„Das ist der coolste Stress, den es gibt“

  • Effedue, Ulm , Treffen mit Alessio Pedrozo, der auf Modeschauen in Monte Carlo und Mailand als Friseur durchstartet. Volkmar Könneke
  • Styling auf der Kiste: Backstage im Yachtclub in Monte Carlo.
  • Ein natürlicher Look für Miss Italia: Alessio Pedrozo mit Sofia Penco nach getaner Arbeit.
  • Die Werkzeugtasche eines Friseurs: Von Clipsen bis zum Föhn hat Alessio Pedrozo alles Wichtige dabei.

Handwerk Alessio Pedrozo hat im Turbogang seine Ausbildung zum Friseur absolviert und fix den Meisterbrief gepackt. Jetzt startet der 21-Jährige bei Modeevents in Mailand und Monte Carlo durch.

Seine vollen Locken stechen zuerst ins Auge. Sie erinnern an David, die Statue, die Michelangelo im Jahr 1504 schuf. Alessio Pedrozo (21) ist nicht aus Marmor und ohne Meißel mit prächtigem Haar gesegnet. Ein Kopfschmuck wie ein Aushängeschild für seinen Beruf: Er ist Friseur. Dank Talent und Zielstrebigkeit hat er in 27 Monaten Ausbildung und Meisterprüfung gepackt. Allein die Lehre umfasst sonst drei Jahre. „Er zählt zu den jüngsten Friseurmeistern Deutschlands“, sagt sein Vater Maxi Pedrozo stolz. Er ist Inhaber des Hairstudio Effedue in Ulm, der Filius arbeitet bei ihm, bringt aber nicht nur dort seine Kreativität ein. Alessio Pedrozo stylt Models auf wichtigen Events wie der Fashion Week in Mailand oder der Show des bekannten italienischen Mode-Labels Roberto Cavalli in Monte Carlo.

„Früher wollte ich Architekt, Chemiker, Psychotherapeut oder Programmierer werden. Ich habe alles ausprobiert, viele Praktika gemacht“, erzählt Alessio Pedrozo von seiner Berufsfindungsphase. Bei einem Aushilfsjob im Geschäft seines Vaters habe er dann festgestellt: „Das ist geil.“

Nach dem Fachabi besucht er die renommierte Meinighaus Akademie der Friseure im oberfränkischen Forchheim und legt rasante 22 Monate später einen Turbo-Abschluss hin. Mit Auszeichnung.

Kaum den Meisterbrief in der Tasche, ruft die Mailänder Fashion Week in Gestalt des Kreativ-Direktors der Haarpflegefirma Philip Martin’s. Alessio Pedrozo packt im Februar seine Tasche mit Föhn, Glätteisen, Lockenstab, Haarbändern und „1000 Clipsen“ ins Auto. Etwa 30 Models – darunter die im Frühjahr amtierende Miss Italia Sofia Penco – wollen im zum Studio umfunktionierten Raum eines Mailänder Museums für eine Modenschau gestylt werden. Es geht eng zu. Pedrozo ist erwartungsvoll nervös, hofft, dass er „nichts verkackt“. Und es läuft. Er behauptet sich in dem Backstage-Gewirr neben dem Chef der Friseure, Make-up-Artisten und Bekleidungs-Assistenten. „Ich bin voll ins kalte Wasser geworfen worden. Das ist die beste Möglichkeit, zu lernen“, blickt er zufrieden zurück.

