Zehntscheuer platzt nahezu aus allen Nähten

  • Die Kunstwerke der jungen Balinger Generationen wurden mit regem Interesse wahrgenommen. Hans-Georg Auber
  • Oberbürgermeister Dirk Abel richtete einige Grußworte an das Publikum. Hans-Georg Auber

Kultur Die Vernissage „Balingen beyond“ lockte dieser Tage zahlreiche Interessierte in die Zehntscheuer. Im Fokus steht die Jugend.

Dieser Tage hieß es unter dem vieldeutigen, englischen Titel: „Balingen Beyond“. Und im aufklärerischen Untertitel: „Jugendliche Perspektiven durch Kunst enthüllt!“ Diese Klarstellung tut gut. Wird doch gerade Kunst, die doch alles „zeigt“, als eine Disziplin betrachtet, die am Ende mehr Fragen der Interpretation aufwirft, als zur Klärung beiträgt.

So steht nicht selten der Vorwurf im Raum, sie sei geheimniskrämerisch, mithin sie verhülle mehr als sie zeige. Also Zeit, in der Zehntscheuer etwas zu „enthüllen.“ Es soll allerdings in der Kunstgeschichte Künstler gegeben haben, daran sei erinnert, deren Konzept von Kunst genau das Gegenteil bedeutete: Verhüllen, um zu enthüllen.

Wirklichkeit junger Menschen

Nun wollte man in der Zehntscheuer bewusst den entgegengesetzten Weg gehen. Die Kunst der Jugendlichen soll enthüllen. Ja, was denn? Unter der veranstaltenden Regie der Mobilen Jugendarbeit/Streetwork Balingen wurde seit Monaten geplant, die Lebenswirklichkeit der heutigen Generation, so wie sie sich in Balingen fühlt und lebt, abzubilden. Und das mit einem Kunstbegriff, der nicht einengt und kanalisiert, sondern sich durch seine Vielfalt auszeichnet und Perspektiven eröffnet.

Gerhard Eppler von der Mobilen Jugendarbeit gibt in seiner Einführung einen Überblick über die Topografie der Ausstellungslandschaft in der Zehntscheuer. Der szenische Aufbau umfasst die unterschiedlichsten thematisch-künstlerischen Schwerpunkte. Von einem „lebensecht gestalteten Jugendzimmer“ (wirklich? Keine Wäsche auf dem Boden, keine Flaschen unterm Bett, viele Bücher im Regal!), vorbei an vier flimmernden Notebooks mit dokumentarischem Filmmaterial führt der Weg zur Literaturecke: echte Bücher, Skizzenbücher, Tagebücher, liebevoll dekoriert, mit einem offenen Kaminfeuer  auf gigantischem Flatscreen. An den Wänden Kunstwerke, Bilder, Skizzen, die in die Mode- und Medienecke führen.

Gegenüber dann Dokumente eines Comic-Workshops und ein „create your space“, der in Kooperation mit der Kunstschule entstanden ist. Und mitten im Raum ein Zelt. Ein Zelt als Musikzimmer mit Musik – auf Kopfhörern – von Balinger Musikern.

So erfährt man beim Gang durch die Ausstellung etwas „aus dem queeren Leben in Balingen, sowie Literatur und Poesie“, wie diese Jugendlichen oder jungen Erwachsenen ticken, was sie umtreibt und bewegt.

Zehntscheuer-Chef Christopher Seng hätte schon gerne in seinen Begrüßungsworten persönlich versucht, den öffentlich geäußerten Verdacht zu entkräften, dass hier „die Jungen den Alten ihre Meinung geigen“ würden. Aber die Ansprechpartner waren nicht zugegen. Davon könne keine Rede sein, verwahrte sich Seng gegenüber solchen Unterstellungen. Die Ausstellung baue keine Gegnerschaft zwischen den Generationen. Sie sei in keinster Weise konfrontativ. Im Übrigen sei er vom Publikumszuspruch geradezu überwältigt. Er bedankte sich bei der Stadt Balingen, von der Akzeptanz des neuen Ausstellungskonzepts in 2020, deren Erfolge man jetzt ernten könne, bis zur Unterstützung durch das Kreismedienzentrum Albstadt. In einer Ecke der Ausstellung zeigte das Kreismedienzentrum mit Robotern, Spielen und 3D-Drucker ebenfalls Präsenz. Für das Jahresmotto „Bildung“ der Balingen-Ausstellungen ist die Medienpädagogik und die kulturelle Bildung im Besonderen ein zentraler Bestandteil der Ausstellungskonzeption.

50 junge Leute beteiligt

Die Streetworker Gerhard Eppler und Lena Mispelhorn sprachen für die Mobile Jugendarbeit. Sie hoben hervor, dass an der Realisation dieser Ausstellung um die 50 junge Menschen beteiligt waren. Und sie zeigen mutig, ohne Scheu, die ganze Bandbreite einer Kunst, wie sie sie verstehen. Eine junge Ausstellungsmacherin vermutet: „Wir werden unterschätzt, wir können auch was.“ Und setzt noch einen drauf, an die älteren Generationen gerichtet: „Sie machen uns den Vorwurf, wir hätten die Aufmerksamkeit eines Goldfisches.“ Das sitzt – und man lächelt die Kritik einfach mal weg. Ein besonderer Dank der Streetworker geht an die Stadt Balingen als kommunaler Auftraggeber und die Mariaberger Heime als Träger der Jugendsozialarbeit. Ihrer Geduld und Experimentierlust verdanke man diese mutige Ausstellung. Doch ohne Sponsoren und Unterstützer wäre auch ein solches Event nicht zu bewältigen.

Der Abend endete mit einer besonderen „démonstration musicale“ des Schüler-Chores aus Royan, der Hymne der deutsch-französischen  Freundschaft schlechthin, und alle sangen mit: „Bruder Jakob“, deutsch, dreistimmig – mindestens!

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