Roman
Uta zieht ihren Mantel aus, taucht ihn ein und legt ihn sich um. Der rote Storch über dem Eingang zum Wirtshaus steht in Flammen. Es sieht aus, als würde er mit seinen hölzernen Flügeln schlagen. Uta weiß noch, dass sie dringend etwas aus dem chinesischen Teehaus holen wollte. Sie weiß nur nicht mehr, was.
Mit einer Hinterpfote kratzt sich der blaue Fuchs hinter dem Ohr, dann schnürt er quer über das Kopfsteinpflaster davon. Uta hat Mühe, ihm zu folgen. In der Kronengasse dreht sie sich noch einmal um. Aus dem Glockenturm des Münsters fauchen die Funken, als wäre es ein bengalisches Feuer. Wie flatternde Fackeln umkreisen ihn die Raben. Ein Funkenwind tost um die Ecke zur Winkelgasse. Dort wartet der blaue Fuchs. Uta zögert. Dort möchte sie nicht hinein. Das ist die ganz alte Stadt. Wenn all diese Feuer einen Herd haben, dann liegt er dort. Wenn all diese Brände sich zu einem Ereignis vereinigen, dann dort. Wenn diese Geschichte ein Ende finden will, dann dort. Der blaue Fuchs läuft los, also zieht Uta den nassen Mantel über den Kopf und folgt ihm hinein in den Feuertunnel der Winkelgasse.
Die Fachwerkhäuser brennen, wie nur Fachwerkhäuser brennen können. Kein Stein. Das Feuer nimmt alles, was es finden kann, und zieht es gierig nach oben weg in den Kamin, den es geschaffen hat. Die Häuser sind nur noch glühende Gerippe aus lodernden Balken. Röntgenhäuser. Funkenhäuser. Die ganze Altstadt scheint in schwerelosem Aufstieg begriffen, in ihrer Auflösung in Hitze. Es verbrennt Uta Augenbrauen und Haare. Aber der blaue Fuchs läuft weiter. Uta stolpert hinterher.
Endlich öffnet sich die Gasse zu einem winzigen Platz, den sie schon kennt. Im Zentrum der kleine Brunnen. Sein Wasser kocht. Utas Mantel dampft. Ihre Haut wirft Blasen. Sie dreht sich im Kreis. Ein einziges Haus steht noch verschont. Weiße Vorhänge hinter unversehrten Fenstern. In den Blumenkästen frische Geranien. Über dem Türstock die Inschrift ANNO DOMINI MDXCVII.
Der blaue Fuchs hüpft auf eine Fensterbank und von der Fensterbank in den Türstock. Dort verharrt er im Halbrelief. Das Tierchen hat den Kopf gesenkt und eine Pfote gehoben. Als nähme es gerade Witterung auf.
Theo öffnet die Tür. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr! Und Uta tritt ein.
Aus dem Ginsterburger Anzeiger
vom 12. September 2025
FLIEGERBOMBE
IN GINSTERBURG
ENTSCHÄRFT
Um 18:45 Uhr kam endlich die Entwarnung. Erst nach mehreren Stunden gelang es am Freitag den Experten vom Kampfmittelräumdienst, einen rund 500 Kilo schweren Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg zu entschärfen. Nach Angaben der Stadt war die Aufgabe „herausfordernd“. Die englische Fliegerbombe hatte einen intakten Zünder, der zudem noch schwer zugänglich war. Der Blindgänger war am Donnerstag bei Ausschachtungen für das neue Altstadt-Parkhaus von Bauarbeitern entdeckt worden. Ein Bagger legte den Blindgänger frei, der in zwei Meter Tiefe mit der Nase nach unten lag. Die Bombe wurde herausgehoben, aufgebockt und anschließend in einem Zelt entschärft.
Zwei Kilometer rund um die Fundstelle unweit des historischen Marktplatzes war von der Polizei aus Sicherheitsgründen evakuiert worden. Rund 3000 Menschen in Ginsterburg hatten ihre Häuser und Arbeitsplätze verlassen müssen. Der Bahnverkehr war während der Entschärfung unterbrochen. Rund 160 Menschen nutzten die Räumlichkeiten des Zisterzienserklosters oder die Sporthalle des TuS Ginsterburg als Notunterkunft. Für etwa 500 Schüler*innen der Gustav-Hansemann-Gesamtschule fiel der Unterricht aus. Mittlerweile konnten alle Evakuierten in ihre Wohnungen zurückkehren.
Die Fliegerbombe wird nun vom Kampfmittelräumdienst nach Kiel transportiert. Die letzte Station ist dann Munster in Niedersachsen. Dort wird die Bombe zersägt und verbrannt.
ENDE
In der nächsten Ausgabe beginnt der neue Fortsetzungsroman: „Lautlose Feinde“ aus der Krimireihe „Lost in Fuseta“ von Gil Ribeiro.
Fortsetzung folgt
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