KI wacht über Lederhof
Sicherheit Der „Digitale Begleiter“ nutzt neueste Technik, um Menschen im öffentlichen Raum ein sicheres Gefühl zu geben.
Ein QR-Code am Eingang, ein Griff zum Smartphone – schon ist der Digitale Begleiter aktiv. Wer am Lederhof unterwegs ist, kann sich ab jetzt per App durch das Ulmer Problem-Areal begleiten lassen. Sieben Kameras, verbaut am Rondell und am angrenzenden Parkhaus, wachen mit künstlicher Intelligenz (KI) über das Gelände. Sie zeichnen keine Gesichter auf, sondern erkennen Menschen nur als Silhouetten. So bleibt die Anonymität gewahrt.
Wer die App startet, sieht auf dem Bildschirm einen roten Notfallknopf. Wird er dreimal gedrückt, schlägt das System Alarm: Beim Parkwächter des Deutschhauses geht ein Hinweis ein, wo sich der Nutzer gerade befindet. Dort kann der diensthabende Mitarbeiter reagieren – selbst hingehen, Hilfe holen oder im Zweifel auch die Polizei rufen. „Die App ist für Leute, die sich abends alleine begleiten lassen wollen und etwas für ihr Sicherheitsempfinden tun möchten“, sagt Florian Mauer-Endler, Geschäftsführer der Ulmer Tech-Firma Beebucket, die die Anwendung mit entwickelt hat.
Noch steht der Digitale Begleiter am Anfang. Sechs Startpunkte mit QR-Codes gibt es bisher am Lederhof. Nur Android-Nutzer können die App bislang testen, eine Version für Apple soll in Kürze folgen. In der Praxis hakt es an manchen Stellen noch – die Verbindung zwischen App und Kameras läuft nicht immer reibungslos. Doch die Grundidee ist klar: Die App soll das Gefühl vermitteln, dass im Ernstfall jemand da ist, der zur Hilfe kommt. „Es ist ein spannender Prozess, die technischen Möglichkeiten sind riesig“, sagt Dominic Bäuerle, Leiter der Digitalen Agenda der Stadt Ulm, die das Projekt betreut.
Hinter der Technologie steckt inzwischen ein neues Unternehmen: Beyond Security. Es ist eine Ausgründung von Beebucket-Geschäftsführer Mauer-Endler und dem Ulmer IT-Unternehmer und Investor Gerhard Gruber von der Firma Exxcellent. Beide glauben an das Potenzial der Idee – und denken weit über Ulm hinaus. „Unser großes Ziel ist es, diese Technik europaweit auszurollen“, sagt Gruber. „Wir Europäer müssen für unsere Sicherheit selbst sorgen und dürfen das nicht China oder den USA überlassen. Hier kann etwas ganz Großes entstehen – made in Ulm.“
Lernendes System
Technisch betrachtet ist der Digitale Begleiter ein lernendes System. Die installierten Kameras liefern optische Daten, die von einer KI in Echtzeit ausgewertet werden. Sie erkennt sogenannte Anomalien – ungewöhnliche Bewegungen wie Stürze, Angriffe oder auffällige Haltungen. Bemerkt die KI einen möglichen Vorfall, wird ein Mensch, im Beispiel des Lederhofs ist es der Parkhauswächter, informiert. Der kann die Situation prüfen und gegebenenfalls handeln, etwa durch eine Veränderung der Beleuchtung oder das Abspielen eines akustischen Signals. Ziel ist es, im Ernstfall wertvolle Sekunden zu gewinnen.
Noch ist vieles in der Erprobung. Die App reagiert nicht immer stabil, die Abstimmung zwischen KI, Kamera und App muss verbessert werden. Auch die Nutzungssituation ist nicht ideal: Kaum jemand läuft gerne auffällig mit dem Handy in der Hand und dem Finger am Alarmknopf durch ein dunkles Areal. Deshalb soll sich die App in Zukunft automatisch aktivieren, sobald jemand den Lederhof betritt – ganz ohne QR-Code. Parallel plant die Stadt, den Test-Bereich technisch weiter aufzurüsten. Rund um den Lederhof sollen mehr als 20 sogenannte Multifunktionsstelen entstehen. Sie werden mit smarter Technik ausgestattet – Kameras, Lautsprecher, WLAN, Beleuchtung.
Sie sollen nicht nur für helleres Licht sorgen, sondern auch direkt mit dem Digitalen Begleiter verbunden sein. Die Testphase liefert Daten, aus denen das System lernen und sich verbessern soll. Finanziert wird das Projekt unter anderem über Bundesmittel und private Investitionen – insgesamt flossen bereits weit über eine Million Euro.
Wenn alles nach Plan läuft, soll der Digitale Begleiter Mitte 2026 am Lederhof im Vollbetrieb laufen. Was am Lederhof derzeit im Kleinen erprobt wird, könnte also bald auch im Großen Wirkung entfalten. Die Entwickler von Beyond Security denken längst über Ulm hinaus: Tiefgaragen, öffentliche Plätze in europäischen Metropolen – überall dort, wo Menschen sich unsicher fühlen, soll die Technik künftig helfen können.
Die Idee: Eine europaweit vernetzte Sicherheitsinfrastruktur, die auf Künstlicher Intelligenz basiert, ohne die Privatsphäre der Menschen zu verletzen. Bis 2028 peilt das Team mehr als zwei Millionen Downloads der App an.
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