„Moderne brachte Sieder zu Fall“

  • Jana Hornung hat sich in ihrer Bachelorarbeit mit der Geschichte Halls beschäftigt. Foto: Tobias Würth

Geschichte Jana Hornung untersucht die Salzgewinnung. In ihrer geschichtlichen Bachelorarbeit ist sie auf einen Fakt gestoßen, über den es in Hall kaum Zeitzeugnisse gibt.

Mit dem Auto braust sie aus Freiburg in ihre Heimat Hall zum Interview an. Neuerdings weiß sie genau, was sich einst auf dem heutigen Parkplatz abgespielt hat, wo ihr Auto steht. Auf mehr als 100 Pfannen wurde auf dem Haalplatz Salz gewonnen.

Wie gefällt Ihnen Freiburg?

Jana Hornung: Wundervoll. Es ist wirklich sehr schön. Am Anfang war es überwältigend, wenn man halt aus Schwäbisch Hall kommt. Freiburg ist eine deutlich größere Stadt. Die Nähe zu Frankreich und der Schweiz ist toll. Ich bin kein Fan von riesigen Städten, aber Freiburg hat eine optimale Größe. Auch kunstgeschichtlich hat es viel zu bieten, sodass ich mich mit meinem Studienschwerpunkt gut aufgehoben fühle.

Warum haben Sie sich dann in der Bachelorarbeit auf Hall konzentriert?

Das hat alles damit angefangen, dass ich ein Seminar mit dem Titel „Gesellschaft und Umwelt in historischer Perspektive“ belegt habe. Dafür habe ich ein Hausarbeitsthema benötigt. Ich habe mir dann lange Gedanken gemacht. Eher zufällig bin ich auf Hall gestoßen, da ich mich sehr für Lokalgeschichte interessiere. Die Salzsieder sind etwas Einmaliges, vor allem mit ihren gesellschaftlichen Aspekten und Einfluss auf die Stadt. Das wurde zu meiner Seminararbeit.

Welche Aspekte der Salzsieder reichen denn in die Stadtbevölkerung genau hinein?

Die Sieder haben über Jahrhunderte einen deutlichen Teil der Gesellschaft geprägt. Es war ja eigentlich fast schon eine Art autonome Zunft, die sich daraus entwickelt hat mit einer ausgereiften Organisations- und Verwaltungsstruktur des Salinewesens. Zwischen acht und zehn Prozent der Bevölkerung in Schwäbisch Hall hat mittelbar und unmittelbar von dieser Salzherstellung gelebt. Noch heute besteht diese Tradition in den Events, wie dem Kuchen- und Brunnenfest, dem Hoolgaaschtfest oder am Tag des Salzes. Die Feste prägen noch heute die Identität der Stadt. Und die gehen eben auf die alte Tradition zurück.

Und diesen Aspekt aus der Hausarbeit haben Sie dann in der Bachelorarbeit vertieft?

Genau, aber auch erweitert. Meine Betreuerin ist auf Umweltgeschichte fokussiert.

Was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Umweltgeschichte beschreibt das interdisziplinäre Forschungsfeld aus der Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur und steht eng mit der Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Zusammenhang. Es geht um Natur- und Ressourcenfragen wie: Wie prägt der Mensch die Umwelt? In welcher Beziehung stehen beide zueinander? Inwiefern bedroht der Mensch im Verlauf der Jahrhunderte die Umwelt? Inwiefern ändert die Umwelt das Verhalten der Menschen? Ein Fokus kann auch auf Umweltereignissen liegen, wie einer Naturkatastrophe.

So wie der Ausbruch eines Vulkans, der so viel Asche spuckt, dass in Deutschland der Sommer ausfällt, wie im Jahr 1816?

Ja, das ist ein ganz großes umwelthistorisches Forschungsfeld. Und prinzipiell kann man sagen, dass in jedem kleinsten Detail eigentlich Umweltgeschichte steckt. Je genauer man etwas betrachtet, je mehr man etwas hinterfragt und die simpelsten Dinge mal wahrnimmt und auf sich wirken lässt, umso mehr merkt man: Überall kann Umweltgeschichte drinstecken. Das war mein Leitansatz. Zu großen Städten gibt es viele Studien, wie zum Beispiel für Köln. Aber für kleine Städte liegen relativ wenig Forschungen zu der Umweltgeschichte vor, deswegen war Hall für mich ein optimales Forschungsobjekt, um diese Lücken zu füllen.

Zumindest in Hall selbst sind die Sieder sehr bekannt. Hat Sie irgendetwas bei den weiterführenden Recherchen überrascht?

Ich hatte mehrere Überraschungsmomente. Am meisten verblüfft hat mich, dass die Sieder in der Stadt und der städtischen Gesellschaft einen so großen Platz eingenommen haben. Heutzutage denkt man sich: Ach, da waren mal früher ein paar Sieder. Nein, das war wirklich sehr groß angelegt. Ihr Handwerk und der Salzhandel hat wirklich die ganze Stadt durchzogen. Relativ viele Feste wurden veranstaltet, auch um den Brunnen zu segnen, oder nach Restaurations- und Säuberungsarbeiten am Brunnen.

Was haben die anderen in ihrem Studiengang so für Arbeiten vorgelegt?

