Lebensbedrohliches Loch im Zwerchfell

  • Die Neugeborenen mit Zwerchfellhernien müssen beatmet und über eine Sonde ernährt werden. privat
  • Dr. Susanne Müller und Professor Martin Wabitsch. Sonja Fiedler
  • Zoe ist heute acht Jahre alt. privat
  • Ramona Herwig. Sonja Fiedler
  • Für die Neugeborenen und ihre Eltern ist der Start ins Leben nicht einfach. privat

Therapie In der Schwangerschaft erfährt Ramona Herwig, dass ihr ungeborenes Kind schwer erkrankt ist. Dank der modernen Medizin wird es gerettet.

Kein Tag ist so selten wie der 29. Februar – damit ist er ideal gewählt für den „Tag der seltenen Erkrankungen“. In Nicht-Schaltjahren wird dieser am 28. Februar begangen. Wenn nicht mehr als 5 von 10 000 Menschen an einer Krankheit leiden, gilt diese als selten. Kein Wunder also, dass werdende Eltern in der Regel nicht davon ausgehen, dass ausgerechnet ihr Kind betroffen ist. Auch Ramona Herwig traf es völlig unvorbereitet, als ihr Gynäkologe während einer routinemäßigen Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft den Verdacht einer Zwerchfellhernie bei dem ungeborenen Kind äußerte. „Er hat gesehen, dass der Magen zu weit oben liegt“, erinnert sich die Dornstadterin.

Eine Feindiagnostik in einer Spezialpraxis folgte, der Verdacht bestätigte sich: Durch eine Lücke im Zwerchfell, das den Bauchraum von der Lunge trennt, war der Magen nach oben in den Brustkorb gerutscht. Mitunter können es auch mehr Organe sein. „Dadurch konnte sich die Lunge nicht richtig entwickeln.“ Die Folge: ein verkleinerter linker Lungenflügel. Weil Kinder mit dieser Fehlbildung nach der Geburt unter Atemnot leiden, benötigen sie intensivmedizinische Betreuung – sie werden intubiert und künstlich beatmet, der Kreislauf wird medikamentös unterstützt.

So auch bei Herwigs Tochter Zoe, die in der Uniklinik Mannheim zur Welt kam, einem der beiden deutschen Zentren für Zwerchfellhernien: Das kleine Mädchen lag im Koma, wurde mehrere Tage an die sogenannte Ecmo-Maschine angeschlossen, eine künstliche Lunge, damit die eigene Lunge Zeit bekam, um sich zu entfalten. Es folgte eine Operation, bei der das Zwerchfell mit einem Patch verschlossen und die falsch liegenden Organe zurückverlagert wurden. „Dann wurden langsam die Medikamente reduziert.“ Als es ihr besser ging, wurde Zoé nach Ulm verlegt. Insgesamt acht Wochen lang waren Mutter und Kind in der Klinik.

Bei einer seltenen Erkrankung wie der Zwerchfellhernie eine Spezialklinik aufzusuchen, sei eine wichtige Entscheidung, sagt Herwig, die noch ein älteres Kind hat. „Sie haben dort einfach viel Erfahrung und wissen, was zu tun ist. Ich weiß nicht, ob meine Tochter in einer anderen Klinik überlebt hätte.“ Bis heute fahren sie nach Mannheim zu Nach-Untersuchungen. Da die Achtjährige als Folge der Hernie unter wiederkehrenden Darmverschlüssen leide, seien auch immer wieder Operationen notwendig.

Die Zwerchfellhernie ist eine lebensbedrohliche Krankheit. Viele Kinder haben auch weitere Fehlbildungen, etwa am Herzen, oder entwickeln als Folge eine Trichterbrust. Da die Erkrankung selten ist, fühlten sich viele Eltern mit ihren Fragen und Nöten alleingelassen, sagt Herwig. Der Verein „Zwerchfellhernie bei Neugeborenen“, der 2016 gegründet wurde, will die Familien vernetzen.

„Es ist so wichtig, mit jemandem zu sprechen, der versteht, was man durchmacht“, sagt Herwig, die zweite Vorsitzende des bundesweit agierenden Verbandes mit über 130 Mitgliedern ist: „Die betroffenen Eltern können mich jederzeit anrufen. Manche wollen nur weinen oder ihren Frust abladen.“ Sie weiß, was die Diagnose für eine Familie bedeutet. „Man weiß nicht, wie es ausgeht, ob das Kind überlebt. Das ist sehr belastend.“

Einmal im Jahr gibt es ein großes Treffen, alle drei Monate fährt die 35-Jährige nach Mannheim zum „Hernchencafé“, wo sich Betroffene austauschen können. Mit dem Verein wollen sie auch Aufklärungsarbeit leisten: „Wir wollen auf seltene Erkrankungen aufmerksam machen und ein Bewusstsein schaffen.“

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