Appell zur Versöhnlichkeit

  • Dr. Friedemann Eißler beim Vortrag in Kirchberg über den Tempelberg, der Zankapfel dreier Religionen ist. Lothar Schwandt

Religion Ein hochkomplexes Thema überzeugend dargeboten hat Dr. Friedemann Eißler, Islambeauftragter der württembergischen Landeskirche, bei der „Kirche am Abend“ in Kirchberg.

Dreimal im Jahr findet das Distriktprojekt „Kirche am Abend“ in Kirchberg statt, und zwar in der Aula der August-Ludwig-Schlözer-Schule, die sich als idealer Veranstaltungsort erwiesen hat. Offenbar trug auch die spannungsgeladene politische Situation in Israel und Palästina dazu bei, dass sich viele Zuhörer einfanden. Musikalische Einlagen der Jazzband „Combo Wabohu“ und der gottesdienstliche Rahmen sorgten dafür, dass sowohl die Wortbeiträge der Sprecher aus dem Halbrund der Aula als auch der Vortrag selbst wirkungsvoll zur Geltung kamen – Zeiten des Nachdenkens inbegriffen.

„Ein Berg, drei Religionen – und nun?“ hieß das Thema, mit dem Beate Scharr vom Vorbereitungskreis in die Problematik einführte. Gemeint ist der Tempelberg in Jerusalem. „Obwohl er ein Modellfall für die Koexistenz dreier Religionen sein könnte, ist er zum Konfliktberg geworden“, fügte sie hinzu, „aber es gibt Hoffnungsansätze.“

Gesprochene Stimmen aus dem Heiligen Land und von Betroffenen hier umrissen die verschiedenen Haltungen zu diesem Konflikt. Die einzelnen Statements reichten von „Gegen Israel darf man nichts vorbringen“ bis zur Feststellung, was arabische Christen an den israelischen Checkpoints erleben. Eine höchst schwierige Gemengelage des machtpolitischen Konflikts im Nahen Osten um das Existenzrecht Israels also, dessen religiöse Wurzeln Eißler anschaulich erhellte. Abraham gilt als Stammvater der drei Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam, wobei sich schon mit seinen Söhnen Ismael und Isaak die Segenserwartungen entscheidend verschieben, mit der die unterschiedlichen Positionen bis heute begründet werden. Während das Alte Testament betont, dass auf dem Berg Morija Isaak geopfert werden sollte, wird er im Koran zum namenlosen Berg und ist nach jüdischer Überlieferung der Standort des späteren Tempels.

Sehr anschaulich belegte Dr. Friedemann Eißler, Islambeauftragter der württembergischen Landeskirche, die Bedeutung Jerusalems als Pilgerort für Muslime mit Suren aus dem Koran, „dass Allah das geheiligte Land für euch bestimmt hat“, nachdem Muslime anfangs von Mekka aus mit Blickrichtung nach Jerusalem gebetet hätten. Auch der von Muslimen verehrte Fußabdruck Mohammeds nach seiner geheimnisvollen „Nachtreise“ nach Jerusalem unterstreicht die Bedeutung des Tempelbergs für Muslime als dritte Pilgerstätte neben Medina und Mekka.

„Wesentlich geschürt wurde der politische Konflikt jedoch von christlicher Seite, denn erst die brutale Judenverfolgung seit dem 19. Jahrhundert schuf hier den Nährboden“, so der Referent. Dabei verwies er auf die unglückliche Haltung der Mandatsmacht Großbritannien mit der Balfour-Deklaration von 1917, die einen arabischen Nationalismus erstarken ließ und den Großmufti Amin al-Husseini als dessen politisch-religiöses Oberhaupt einsetzte. Ein Foto, das diesen im trauten Einvernehmen mit Adolf Hitler zeigte, sprach Bände und unterstrich das stillschweigende Einvernehmen beider, einschließlich der gnadenlosen Verfolgung und Ermordung von Juden im NS-Staat.

„Was ist unsere Aufgabe als Christen?“, fragte Eißler in die Runde. „Gott hat den Bund mit Israel nicht aufgelöst“, zitierte er aus Römer 11, „denn nicht du trägst die Wurzel, sondern die (jüdische) Wurzel trägt dich.“ Unmissverständlich aber legte er dar, dass es bereits in der jüdischen Geschichte viele Irrwege Israels gab, auf die die Propheten immer wieder Einfluss zu nehmen versuchten und warnte vor vorschnellen Endzeiterwartungen und -versprechungen. „Der biblische Begriff Israel ist nicht einfach gleichzusetzen mit dem heutigen Staat Israel und dem gegenwärtigen Judentum.“

Solidarität und Würde

Die ideale christliche Perspektive bedeute jedoch Solidarität mit Israel, ohne die Würde und Rechte der Menschen in Palästina abzuwerten.

„Autumn leaves“ – Blätter im Herbst – spielte zum Auftakt die Combo-Band mit Michael Druschel, Johannes Lindner, Rainer Daubek, Erhard Pfündel und Hansjörg Scharr, jazzige Rhythmen sorgten für einen gelungenen Abschluss dieses Abends, der die Entstehung von Feindbildern offenlegte und zur Versöhnlichkeit aufrief.

Info Im Kino Klappe wird am morgigen Freitag um 18 Uhr der Film „No other land“ mit Siham Skocic, Deutsch-Palästinenserin, und Eran Bar-Am, Deutsch-Israeli, mit anschließendem Filmgespräch gezeigt.

Obwohl der Tempelberg ein Modellfall für die Koexistenz sein könnte, ist er Konfliktberg. Dr. Friedemann Eißler Referent

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