Das war ganz, ganz kunterbunt gemischt. Ein guter Kommilitone von mir hat über Öl in Texas geschrieben, weil der eben ein Auslandsjahr dort verbracht hat.

Vielleicht aber dafür umso mehr auf den Holzeinschlag im Limpurger Land?

Klar. Das Pendant zum Salz ist ja der Holzanbau kocheraufwärts, also im Limpurger Land. Das ist natürlich auch Teil einer der größten Umweltkatastrophen, wenn man so sagen will.

Gab es Weiterentwicklungen?

Ja. Der Holzverbrauch war am Anfang wirklich enorm. Bis ins 18. Jahrhundert wurde nach der Gewöhrdmethode verfahren, bei der der Brunnensole salzhaltiges Material, das Gewöhrd, beigefügt wurde, um deren Konzentration zu erhöhen. Nach dem Auslaugen der Sole wurde diese unter ständigem Befeuern in einer Eisenpfanne so lange bereinigt, bis sich das Salz herauskristallisierte. Später wurde die Gradiermethode eingeführt, bei der man zuvor die Sole über Schwarzdornreisig tröpfeln lässt, um Wasser verdunsten zu lassen. Allerdings merkte man schnell, dass man nun mehr Profit machen konnte, sodass schnell wieder die alte, große Holzmenge benötigt wurde. Die Gradierwerke standen um das Haal und in Nähe der Auwiese, bei der späteren Neuen Salinenanlage. Noch heute weist der Name Salinenstraße darauf hin.

Umweltgeschichte scheint sich an dem Brettspiel „Die Siedler von Catan“ zu orientieren: Sole, Holz und dann noch die richtigen Handelswege ergeben die Möglichkeit, Punkte zu sammeln.

Auf jeden Fall. Wissenschaftlich sagt man auch dazu: ,Urban Metabolism‘, also der urbane Stoffwechsel. Dabei wird in der wissenschaftlichen Forschung darauf eingegangen, wie Menschen natürliche Ressourcen nutzen, in welchem Zusammenhang diese stehen, und wie man was ausgebeutet hat. Vieles steht in Wechselwirkung miteinander. Die Industrialisierung mit dem Salzabbau aus Bergwerken hat die Haller Methode der Salzgewinnung schnell in den Schatten gestellt. Die Moderne brachte die Sieder zu Fall. Vielleicht würden wir heute noch hier stehen und Sole in Pfannen kochen.

Darf man auch einen Blick nach vorne wagen in der Geschichtswissenschaft?

Ja. Was ich beleuchten will in der Arbeit: Ändern sich kleine Aspekte, kann das riesige Auswirkungen haben. Die Auswirkung auf die Limpurger Wälder muss enorm gewesen sein, nur weil in Hall die Solequelle sprudelte. Ich bin auch auf noch etwas gestoßen, über das es wenige Quellen gibt.

Verraten Sie es uns bitte!

Auf dem heutigen Haalplatz war ja das Haal. Also die Stätte, an der die Sole, die aus dem Brunnen kam, gesotten wurde. 30 bis 40 Häuschen standen dort, in denen rund um die Uhr Feuer brannte. Diese Abgase, die wurden einfach ausgeleitet. Es muss eine unerträgliche Luft gewesen sein. Weil sich Hall in einer Kessellage befindet, die Feuer ausgerechnet am tiefsten Punkt loderten, muss die dicke Luft auch in der Stadt selbst gezogen sein. Erst später gab es Verbesserungsansätze in Form von Ableitung in Dörrräumen.

Waren unsere Vorfahren also alle Asthmatiker?

(lacht) Kann sein. Ich habe dazu in den Quellen aber nicht so viel gefunden. Insgesamt kann man aber definitiv durch die Umweltgeschichte aus der Vergangenheit etwas für die Zukunft lernen. Wir können die Welt einfach umweltfreundlicher gestalten. Das ist ein Kernelement der Umweltgeschichte. Man möchte natürlich aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, man möchte diese negative Wechselwirkung des Menschen, der Natur natürlich in eine positive umwandeln.

Haben Sie Ihre Heimatstadt im Zuge der Arbeit mit neuen Augen gesehen?

Am Anfang von meinem Studium bin ich relativ viel in Freiburg gewesen. Jetzt war ich oft in Hall und auch im Stadtarchiv, das mich wunderbar unterstützt hat. Ich ertappe mich manchmal wirklich dabei, wie ich durch die Stadt gehe und Bilder von früher im Kopf habe und die Relikte der ehemaligen Salzherrlichkeit aktiv wahrnehme. Ich habe eben das Auto auf dem Haalplatz geparkt und mir mit Blick auf den Haalbrunnen das Schöpfwerk vorgestellt, das es damals gab. Es war für die Zeit revolutionär. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wieder zurück nach Hall zu kommen. Im Masterstudiengang steht ein Praktikum an, das ich im Stadtarchiv oder dem Hällisch-Fränkischen Museum absolvieren will. Ich könnte mir vorstellen, später einmal in einer dieser Einrichtungen zu arbeiten.

Ein Kernelement der Umweltgeschichte: Man möchte aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.

Abgase wurden einfach ausgeleitet: Es muss eine unerträgliche Luft gewesen sein.

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