Spielregeln entrümpeln

  • Guido Bohsem. Thomas Koehler/photothek.de

Der Föderalismus galt lange Zeit als fortschrittliche Regierungsform. Doch das in Jahrzehnten gewachsene System muss dringend überarbeitet werden. Es droht, das Land zu ersticken.

Stärker könnte die Zusammenarbeit der staatlichen Ebenen, die Kooperation von Bund, Ländern und Gemeinden, der Föderalismus nicht im Grundgesetz verankert sein. Ebenso wie der Artikel eins – die Würde des Menschen ist unantastbar – darf an der Organisation des deutschen Staates als Bundesstaat nicht gerüttelt werden. Niemand kann den Föderalismus in Deutschland abschaffen. Das hat natürlich mit der Geschichte zu tun, dem Umstand, dass Deutschland lange Zeit als munterer Flickenteppich kleinerer Fürstentümer existierte und dass die Nazis die föderale Ordnung der Weimarer Zeit zerschlugen, die Landtage auflösten und die Länder staatsrechtlich zu Verwaltungsbezirken degradierten, um einen einheitlichen Führerstaat zu schaffen.

Wenn nun in der Bundesregierung und in einer Kommission an einer grundlegenden Reform des Föderalismus gearbeitet wird, ist dabei immer klar, dass es den Föderalismus an sich auch noch nach der Reform geben wird. Was auch immer dabei herauskommt, einen zentralistisch organisierten Staat wie beispielsweise Frankreich wird es nicht geben. Und trotzdem ist es etwa zwanzig Jahre nach der jüngsten Föderalismusreform an der Zeit, die Spielregeln der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und den Ländern untereinander zu überdenken.

Der Bedarf ist riesig. So listete das ifo-Institut gerade eben über 500 unterschiedliche Sozialleistungen auf Bundesebene auf, die allerdings in sehr vielen Fällen durch die Länder oder die Kommunen ausgeführt werden müssen. Die Länder verfügen selbstverständlich noch über eigene Sozialleistungen. Es ist nicht nur unmöglich, die Wirkung dieser Leistungen zu beurteilen. Der Normenkontrollrat hält diese Aufgabenzersplitterung an sich für schädlich, weil es dadurch ungeheuer schwierig ist, ähnliche Aufgaben und Leistungen zusammenzufassen und einheitlich zu behandeln.

Auf der anderen Seite gilt das Versprechen, dass die Länder voneinander lernen, eigentlich nicht mehr. Das kann man in der Bildungspolitik erkennen, wo manche Länder durchgehend gute Ergebnisse erzielen und manche Länder eben nicht. Die Schlechtesten könnten sich ja an den Besten orientieren und sich deren Konzepte zu eigen machen. Das geschieht aber nicht. Genauso wie es keine Vereinheitlichung beim digitalen Handwerkszeug der Verwaltung gibt. Auf Gemeindeebene kommen derzeit über 10.000 verschiedene Systeme zum Einsatz. Aussicht auf Besserung: eher schlecht. Alleine über eine Vereinheitlichung der Software in den Steuerbehörden und Finanzämtern wird seit einem Vierteljahrhundert erfolglos beraten.

Eine Reform, mit der all diese Missstände beseitigt oder zumindest gelindert werden könnten, wäre zwingend notwendig – auch um den Landesparlamenten wieder mehr Spielraum und damit Legitimation zu verleihen. Viele sagen, Digitalisierung hilft da weiter. Das ist richtig, aber nur bedingt. Denn es bringt nichts, Vorgänge zu digitalisieren, die auch dann noch kompliziert, verworren und undurchsichtig sind. Die Reform muss also beides können, vereinfachen und dann digitalisieren.

leitartikel@swp.de

Es bringt nichts, Vorgänge zu digitalisieren, die auch dann noch kompliziert und verworren sind.

VORHERIGER ARTIKEL NÄCHSTER ARTIKEL