„Ich wollte eine Pop-Oper“
Interview Der neue Film des Oscar-Abräumers Edward Berger ist demnächst in den Kinos zu sehen: das Casino-Drama „Ballad of a Small Player“.
Zweimal Oscar-Rummel in Folge, das passiert nicht häufig. Dem 1970 in Wolfsburg geborenen österreichisch-schweizerischen Regisseur Edward Berger gelang dieser Coup mit „Im Westen nichts Neues“ und „Konklave“. Schon folgt der nächste Streich: „Ballad of a Small Player“ erzählt die Abenteuer eines verzweifelten Spielers in der glitzernden Casino-Welt von Macau. Jetzt kommt der Film ins Kino (gefolgt vom Netflix-Start am 29. Oktober.).
Herr Berger, könnte der Titel Ihres Casino-Dramas in Macau auch „Im Osten viel Neues“ lauten?
Edward Berger: Stimmt, ich bezeichne den Film manchmal auch als B-Seite zu „Im Westen nichts Neues“.
Mit all den pompösen Wow-Effekten könnte man diese visuelle Wundertüte auch als Bewerbung für den nächsten „Bourne“-Film sehen, an dem Sie interessiert sein könnten?
Ich wollte tatsächlich ein explosives Feuerwerk bieten. Zum einen, weil Macau so aussieht. Zum anderen spiegelt es die Gefühlslage der Figur von Colin Farrell wider, die gleichzeitig zart und zerbrechlich ist. Macau ist Las Vegas hoch 10, ein El Dorado für Luxus und Konsum. Mitten in diesem Überangebot gibt es unseren Helden, dem all das plötzlich nichts mehr bedeutet und der sich leer fühlt. Er braucht eine spirituelle Neuerweckung und sucht nach einem Sinn in seinem Leben. Für mich ist das ganz emblematisch für unsere Zeit, und deswegen wollte ich den Film jetzt machen.
Sie bieten Schauplätze zum Bauklötze-Staunen. Wie schafft man das logistisch in einer pulsierenden Großstadt?
Es ist tatsächlich ein enormer logistischer Aufwand, zudem kann die Planung jederzeit scheitern. Macau ist schließlich immer noch Teil von China, zwar eine Sonderverwaltung, aber trotzdem China. Überall an der Decke kleben Kameras, und in jeder Sekunde kann jemand kommen und einem verbieten, was man tut.
Hat der Oscar da ein bisschen die Türen geöffnet?
Ich weiß nicht, ob ein Oscar die Chinesen wirklich interessiert. Aber sicherlich war es hilfreich bei den Drehgenehmigungen in den Casinos, die teilweise amerikanisch geführt sind.
Wie groß erlebt man den Erwartungsdruck, wenn die beiden vorigen Filme im Oscar-Rennen erfolgreich waren?
Der Oscar oder Festivals sind immer eine schöne Belohnung. Das heißt aber nicht, dass jeder Film dahin muss oder will. Im Grunde entscheidet das Publikum, ob der Film bei einer Preisverleihung an den Start geht. Manchmal gehört er dazu, manchmal nicht. Ich werde sicherlich Filme machen, die dazugehören, und andere, die nicht dazugehören. Ich freue mich darauf, als Nächstes einfach einen Film zu machen, der das Publikum umarmt und eine kommerzielle, globale Reichweite hat. Solche Filme sind normalerweise nicht bei den Oscars – und das ist völlig in Ordnung.
Welchen Film meinen Sie damit?
Das weiß ich noch nicht. Mein nächster Film „The Riders“ mit Brad Pitt ist nochmal ein Arthouse-Film. Wenn das Publikum ihn umarmt, hat er vielleicht Chancen bei den Oscars. Danach hätte ich Lust auf ein großes Projekt nach vier Arthaus-Filmen. Ich möchte mich nicht wiederholen, sondern etwas anderes machen. Ein großer Kassenerfolg interessiert mich als nächste Hürde, das habe ich noch nicht gemacht.
Diese Hürde haben Sie doch eigentlich bereits genommen: „Konklave“ hat in Deutschland mehr als eine Million Zuschauer und weltweit 130 Millionen Dollar eingespielt.
„Konklave“ hat gut an der Kinokasse funktioniert, ist aber trotzdem ein kleiner Film. Das ist kein globaler Knüller wie „Batman“ – genau so ein Projekt würde mich reizen. Ich habe große Lust auf einen Film mit anständigem Budget, der wirklich das Publikum erreicht und in jedes Kino der Welt kommen möchte. Ein Film, in den jeder geht, nicht nur ein bestimmtes Publikum. Ich kann mir vorstellen, dass es ein Original-Drehbuch wird und kein bestehendes Franchise. Mal schauen.
Das erste Wort in „Ballad“ lautet „Fuck“, danach folgt eine musikalische Ouvertüre der pompösen Art. Was halten Sie von Luis Buñuels Satz, wonach Filmmusik ein Betrugsmanöver sei?
Ich verehre Luis Buñuel, aber die Zeit hat sich stark gewandelt. Auch das Kino hat sich entwickelt. Für mich ist Filmmusik ein Teil der gesamten Palette, die einem als Filmemacher zur Verfügung steht. Manche Filme funktionieren komplett ohne Musik und sind großartig. Bei anderen addiert sie etwas Magisches. Ich wollte mit „Ballad of a Small Player“ eine Pop-Oper machen und kein Sozialdrama über einen spielsüchtigen Alkoholiker.
Das Glücksspiel Baccarat spielt eine Schlüsselrolle. Ist Filmemachen auch ein bisschen Baccarat?
Baccarat hat wirklich nur mit Glück zu tun, nicht mit Können. Für das Kino braucht es schon Können. Das ist ein Handwerk, das man erlernen muss. Aber ob ein Film beim Publikum ankommt, den richtigen Zeitgeist trifft und alle Elemente zusammenpassen – das hat viel mit Timing und Glück zu tun. Um es mit William Goldman zu sagen: „Nobody Knows Anything.“ Wer glaubt, die Erfolgsformel zu haben, liegt wahrscheinlich falsch.