Zwischen Mordakten und Mikrofon
Unterhaltung Der Haller Jan Wiechert steigt mit einer eigenen Produktion ins Podcast-Game ein. Sein Sujet: historische Kriminalfälle aus ganz Deutschland. Dabei trifft True Crime auf Geschichte.
Wenn Jan Wiechert in der ihm eigenen ruhigen Art über alte Akten spricht, leuchten seine Augen. „Im Archiv zu sitzen, das ist für mich wie eine Schatzsuche“, sagt der 42-Jährige. Seit rund zehn Jahren befasst sich der gebürtige Riedlinger mit Regional- und Sozialgeschichte – bevorzugt mit den düsteren Kapiteln der Vergangenheit und oftmals lokal in der Hohenloher Region verortet. Nun bringt er diese Leidenschaft ins Ohr seiner Hörerinnen und Hörer: Mit seinem neuen Podcast „Böses Blut – True Crime trifft Geschichte“ widmet er sich wahren Kriminalfällen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert aus ganz Deutschland.
Keine Schauergeschichten
„Mich interessiert das Leben der kleinen Leute“, erklärt Wiechert. „Gerade Kriminalfälle erzählen unglaublich viel über gesellschaftliche Verhältnisse, über Moral, über das, was Menschen als richtig oder falsch empfunden haben.“ Dabei geht es ihm nicht um reißerische Schauergeschichten, sondern um Einblicke in den Alltag früherer Zeiten. „Eine Mordakte aus dem 18. Jahrhundert enthält oft mehr über das Alltagsleben als jede Steuerliste“, sagt er.
Vom Erzieher zum Archivar
Wiechert ist kein studierter Historiker – und gerade das sieht er als Vorteil. Nach einer Ausbildung zum Erzieher fand er über Umwege in die Welt der Archive. „Ich habe den Leiter des Hohenlohe-Zentralarchivs im Lesesaal kennengelernt“, erzählt er. „Daraus hat sich eine Zusammenarbeit entwickelt – zunächst in der Bildungsarbeit, später bei der Erschließung von Archiv-Beständen.“ Bald leitete er Kurse zum Lesen alter Schriften und arbeitete an regionalhistorischen Publikationen mit. Heute bezeichnet er sich als selbstständigen Geschichtsvermittler, bietet Lesekurse an und hält Vorträge – etwa zu kriminalhistorischen Themen. „Ich habe nie Geschichte studiert, aber ich weiß, wie man Geschichte vermittelt“, sagt er. „Ich schreibe und spreche für Menschen, die sich einfach für Vergangenheit interessieren – nicht für Fachleute.“
Komplett in Eigenregie
Der Schritt zum Podcast lag für Wiechert nahe. „Ich habe jahrelang Lesungen gemacht, über historische Kriminalfälle gesprochen. Ob ich nun vor Publikum stehe oder ins Mikrofon spreche – das ist gar nicht so verschieden“, meint er. Gemeinsam mit dem Haller Musiker und Tontechniker Jan Schellenberger produziert er den Podcast komplett in Eigenregie.
Wiechert übernimmt die Recherche und die Moderation, Schellenberger Schnitt und Ton. „Ich bin froh, dass jeder macht, was er am besten kann. Ich hätte keine Geduld für die Technik – und Jan wahrscheinlich keine Lust, drei Tage lang in einer alten Akte zu lesen“, lacht er. Unterstützt werden die beiden noch von Katharina Merz aus Öhringen in den Bereichen IT und Social Media. Aufgenommen wird übrigens bei Jan Wiechert zu Hause: Er residiert, wie es sich gehört für einen der Geschichte verfallenen Menschen, stilecht in einem historischen Haus in der Schwäbisch Haller Altstadt.
Zwischen Kirche und Kerker
Die Recherche für jede Folge ist aufwendig. „Im Schnitt brauche ich etwa eine Woche pro Fall“, erklärt Wiechert. Seine Hauptquellen: Justizakten, zeitgenössische Zeitungsberichte und Kirchenbücher. „Einige Berichte sind digitalisiert, das spart Zeit. Andere muss man sich mühsam zusammensuchen.“ So auch in der ersten Folge, die den Fall der Marie Schluchter behandelt, einer Dienstmagd aus ärmlichen Verhältnissen, deren Schicksal 1911 in Heilbronn für Aufsehen sorgte. Mehr soll an dieser Stelle natürlich noch nicht verraten werden. „Von solchen Menschen bleibt oft kaum etwas in den Quellen zurück – und doch erzählen ihre Geschichten viel über ihre Zeit“, sagt Wiechert.
Echte Fälle von früher
Während viele True-Crime-Formate auf moderne Fälle setzen, will Wiechert den historischen Blick schärfen. „Es gibt unzählige True-Crime-Podcasts – aber kaum jemand beleuchtet die Kriminalität der Vergangenheit“, sagt er. „Unser Alleinstellungsmerkmal ist klar: Wir erzählen echte Fälle aus einer anderen Epoche.“ Die Spannbreite reicht vom Raubmord bis zum Justizirrtum – immer mit einem Blick auf die sozialen Hintergründe. „Ich will, dass die Hörenden verstehen, wie Menschen damals gedacht, gefühlt, gelitten haben. Geschichte ist nicht staubig – sie ist menschlich.“
Einfach ausprobieren
16 Folgen sind bereits in Arbeit, die ersten drei fertig produziert. Alle drei Wochen soll eine neue Episode erscheinen – ein Rhythmus, der Qualität garantieren soll. „Ich will sauber recherchieren. Das braucht Zeit“, sagt Wiechert. Finanziert wird das Projekt zunächst aus eigener Tasche. Perspektivisch soll sich der Podcast über Patreon-Abos und Werbepartner tragen. Auch Live-Events seien denkbar, sagt der Geschichtsvermittler. „Ich habe noch nie verstanden, was am Live-Podcast eigentlich so spannend ist“, sagt er und lacht. „Aber vielleicht muss man das einfach ausprobieren.“
Wechselnde Gastsprecher
Zum offiziellen Start des Podcasts lädt Jan Wiechert alle ein, die zum Gelingen des Projekts beigetragen haben – vom Grafikdesigner bis zur Sprecherin. „Viele haben sozusagen ehrenamtlich geholfen, das wollen wir gemeinsam feiern.“ In den Folgen selbst verleihen übrigens wechselnde Gastsprecher historischen Figuren ihre Stimme – darunter Mitarbeiter des Haller Stadtarchivs oder Schauspieler der Freilichtspiele Schwäbisch Hall. „Am Ende geht es immer um eines“, sagt Wiechert. „Menschen erzählen Geschichten über Menschen. Und manchmal steckt die Wahrheit eben tief in den Akten.“
Geschichte ist nicht staubig – sie ist menschlich.