„Begonnen hat der Krieg schon 2014“
Vortrag Der Journalist Franz Feyder berichtet in der Hospitalkirche von der aktuellen Lage in der Ukraine. Verloren sei der Krieg nicht, die Ukraine leiste weiterhin mutigen Widerstand gegen den russischen Aggressor.
Es sind Bilder, die sich einbrennen. Verwüstete Dörfer, ausgebrannte Panzer, Soldaten mit leerem Blick. Mit einer kurzen Fotostrecke eröffnet Franz Feyder seinen Vortrag in der Hospitalkirche in Schwäbisch Hall. „Das sind Eindrücke, die mich täglich begleiten“, sagt der Reporter der Stuttgarter Nachrichten, der seit Beginn des russischen Angriffskriegs immer wieder aus der Ukraine berichtet.
Die journalistische Perspektive
Auf Einladung der Volkshochschule (VHS) Schwäbisch Hall spricht Feyder am Dienstagabend über seine Erfahrungen an der Front. Marcel Miara, Noch-Leiter der VHS und designierter Bürgermeister für Soziales und Kultur der Stadt Schwäbisch Hall, begrüßt den Journalisten: „Heute hören wir eine Innenansicht des Kriegs.“ Sein Haus bemühe sich, schwierige Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. In den vergangenen Monaten habe man bereits verschiedene Positionen zum Krieg in der Ukraine diskutiert – mit Feyder komme nun die journalistische Perspektive hinzu.
Feyder beginnt mit einer historischen Einordnung. Der Krieg, sagt er, habe nicht 2022, sondern bereits am 24. Februar 2014 begonnen – mit der Besetzung der Krim durch die sogenannten „grünen Männchen“ – russische Soldaten ohne Hoheitszeichen auf der Uniform. „Seitdem leben die Menschen in der Ukraine im Ausnahmezustand.“ Von den 603.000 Quadratkilometern Landesfläche seien heute rund 19 Prozent russisch besetzt. In der Ukraine lebten aktuell rund 37 Millionen Menschen. Seit 2014, so Feyder, habe der Krieg etwa 187.000 Todesopfer gefordert – Soldaten und Zivilisten. Zahlen, die er fast beiläufig ausspricht, und gerade dadurch wirken sie schwer.
Die Unabhängigkeit der Ukraine datiert auf den 24. August 1991. „Damals war das Land noch die drittgrößte Atommacht der Welt“, erinnert Feyder. „Was wäre, wenn sie das geblieben wäre?“ Eine rhetorische Frage, die nachhallt. Der Journalist spricht von einer Frontlinie von rund 1800 Kilometern, von denen auf etwa 200 Kilometern intensiv gekämpft werde. Doch der Krieg spiele sich längst nicht nur in Schützengräben ab, sondern auch auf wirtschaftlicher und geopolitischer Ebene.
Kampf um Rohstoffe
„Zentral sind die Vorkommen kritischer Rohstoffe in der Ukraine“, sagt der Reporter. Ohne diese Metalle und Mineralien seien weder Energiewende noch Elektromobilität in Europa denkbar. „Darum geht es in diesem Krieg auch – um Ressourcen und Einflusszonen.“ Die EU, so Feyder, müsse ihre strategischen Interessen in diesem Bereich „endlich klar definieren“. Er zeigt eine Zeitleiste des Kriegs, spricht über Putins Begründungen, über die angebliche „Entnazifizierung“ der Ukraine. „Was es damit auf sich hat, kann mir niemand erklären“, sagt er trocken. Für ihn stehe fest: Die russische Argumentation sei eine Täter-Opfer-Umkehr – „so wie 1939 zu Beginn des Zweiten Weltkriegs“. Besonders eindringlich zitiert Feyder Wladimir Putin vom Petersburger Wirtschaftsforum im Juni: „Wo der Fuß eines russischen Soldaten hintritt, das gehört uns.“ Das bedeute nichts anderes, als dass für den Kreml alles, was er erobert, russisch sei.