Ob ganz natürlich oder mondän: Beim Briefing wird die Linie festgelegt. Alessio Pedrozo zieht den tief angesetzten „Sleek Zopf“ – ein straffer, glatter Pferdeschwanz – genauso perfekt wie er den avantgardistischen Messie-Look toupiert. „Wenn die Haare möglichst ,normal´ aussehen sollen, ist das für mich am schwierigsten“, sagt er. Die Miss Italia soll natürlich wirken. „Da kommt dann einfach der Pony nach vorne und man macht ein bisschen Wellen.“

In einer Stunde muss der Mann vier Models für den Laufsteg schön machen. Da könnte einem der kalte Schweiß ausbrechen, doch Pedrozo meint: „Das ist der coolste Stress, den es gibt.“

Und auf zur nächsten Herausforderung, in Monte Carlo. Anfang Mai steigt Pedrozo in den Flieger. Im exklusiven Yachtclub wollen Models für die Schau des bekannten Labels Roberto Cavalli gestylt werden. Den Yachtclub empfindet Pedrozo als eine unglaubliche, geradezu „majestätische Location“. Der ehrgeizige junge Mann gibt alles. In Monaco wird er gefeiert. „He’s the best!“, loben ihn die Models über den grünen Klee. Mehrere italienische Haarpflege-Firmen werden auf ihn aufmerksam, bieten ihm die Position des Creative Director Germany an. Doch der Überflieger aus Ulm lässt sich Zeit. Will erst einmal Erfahrungen sammeln.

Gerade aus Mailand zurück

Auch in Mailand muss Alessio Pedrozo Eindruck hinterlassen haben, denn vor wenigen Tagen ist er von der aktuellen Fashion-Week zurückgekommen. Doch sie ist für ihn noch nicht das Ende des Lernens und seiner Karriere. „Mich interessiert alles“, sagt er und zählt auf: Musik, Kunst und Wissenschaft. Er liebt Sprachen, die zu lernen ihm leicht fällt. Es ist für ihn selbstverständlich, sich bei den Models in ihrer Heimatsprache zu bedanken.

Es bleibt noch Zeit für Sport. Krafttraining und Thaiboxen gehören dazu und haben ihn zu dieser erstaunlichen Erkenntnis gebracht: „Der beste Kampf ist der, der nicht stattfindet.“ Modisch lässt er sich von Instagram inspirieren, streift durch Secondhandshops und bezeichnet seinen Stil als „sportlich-elegant“. Was das Essen anbelangt, hat er eine klare Linie: „Zu 95 Prozent kommt bei mir nichts Verarbeitetes auf den Teller.“ Industriezucker ist für ihn tabu. Er mag Steak mit Avocado-Salat und Süßkartoffeln und meint: „Um Geld zu sparen, koche ich lieber selbst.“

An seiner Arbeit gefällt ihm die Kombination aus Kreativität und unternehmerischem Denken. Er denkt weit voraus: „Mein Ziel ist es, einmal Paris und London zu erobern.“ Ulm ist für ihn sein Geburtsort, er empfindet die Stadt nicht als seine Heimat. Denn er verfolgt die Philosophie „Meine Heimat ist überall“.

So sehr sich der erfolgreiche Friseurmeister mit dem beschäftigt, was auf den Köpfen wächst, ihm ist das, was drinnen im Kopf passiert, mindestens genauso wichtig: denken.

Alessio Pedrozo ist Viel- und gerne Nachdenker. Sein Kopf gebiert Visionen im großen Stil. Das Haus, in dem er einmal wohnen will, ist in seiner Vorstellung voll präsent. Er kann es nicht nur als „avantgardistisch, brutalistisch und elegant“ beschreiben, sondern kennt all seine Details: „Man betritt durch ein Tor den Hof mit schwarzen Fliesen und grünem Rasen, rechts parkt ein Motorrad, eine Ducati oder Harley. Links im Eingang an der Wand ist die Schlüsselablage. Mitten im Raum hängt ein weißes Auto schräg an Seilen.“ Der Haarkünstler ist überzeugt: „Man muss sich erst mal im Kopf zu Hause fühlen. Dann kann man alles machen.“

Meine Heimat ist überall. Mich interessiert alles. Sprachen, Musik, Kunst, Wissenschaft.

Ich bin ins kalte Wasser geworfen worden. Das ist die beste Möglichkeit, zu lernen.

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