„Ein Ministerium für Land und Leute“
Interview Hat sich das neue Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen bewährt? Im Gespräch mit Helge Thiele zieht Ministerin Nicole Razavi aus dem Kreis Göppingen nach vier Jahren eine persönliche Bilanz.
Frau Razavi, seit 2021 sind Sie Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen. Es war viel Aufbauarbeit notwendig und anfangs wurde das neue Ministerium von der Opposition belächelt. Wie zufrieden sind Sie nach vier Jahren mit dem, was Sie erreicht haben?
Nicole Razavi: Zufrieden ist man nie, weil es ja immer weiter geht. Aber es hat sich gezeigt, dass die Entscheidung vor vier Jahren, dieses neue Ministerium zu bilden, richtig war. In diesem Ministerium wurde zum ersten Mal alles, was mit den Themen Planen und Bauen zusammenhängt, unter einem Dach zusammengeführt wird - bis hin zum Thema Vermessung und Geoinformation. Das war noch vor der Krise beim Wohnungsbau, die mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine so richtig begann. Spätestens da hat sich dann gezeigt, wie wichtig ein solches Ministerium ist. Bei einer derartigen Krise darf man den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern muss handeln und gute Antworten auf die Krise finden. Deswegen haben wir das Ministerium in Hochgeschwindigkeit aufgebaut und vom ersten Tag an losgelegt. Rückblickend, glaube ich, kann ich sagen, dass wir wirklich alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, die uns als Land zur Verfügung stehen, um der Krise etwas entgegen zu setzen. Ich nenne als Stichworte Bürokratieabbau, Deregulierung, bessere Bedingungen und Voraussetzungen für den Wohnungsbau, stabile Förderungen, mehr Geld für die soziale Wohnraumförderung und eine Digitalisierung der Baurechtsverfahren.
Sie bezeichnen Ihr Ministerium gerne als Ministerium für „Land und Leute“. Warum?
Also, es heißt ja offiziell Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen. Das heißt, zum einen sind wir dafür zuständig, die Bedingungen für den Wohnungsbau zu verbessern. Zum anderen haben wir das Thema Landesentwicklung. Wir schreiben aktuell einen neuen Landesentwicklungsplan und schaffen damit die Voraussetzungen für die Entwicklung des ganzen Landes für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Es geht darum, wie wir alle künftig wohnen, leben und arbeiten wollen. Deswegen ist Ministerium für Land und Leute, glaube ich, eine durchaus zutreffende Beschreibung.
Bleiben wir beim Thema Wohnen. Sie nennen nicht gerne Zahlen in dem Sinn, dass Sie sagen, es ist das Ziel, bis dort und dahin so und so viele Wohnungen zu schaffen. Sie schauen lieber auf die Zahl der Baugenehmigungen. Im Juli 2025 gab es 2800 genehmigte neue Wohnungen, laut der Statistik ein Plus von 62 Prozent gegenüber dem Vergleichsmonat 2024. Ihr Verdienst, Frau Ministerin?
Das kann man so bestimmt nicht sagen, aber wir haben jedenfalls alle Hebel in Gang gesetzt, um die Bedingungen für das Bauen in schwieriger Zeit wieder zu verbessern. Der Motor beim Wohnungsbau ist ja deshalb weitgehend ausgegangen, weil es sich für niemanden mehr rechnet. Wer dennoch baut, muss im Zweifel dann so hohe Mieten verlangen, um auf eine Schwarze Null zu kommen, dass viele eben lieber abwarten. Wir haben dagegen gehalten, in dem wir gemeinsam mit dem Bund die Mittel für die soziale Wohnraumförderung verdreifacht haben auf mittlerweile 1,5 Milliarden Euro im aktuellen Doppelhaushalt. Und wir haben zum Beispiel die Landesbauordnung reformiert. Das war mehr als nur Facelift, wir haben da wirklich jeden Stein umgedreht und uns dabei stets gefragt: Was muss sein, was kann man einfacher machen – und was kann einfach weg? Und da haben wir, glaube ich, schon auch einiges erreicht. Wir haben dafür auch viel Lob gekriegt vom Normenkontrollrat, der gesagt hat: Hier hat ein Ministerium mal wirklich ernst gemacht mit Deregulierung und Bürokratieabbau. Für mich ist eine Krise auch eine Chance, die Dinge besser zu machen, weil der Druck groß ist. Und dieser Druck hat uns sicherlich auch geholfen, andere zu überzeugen, diesen Weg mitzugehen.
