Unterricht in Zeiten des Krieges
Ermstal Gemeinsam mit den Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke und Michael Donth war der Verein „Ermstal hilft“ in der Ukraine. Ziel war, sich einen aktuellen Eindruck von der Situation im Kriegsgebiet zu verschaffen.
Fünf Tage lang war eine Delegation von „Ermstal hilft“ gemeinsam mit den Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke (Grüne) und Michael Donth (CDU) in der westukrainischen Region Odessa unterwegs. Rund 140 Tonnen Hilfsgüter hat der Verein „Ermstal hilft“ seit Kriegsbeginn in die Oblaste Odessa, dort besonders Bessarabien, und Mykolajiw gebracht.
Die Auswahl der Hilfsgüter erfolgt in enger Abstimmung mit den Ukrainern. Neben drei eigenen Verteilzentren in Sarata, Arzys und Tarutino arbeitet „Ermstal hilft“ eng mit Hilfsorganisationen vor Ort zusammen. Bei jeder neuen Fahrt prüfen die Ermstäler, was mit den Lieferungen passiert und ermitteln den genauen Bedarf für den nächsten Transport.
Die jüngste Tour wurde, in Abstimmung mit dem Bundeskriminalamt, unter Geheimhaltung der Delegationsteilnehmer sowie wesentlicher Details der Tour, organisiert. Die Abgeordneten reisten zusammen mit Susanne Müller, der Rektorin des Bad Uracher Graf-Eberhardt-Gymnasiums sowie Simon Nowotni, Martin Salzer und Holger Weiblen von „Ermstal hilft“ mit dem Flugzeug an. Am Flughafen in Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau, stießen auch drei bewaffnete Personenschützer des BKA dazu.
Besondere Wertschätzung
Schon an der Grenze spürten die Ermstäler deutlich, dass die Delegation aus Politikern, Unternehmern und Schulleitern höchst willkommen ist. Erstes Ziel war das Rathaus der rund 31 000 Einwohner zählenden Stadt Arzys. „Schnell kristallisierte sich heraus, dass die ukrainische Seite den hochrangigen Besuch als ganz besondere Wertschätzung und Zeichen des Beistands empfand“, schildert Holger Weiblen seine Eindrücke. Mehrfach hätten die Ukrainer betont, sie empfänden es als sehr mutig, dass die Delegation trotz der aktuell schwierigen Lage angereist sei. „Das haben wir auf der Tour tatsächlich von allen Gastgebern gehört.“ Mehrfach hätten sich die Delegationsteilnehmer darüber unterhalten. Schließlich komme die Anerkennung von Personen, „die täglich den Risiken des Krieges ausgesetzt sind“.
Ziel der Delegation war es, sich vor Ort ein eigenes Bild zu verschaffen, abseits der sonst üblichen diplomatischen Wege und im direkten Kontakt mit dem Volk, quer durch alle Funktionen und Schichten. Dieser Wunsch wurde von den Ukrainern außerordentlich begrüßt. „Überall, wo wir waren, konnten wir feststellen, dass unsere Anwesenheit allen Zuversicht und Kraft gespendet hat.“ Das wiederum verstehe die Delegation als Auftrag, wie Holger Weiblen schildert: „Wir alle wollen der Welt erzählen, wie es in der Ukraine aktuell steht und wo geholfen werden sollte.“
Parallel zur Delegation um die Abgeordneten hatte sich ein Hilfskonvoi aus dem Ermstal auf den Weg gemacht. Die Fahrer waren unter Leitung von Horst König mit Ulrich Werz, Thomas Sauer und Jeremy Böhm mit zwei Kleintransportern und rund zwei Tonnen Hilfsgütern gestartet. Nachdem der bislang benutzte Grenzübergang Orlivka im rumänisch-ukrainischen Donaudelta bei Ismail durch zweifachen Raketenbeschuss zerstört worden war, musste ein Umweg durch Moldau gemacht werden. Als die Fahrer wohlbehalten in Arzys eingetroffen waren, ging es gemeinsam zum Gymnasium Nr. 5.
Bitterer Beigeschmack
Für die dortigen Schüler und Lehrer bringt „Ermstal hilft“ auf fast jeder Tour etwas mit, etwa Lehr- und Unterrichtsmaterial. Zwischen dem Gymnasium, der Bad Uracher Georg-Goldstein-Schule und der Schönbein-Realschule Metzingen bestehen schon länger Kontakte. Alle Beteiligten waren sich einig, dass Kinder jeden Alters im Krieg nicht vergessen werden dürfen. „Diese Wahrheit hat in einem Kriegsgebiet einen bitteren Beigeschmack.“
Die Delegationsteilnehmer waren sich einig, dass hier unter Kriegsbedingungen ein engagierter und als warmherzig empfundener Unterricht nach modernsten Kriterien erfolgt. Alle Zimmer sind mit Internet, Beamer und teilweise mit spezieller Lernsoftware ausgestattet. Man hat das Gebäude bestmöglich gegen Raketenangriffe gesichert und im unteren Flurbereich, nach dem Zwei-Wände-Prinzip, Aufenthalts- und Unterrichtsraum für die Dauer von Luftalarmen geschaffen. Neben dem Schulgebäude wird ein großer Bunker entsprechend gebaut.
Im Anschluss wurden Unterkünfte für Binnenflüchtlinge und das Krankenhaus der Stadt besucht, das erst nach dem russischen Überfall aus dem Sonderfonds von Präsident Selenskyj neu ausgestattet und renoviert worden ist. Das Krankenhaus ist mit fünf großen Generatoren und allen notwendigen medizinischen Geräten modern ausgestattet und auf die Aufnahme von verletzten Soldaten in größerem Umfang vorbereitet, falls ein anderes Krankenhaus durch Beschuss ausfällt.
Die Fahrt führte auch zu einem Kornsammel- und Verteilzentrum, das nach einem Raketenangriff mit zwei Millionen Dollar wieder instand gesetzt worden ist: „Es ist beeindruckend, wie schnell alles repariert und wieder in Gang gebracht wird.“