Einfach mal reden

Gesellschaft Das Telefonangebot „Plaudernetz“ der Malteser verzeichnet eine hohe Nachfrage. Viele wollen vor allem ein gutes Gespräch führen.

Rainer redet gerne. „Meine Frau sagt immer: Mit Dir wird es nie langweilig“, erzählt der 64-jährige Betriebswirt, der in der Nähe von Stuttgart zu Hause ist. Die Heimat klingt durch, wenn man mit ihm spricht: In freundlich-verbindlichem süddeutschen Tonfall schallt seine Stimme durchs Telefon. „Hinter jedem Menschen steckt eine Geschichte“, sagt er.

Und Rainer macht es Freude, Menschen zuzuhören. Ehrenamtlich, sieben Tage die Woche, wann immer er Zeit hat neben Job und Familie. Rainer ist Plauderpartner bei „Plaudernetz“, einer Initiative der Malteser. Das Angebot, das es seit rund 100 Tagen gibt, ist den Angaben zufolge das einzige seiner Art. Beide Gesprächspartner bleiben bei dem Spontantalk am Telefon unter (0800) 330 11 11 anonym – weshalb Rainer auch für diesen Text seinen Familiennamen nicht nennen kann.

Mehr als 3200 Anrufe gab es seit dem Start vor drei Monaten. 400 freiwillige Plauderer in ganz Deutschland nehmen laut Angaben täglich bis zu 70 Anrufe von Plauderwilligen aller Altersklassen ab 18 Jahren entgegen. Die wollen eines: einfach mal quatschen.

„Es gibt da draußen viele Menschen, die Gesprächsbedarf haben. Viele sind alleinstehend oder fühlen sich einsam“, sagt Rainer. „Sie suchen Gesprächspartner zu ganz alltäglichen Dingen – wie etwa dem letzten Urlaub, ihren Enkelkindern oder auch dem Streit mit dem Nachbarn.“ Wichtig sei: „Es handelt sich um kein Krisentelefon. Sobald das Gespräch in diese Richtung geht, brechen wir es ab und verweisen auf die entsprechenden Notrufnummern.“

Was gab’s zum Mittagessen?

Rund 60 Prozent der Menschen in Deutschland kennen das Gefühl der Einsamkeit zumindest zeitweise. Laut Einsamkeitsbarometer sind ältere und jüngere Menschen am häufigsten davon betroffen, Frauen etwas mehr als Männer.

Anruferin Claudi sagt zum Beispiel: „In der Woche bin ich beruflich viel unterwegs. Aber am Wochenende fehlt mir manchmal jemand zum Plaudern. Wenn ich dann anrufe, geht es mir danach immer besser.“ Und Anrufer Josef findet: „Mir gefällt es, dass ich jedes Mal mit ganz unterschiedlichen Menschen spreche, wenn ich anrufe. Ich bekomme viel mehr mit, was passiert.“

In der täglichen Arbeit der Malteser – etwa in ehrenamtlichen Seniorendiensten und Pflegeeinrichtungen – habe man festgestellt, „dass viele Menschen zurückgezogen und einsam leben“, sagt Mitarbeiter Thomas Borgböhmer (35), der das Projekt betreut. So sei die Idee entstanden, die ursprünglich von der Caritas aus Österreich stammt: „Viele Menschen wollen einfach mal wieder ein gutes Gespräch führen.“

Typischer „Eisbrecher“ sei die Frage nach dem Wetter oder was es heute zum Mittagessen gab. Manchmal gehe es auch um spezielle Fragen – für die man sich dann eine Lösung überlege: „Eine Anruferin im Juni wollte etwa Tipps haben, wie sie ihrem Hund bei dem heißen Wetter Abkühlung verschaffen könne.“

Die Motivation bei den Plauderpartnern sei bei vielen ähnlich: „Sie haben Lust, Zeit zu geben und Leute kennenzulernen.“ So geht es auch dem gesprächsfreudigen Rainer: „Ich teile meine Zeit mit den Anrufenden und höre spannende Lebensgeschichten.“ Er versuche, durch eine lockere Einstiegsfrage wie etwa „Was beschäftigt Dich heute am Tag?“ oder „Was ist Dein Thema?“ die Anrufer zum Reden zu bringen. „Manche legen los wie ein Wasserfall“, sagt er.

Ist es nicht seltsam, mit jemandem am Telefon spontan Smalltalk zu halten oder Probleme zu wälzen, von dem man nichts weiß? Rainer sieht diese Distanz eher positiv: „Manchmal hilft es, mit jemandem zu reden, der einen anderen Blick auf die Dinge hat“. Persönliche Dinge, die ihm erzählt werden, versucht er, in ein an­deres Licht zu rücken. „Wenn etwa jemand sagt, meine Kinder oder Enkelkinder melden sich nie, dann frage ich: Meldest Du Dich denn? Ruf doch auch mal wieder an.“ Am Ende versuche er ein Resümee des Besprochenen zu ziehen – und die Unterhaltung „entspannt und zufrieden“ ausklingen zu lassen.

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