Und Sie haben die Digitalisierung vorangetrieben …
Genau, wir digitalisieren gerade das gesamte Bauantragsverfahren, um mehr Tempo reinzubringen, weil ich der Meinung bin, dass jeder, der einen Bauantrag stellt, auch den Anspruch hat, dass der möglichst schnell geprüft wird und er möglichst schnell auch eine Baugenehmigung in den Händen halten kann.
Die steigenden Baugenehmigungs- oder Bauantragszahlen sind dann quasi der Lohn für diese Anstrengungen?
Es ist auf jeden Fall ein Silberstreif am Horizont. Wir kommen von einem niedrigen Niveau, aber die Richtung stimmt. Und wenn das auch daran liegt, dass wir an unseren Hebeln gedreht haben, dann freut mich das. Aber wir haben natürlich noch lange nicht unser Ziel erreicht, sondern wir brauchen weitere Verbesserungen. Da müssen der Bund und die neue Koalition jetzt auch ihre Hausaufgaben machen. Die Bundesregierung hat mit dem Bau-Turbo, den die Ampel nicht umgesetzt bekam, den ersten wichtigen Schritt gemacht, um auch den Kommunen mehr Planungsmöglichkeiten zu geben. Aber da braucht es noch mehr, um wirklich Fortschritte zu erzielen.
Sehen Sie den Silberstreif am Horizont auch speziell für den sozialen Wohnungsbau?
Die ganzen Erleichterungen, die wir geschaffen haben, die gelten natürlich auch für den staatlich geförderten sozialen Wohnungsbau. Die anhaltend hohe Nachfrage nach unserem Programm belegt, dass es gerade in der jetzigen Zeit vielen hilft, überhaupt noch ein Projekt realisieren zu können und am Ende zumindest noch eine schwarze Null steht.
Trotzdem gibt es weiterhin den Konflikt zwischen Bauen und Naturschutz. Von Ihnen stammt das Zitat, wonach es nicht sein könne, dass einzelne Tiere den Bau von Wohnungen verhindern. Will die Ministerin für Wohnen den Naturschutz schleifen?
Das wollen wir nicht, aber man muss sich schon auch das Gesamtgefüge anschauen: Mein Ministerium hat jetzt dort dereguliert, beschleunigt und vereinfacht, wo wir zuständig sind und es daher machen konnten. Aber die Probleme gerade beim Wohnungsbau sind eben vielfältig und betreffen auch das sogenannte Baunebenrecht. Auch hier sollten wir die Regeln vernünftiger und realistischer machen. Beispiel Artenschutz: Wir müssen dahin kommen, Populationen zu schützen und nicht einzelne Tiere. So haben wir es übrigens für den Windkraftausbau gemeinsam in der Koalition beschlossen und ich meine, dass die Schaffung von Wohnraum sicher nicht weniger wichtig ist als der Bau von Windrädern. Aber so weit sind wir leider noch nicht. Das war mit dem Koalitionspartner bislang nicht zu machen, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Es stimmt etwas nicht, wenn einzelne Tiere oder ein paar Obstbäume ganze Wohnbauprojekte einfach aufhalten können – zum Teil durch Klagen, die dank des Verbandsklagerechts aus ganz anderen Ecken der Republik kommen. Ich glaube: Ein Dach über dem Kopf zu bezahlbaren Preisen, das ist ein Menschenrecht. Eine Wohnung ist nicht alles, aber ohne eine Wohnung ist alles nichts. Und deswegen müssen wir da auf ein vernünftiges Maß kommen. Da spielen natürlich auch noch andere Dinge eine Rolle wie Bürgerentscheide in der Planaufstellung, die uns nicht nur bei Gewerbegebieten Probleme machen, sondern eben oft auch bei Wohngebieten.
Es gibt aber auch viele technische Auflagen …
Ja, auch die müssen wir uns genau anschauen. Die hat oft kein Gesetzgeber geschaffen, sondern die entwickeln sich oftmals auch beim DIN, dem Deutschen Institut für Normung. Da sitzen die Verbände am Tisch und handeln selber aus, welche Normen gelten sollen. Kein Zweifel: Normen sind wichtig. Aber manchmal wird da auch ziemlich überzogen, und solche Normen führen dann dazu, dass die Dinge immer teurer werden.
Zum Landesentwicklungsplan: Im Frühjahr hieß es, im Sommer wird der Entwurf vorgelegt. Da wurde auch geliefert. Wie geht’s jetzt weiter?
