Sich nicht von Hass anstecken lassen

  • Mitglieder der Metzinger Gemeinde der Zeugen Jehovas – Darina Ried, Mia und Emma Mrazovic, Maylin Abbenzeller und Carolin Mrazovic – packen einen Karton mit Geschenken und Karten der Anteilnahme für die Hamburger Gemeinde. Natalie Eckelt

Metzingen Um den Zeugen Jehovas in Hamburg Trost zu schenken, schicken die Gemeindemitglieder Karten mit Worten des Mitleids und der Anteilnahme nach Hamburg-Winterhude.

Rund eine Woche ist es her, dass in Hamburg sieben Menschen in einem Gebäude von Jehovas Zeugen durch einen Amoklauf ums Leben kamen. Der Schock über die grausame Tat sitzt auch bei den Zeugen Jehovas in Metzingen tief. „Die Nachrichten von dem bewaffneten Anschlag auf den Königreichssaal Hamburg-Winterhude und die schlimmen Folgen für unsere Schwestern, Brüder und Freunde haben uns sehr betroffen gemacht und wir leiden mit ihnen“, sagt Bruno Schaich, einer der Seelsorger der Metzinger Gemeinde. Ein großer Dank gebühre der Polizei und den Rettungskräften, die so schnell zur Stelle gewesen seien.

Zeitgleich wie in Hamburg fand auch im Metzinger Saal in der Lindenstraße am Tatabend ein Gottesdienst statt. Der Gedanke, dass die Gemeinde zur selben Zeit gesungen, gebetet und sich dann voneinander verabschiedet hat und daran, was den Gemeindemitgliedern in Hamburg dann passiert ist, sei entsetzlich. „Sie waren an dem Abend versammelt, weil sie das Gute lieben und anderen Gutes tun möchten. Wer uns kennt, weiß, dass Hass so weit weg ist von uns“, sagt Marlies Wekenmann aus Metzingen. Dass die Hamburger Gemeinde nun Ziel eines Gewaltakts wurde, ist für die Zeugen Jehovas hier unbegreiflich. „Man kann solch einen Hass gar nicht erklären“, sagt Carin Ried aus Neckartenzlingen. „Aber er nimmt in allen Bereichen zu. Wir dürfen uns selbst auf keinen Fall anstecken lassen.“

Jehovas Zeugen haben in Metzingen 105 Gemeindemitglieder mit 24 Kindern. Um ihrer Anteilnahme Ausdruck zu verleihen, haben sie kleine Geschenke und Karten mit tröstenden Worten und Bibeltexten angefertigt. Diese sollen in einem Karton mit großen Herzen darauf an die Gemeinde in Hamburg-Winterhude geschickt werden. „So möchten wir ihnen zeigen, dass wir in Gedanken bei ihnen sind, und dass wir hoffen, dass sie in ihrem unsäglichen Schmerz die nötige Kraft, Trost und Hoffnung aus Gottes Wort finden“, sagt Bruno Schaich. Die zehnjährige Mia aus Schlaitdorf hat eine Karte bemalt und darauf einen selbst ausgesuchten Text aus der Offenbarung geschrieben: „Gott wird jede Träne von ihren Augen abwischen und der Tod wird nicht mehr sein“, heißt es dort. Nach der Amoktat zum ersten Mal wieder in ihren „Königreichssaal“ zu kommen, wie Jehovas Zeugen ihr Kirchengebäude nennen, sei aufwühlend gewesen. „Anfangs war ich etwas nervös“, erzählt Marlies Wekenmann. „Aber als ich die anderen gesehen habe, war alles gut. Es war schön, mit allen zusammen zu sein.“ Trotzdem habe man die Sicherheitsvorkehrungen hochgefahren.

Der Metzinger Saal wird von den Gemeinden Metzingen, Nürtingen und Metzingen-Italienisch sowie von zwei kleineren russischen und einer portugiesischen Gruppe genutzt. In den beiden russischen Gruppen seien auch viele Zeugen Jehovas, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Jehovas Zeugen verweigern weltweilt den Dienst an der Waffe und wurden deshalb auch im Dritten Reich und später in der DDR verfolgt. Seit dem Jahr 2006 sind sie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit als Religionsgemeinschaft den großen Kirchen gleichgestellt.

Auch im Ermstal sind Jehovas Zeugen für ihren Haus-zu-Haus-Dienst und ihr Zeugnisgeben mit Trolleys, zum Beispiel auf dem Lindenplatz oder am Metzinger Bahnhof, bekannt. Dafür, dass weltweit Anteil an der schrecklichen Tat genommen werde, seien sie auch hier vor Ort sehr dankbar. Traurig sei man aber über die oft von Vorurteilen geprägte Berichterstattung, die angesichts des Leids der Opfer nicht nachvollziehbar sei. „Viele Aussagen über unsere Glaubensgemeinschaft in den Medien waren falsch oder schlecht recherchiert“, sagt Iris Rein aus Altdorf. Auch Maylin Abbenzeller aus Riederich ist bestürzt. „Die Opfer erleben eine so grausame Zeit. Für mich ist die Versammlung in Metzingen mein zweites Zuhause, ein Ort an dem ich mich sicher fühle. Unseren Brüdern und Schwestern in Hamburg wurde das geraubt.“ Kritik an der Religionsgemeinschaft weist die 23-Jährige zurück. „Wir halten uns an die Bibel und werden deshalb manchmal als anders oder schräg wahrgenommen. Aber alles, was wir tun, tun wir freiwillig aus Liebe zu unserem Gott und zu unseren Mitmenschen. Wir stehen für Gewaltlosigkeit und lieben den Frieden.“ Jetzt stehe das Bewältigen der Schreckenstat im Vordergrund. Für Ende März sei eine Gedenkansprache in Hamburg geplant. In einem Brief aus der Zentrale der Zeugen Jehovas an alle Gemeinden in Deutschland wurden auch die Metzinger Gemeindemitglieder am Donnerstagabend dazu aufgerufen, weiter für die Betroffenen zu beten, die diese traumatische Erfahrung gemacht haben.

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