Rassismus (k)ein Thema?

  • Debattenanstoß: Die Auswahl des Romans „Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen als Abi-Pflichtlektüre für berufliche Gymnasien hat Diskussionen über Rassismus ausgelöst. Foto: Christoph Schmidt/dpa

Schule Die Debatte um „Tauben im Gras“ als Abi-Pflichtlektüre köchelt weiter. Doch welche Rolle spielt das Thema überhaupt in Schule und Unterricht?

Die Debatte, die in Ulm begann, rollt durch das Land. Bundesweit berichten Medien über den Versuch der Deutschlehrerin Jasmin Blunt, den Roman „Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen, dessen Inhalt und Sprache Blunt als rassistisch und verletzend empfindet, als Pflichtlektüre für Abiturienten an beruflichen Gymnasien zu verhindern.

Kultusministerin Theresa Schopper hat sich festgelegt: Das Buch bleibt vorerst Abi-Lektüre. Die Grünen-Politikerin begründet ihre Entscheidung erstens formell: Der Abiturzyklus habe schon begonnen, einige Kurse behandelten das Buch bereits. Zweitens sagt Schopper, Koeppens Roman sei eben gerade geeignet, das Thema Rassismus im Unterricht zu behandeln.

Doch wie sieht es in der Praxis aus? Welche Rolle spielt das Thema Rassismus in Schulalltag, Unterricht und Lehrerausbildung? Und wie verbreitet sind Diskriminierungen im Bildungssystem?

Anspruch und Wirklichkeit

Zu letzterem ist die Studienlage ziemlich klar. Mehrfach wurde empirisch belegt, dass rassistische Diskriminierungen in Schulen vorkommen. So zeigte 2018 eine Studie der Uni Mannheim, dass angehende Lehrer im Fach Deutsch Grundschüler mit ausländischen Wurzeln bei gleicher Leistung schlechter benoten. Eine Berliner Untersuchung stellte 2017 fest, dass Leistungserwartungen von Lehrern sich an der ethnischen Herkunft von Schülern orientieren.

Wie heikel das Thema aktuell ist, merkt man, wenn man der Leitung eines Lehrer-Seminars, das Referendare ausbildet, eine Anfrage zum Thema mailt. Schnell antwortet ein Sprecher des dem Seminar übergeordneten „Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung“, verspricht schriftliche Auskunft und liefert drei Tage später ein fünfseitiges Dokument. Es umfasst mehrere Aspekte der „Behandlung von Rassismus und Diskriminierung in Schule und Vorbereitungsdienst“ und betont die Bedeutung einer „Leitperspektive Bildung für Toleranz und Vielfalt“. Zusammengefasst besagt es, das Thema nehme im Bildungssystem breiten Raum ein.

Doch spricht man mit Praktikern der Lehrerausbildung, stellen diese das als sehr theoretischen Anspruch dar. Verspricht man Quellenschutz, sagen sie Sätze wie: „Klingt gut, hat aber mit der Realität im Referendariat nichts zu tun.“ Angehende Lehrer müssten schauen, wie sie zwischen Unterrichtsvorbereitung, Hausarbeiten und Lehrproben ihr Pensum schaffen. Überlegungen zu diversitätssensibler Unterrichtsgestaltung hätten eher nicht die höchste Priorität.

Eine weitere Perspektive haben Hochschullehrer, die Lehramtsstudenten ausbilden. „Wenn überhaupt, kommen Studenten zufällig mit diesen Themen in Kontakt. Das ist nirgends in den Curricula systematisch verankert“, sagt etwa Albert Scherr von der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Gesellschaftspolitische Allgemeinbildung sei in der Lehrerbildung nirgends vorgesehen. Das Lehramtsstudium sei vorrangig auf fachliche Kompetenzen fokussiert. „Im Zweifel kann eine Lehrerin oder ein Lehrer die Ausbildung durchlaufen, ohne mit dem Thema Rassismus konfrontiert zu werden.“

„Das Thema Rassismus spielt in der Lehrerausbildung keine große Rolle. Das sollten wir dringend ändern und die Lehrkräfte angemessen aus- und fortbilden“, sagt auch Karim Fereidooni, Juniorprofessor der Ruhr-Uni Bochum und Experte für das Thema. Er habe „große Zweifel“, ob das Thema Rassismus in Schulen angemessen behandelt wird. „Im Deutschunterricht spielt es nach meinen Erfahrungen eine marginale Rolle. Es findet nur dann Eingang, wenn einzelne Lehrkräfte das machen.“ Zudem seien die üblicherweise verwendeten Schulbücher und anderen Unterrichtsmaterialien „gar nicht auf das Thema Rassismus ausgelegt“.

Dabei seien die Folgen schwerwiegend. Zum einen, weil Lehrer Repräsentanten des Staates sind: „Wenn Kinder und Jugendliche von denen rassistische Diskriminierung erleben, wirkt sich das besonders gravierend aus“, sagt er. Zum anderen hätten Lernprozesse eine wichtige Beziehungsebene, vieles hänge von Motivation und Vertrauen ab. „Genau das wird durch rassistische Diskriminierungen negativ beeinflusst“, sagt Fereidooni. „Die Folgen können gravierend sein. Da geht es um Bildungs-, Karriere- und letztlich Lebenschancen.“

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