Wir haben im Juli den Entwurf vorgelegt, er ist jetzt in der Abstimmung mit den anderen Ministerien. Ich hoffe, dass wir das in den nächsten Wochen abschließen können. Dann geht der Entwurf ins Kabinett, und wenn das Kabinett ihn freigibt, dann geht er in die Anhörung der Verbände.
Aber beschlossen wird der neue Landesentwicklungsplan in dieser Legislaturperiode nicht mehr…
Nein, dafür ist ein solcher Landesentwicklungsplan viel zu komplex, er betrifft ja nahezu alle Lebensbereiche: Wohnen, Arbeiten, Mobilität, Nahversorgung, Landwirtschaft, Energie und vieles mehr. All das braucht Fläche und muss in ein gesundes Gleichgewicht gebracht werden. Ein solcher Plan schafft dafür die Voraussetzungen und setzt die Leitplanken für die Entwicklung des Landes in den nächsten Jahrzehnten. Nicht kommunalscharf, sondern aus der Vogelperspektive. Die Regionalverbände machen entsprechend den Regeln, die wir vorgeben, ihre Regionalplanung. Das heißt, der Plan wirkt letztlich schon auf jede Kommune, aber über die Regionalplanung. Die kommunale Familie und viele Verbände müssen daher angehört und beteiligt werden. Das dauert natürlich. Und dann wird man sehen, wie es weitergeht. Braucht es eine zweite Beteiligung oder kann man dann entscheiden? Es war immer klar, dass in dieser Legislaturperiode kein Knopf drankommt. Aber wir sind sehr weit gekommen.
Haben Sie nicht die Sorge, dass am Ende alles zerpflückt wird?
Wir haben diesbezüglich vorgebaut, indem wir anders vorgegangen sind als die damalige Landesregierung beim letzten Landesentwicklungsplan. Der wurde in den 1990er Jahren vom Wirtschaftsministerium einfach geschrieben und dann 2002 beschlossen. Wir hingegen haben, bevor wir den ersten Entwurf geschrieben haben, nicht nur mit Bürgerinnen und Bürgern geredet, sondern auch mit den Verbänden. Vor allem mit der kommunalen Familie, weil ich den Anspruch habe, dieser Plan muss ein guter Plan für die Kommunen sein, weil dort die Entwicklung stattfindet. Dieser Plan muss den Kommunen Gestaltungsspielraum lassen. Der alte Plan, das zeigt sich jetzt nach so vielen Jahren, gibt vor allem den kleinen Kommunen zu wenig Beinfreiheit. Veränderung findet ja heute viel schneller statt als früher – klimatisch, wirtschaftlich, aber auch, was unsere Erwartungen angeht, wie wir leben, wohnen und einkaufen wollen, wie wir mobil sein wollen. Deswegen muss der neue Plan viel flexibler sein. Es muss ein Landesermöglichungsplan sein und kein Landesverhinderungsplan. Also keine Käseglocke, keine Zwangsjacke für das Land, sondern das Schaffen von Entwicklungsmöglichkeiten, und zwar im ganzen Land, in den Städten und im ländlichen Raum - mit der großen Überschrift, gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu ermöglichen. Und da haben wir eben bereits im Vorfeld mit den Betroffenen vieles besprochen und diskutiert. Vieles wurde uns ins Stammbuch geschrieben, vieles davon haben wir bereits aufgegriffen. Deswegen hoffe ich, dass diese Vorarbeit dem Ganzen so viel Stabilität verleiht, dass wir in der nächsten Legislaturperiode relativ schnell zu einem guten Ergebnis kommen.
Es hört sich nach viel Arbeit an, die da noch kommt und kommen muss. Möchten Sie Ihre Arbeit als Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen gerne fortsetzen? Und wie sehr würde es Sie schmerzen, wenn eine neue Koalition sich darauf verständigen würde, dass man das Ministerium nicht mehr braucht?
Zunächst einmal: Wir haben am 8. März Landtagswahl. Es geht jetzt erstmal darum, für uns, für die CDU, die Wahl zu gewinnen. Die CDU will mit Manuel Hagel die nächste Regierung anführen und alles andere folgt dann. Für mich ist wichtig: Ich möchte meinen Wahlkreis wieder gewinnen, das Direktmandat. Und wer in der Politik ist, möchte gestalten, und das möchte ich auch gerne in Zukunft machen. An welcher Stelle man mich brauchen kann, das entscheiden dann andere. Aber mir macht meine derzeitige Aufgabe sehr viel Freude.
Eine Wohnung ist nicht alles, aber ohne eine Wohnung ist alles nichts. Nicole Razavi Ministerin