnert sich Schmidt. Er bewarb sich weiterhin um Aufträge – ohne Erfolg. Als Krämer am 7. Juli bei einem Bieterverfahren ganz knapp gescheitert war, sah der Firmenchef keine andere Chance mehr, als vier Tage später den Insolvenzantrag zu stellen. Schriftlich, „denn persönlich nach Tübingen zu gehen, das hätte ich nicht übers Herz gebracht.“

Auch während des Insolvenzverfahrens suchte er nach weiteren Aufträgen. Oder versuchte, laufende Projekte zu verkaufen. „Denn ich habe ja auch eine Verantwortung meinen Kunden gegenüber“, betont Schmidt. Immer in der Hoffnung auf den einen Auftrag, der zum Überleben gereicht hätte.

13 Stellen neu ausgeschrieben

Und der kam tatsächlich, als er sich im Norden Chinas erneut um eine Zukunft für sein 2006 gegründetes Unternehmen bemühte. „Eine große chinesische Firma verschaffte uns einen großen Auftrag und gab Geld im stattlichen einstelligen Millionenbereich“, sagt der schwäbische Tüftler. Derzeit laufen Verhandlungen mit dem Unternehmen, das sich an Krämer Automotive beteiligen oder die Reutlinger ganz übernehmen will.

In jedem Fall hat der Auftrag und das Geld aus China dem Betrieb in der Oberen Wässere eine Perspektive bis mindestens Ende nächsten Jahres gegeben. Deshalb konnte Schmidt am 26. August den Insolvenzantrag zurücknehmen. „Es ist absolut ungewöhnlich, dass ein Betrieb unserer Größenordnung so etwas schafft. Keiner, mit dem ich gesprochen habe, kennt einen solchen Fall.“

Er sei unheimlich erleichtert, aber auch stolz – und könne sein Glück kaum fassen, sagt Schmidt über diese unerwartete Entwicklung. Für ihn ist wichtig, dass niemand zu Schaden gekommen ist. „Es hat sich aber auch gezeigt, dass man durchaus belohnt werden kann, wenn man nicht aufgibt.“

Davon profitieren noch zehn der zuvor 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Standorten Reutlingen und Pfullingen. „Sie sind zu mir gestanden und haben mit mir um die Rettung gekämpft“, freut sich Hans-Peter Schmidt. Die übrigen Beschäftigten hatten das Unternehmen verlassen, gekündigt wurde niemandem. Jetzt geht Schmidt daran, wieder Personal aufzubauen: „Derzeit haben wir 13 Stellen neu ausgeschrieben“, sagt er. Und hofft, dass er das Wort Insolvenz nicht noch einmal in den Mund nehmen muss.

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