Permanente Zermürbung
Was Feyder dann schildert, lässt den Krieg plötzlich nah erscheinen. Er spricht von improvisierten Verteidigungsanlagen, vom Leben der Soldaten in den Gräben. Er erzählt von alten Menschen, die aus zerstörten Dörfern evakuiert werden, oft mit nichts dabei als einem Koffer und einer Plastiktüte. Und von den Luftangriffen, die das Land jede Nacht erschüttern: Raketen, Drohnen, Explosionen – „eine permanente Zermürbung“. „Sie finden kaum ein Dorf, in dem nicht Zivilisten beim Abzug russischer Truppen massakriert oder gefoltert worden sind“, sagt er. Besonders erschütternd sei das Schicksal verschleppter Kinder: „20.000 bis 25.000 sind es wohl. Manche werden im Darknet zum Missbrauch angeboten. Das ist das perfideste Kapitel dieses Kriegs.“ Die Härte des Kriegs unterstreicht ein schonungsloses Drohnenvideo der ukrainischen Armee von einem Infanteriekampf. „Die russischen Verluste sind enorm“, sagt Feyder. Eine russische Armee, 2024 neu aufgestellt mit 110.000 Mann, zähle inzwischen weniger als die Hälfte.
Feyder spart nicht mit Kritik an der deutschen Politik. „Spätestens 2003 oder 2004 war klar, was Putin vorhat. Aber die Politik hat nicht reagiert.“ Stattdessen sei die Bundeswehr weiter verkleinert worden. Zur Diskussion um die Taurus-Marschflugkörper sagt er: „Die derzeitigen ukrainischen Systeme haben zu geringe Reichweiten. Taurus wäre präzise genug, um die russische Logistik empfindlich zu stören.“ Putin habe Russland bereits auf Kriegswirtschaft umgestellt. „Wir befinden uns in Phase null eines möglichen Kriegs gegen Europa.“ Die vermeintliche Ruhe eines langwierigen Stellungskriegs sei trügerisch, man müsse genau beobachten, was im Baltikum geschieht.
Der Journalist spricht auch über die Macht der Propaganda. „Auf zwei seriöse Kanäle im Internet kommen zwanzig Fakes“, sagt er. Desinformation sei Teil des Kriegs, ebenso wirtschaftlicher Druck und politische Einflussnahme. „Wir sind längst in einem hybriden Krieg.“
Ohne Frauen läuft nichts
Als ein Zuhörer Feyder auf die „Boris-Johnson-Geschichte“ anspricht – jener Behauptung, der Westen habe Kiew 2022 vom Unterschreiben eines Waffenstillstands abgehalten – wird es laut im Publikum. Marcel Miara muss um Ruhe bitten. Feyder bleibt sachlich: „Wenn Sie mir belegbare Quellen dafür nennen können, gern.“ Es kommt keine. Gefragt nach der Rolle der Frauen im Krieg antwortet Feyder salopp: „Sie sind es, die den Esel am Kacken halten.“ Ohne sie würde in der Ukraine kaum etwas mehr funktionieren. Sie arbeiteten in Verwaltungen, Krankenhäusern, Schulen, führten Familien durch die Trümmer des Alltags. Und sie stellten sich dem Aggressor auch als Soldatinnen entgegen.
Am Ende wird Feyder gefragt, warum er überzeugt sei, dass die Ukraine gewinnen könne. Seine Antwort: „Der Widerstandswille im Land ist in Moskau dramatisch unterschätzt worden – und er wird immer stärker.“ Die allermeisten Ukrainerinnen und Ukrainer wollten in einem demokratischen Staat leben, als Teil Europas: „Wenn die Ukraine die nächsten Monate übersteht, kann sie Russland mit eigenen Drohnen und Raketen zunehmend unter Druck setzen.“
Darum geht es in diesem Krieg auch – um Ressourcen und Einflusszonen.
Wir sind längst in einem hybriden Krieg.
Der Widerstandswille im Land ist in Moskau dramatisch unterschätzt worden.