Neue Taktik gegen Gangs

  • Auch in einem Imbiss in Stuttgart-Möhringen fielen Schüsse – im Januar 2025. Ein 27-Jähriger erlitt schwere Verletzungen. Foto: Marius Bulling/dpa

Sicherheit Das LKA setzt gegen Gruppen in der Region rund um Stuttgart auf ein anderes Vorgehen. Minister Strobl sieht Erfolge und will den Druck beibehalten.

Schüsse auf offener Straße, auch auf unbeteiligte Menschen, der Handgranatenwurf von Altbach, Drohungen, Schlägereien, Mord und Totschlag: Der Gewaltausbruch von Banden ab 2022 in der Region rund um Stuttgart machte die Polizei zuerst ratlos und beunruhigte die Öffentlichkeit massiv. Die Täter waren in der Regel zwischen 16 und 30 Jahre alt, aus zwei multiethnischen Gruppen, die miteinander verfeindet sind.

Politik, Landespolizei und Justiz reagierten aber schnell – mit einer Mischung aus Repression und Prävention. Auch um den Gangs den Nachwuchs wegzunehmen und die Gewalt nicht ins ganze Land ausbreiten zu lassen. Inzwischen geht Innenminister Thomas Strobl davon aus, dass all diese Maßnahmen der Szene „weitgehend die Luft abgedreht haben“. Die Lage habe sich beruhigt, man bleibe aber wachsam, so der CDU-Politiker.

Bereits von Anfang an machten Strobl und der Präsident des Landeskriminalamts (LKA), Andreas Stenger, klar, worum es bei dieser neuen Erscheinungsform der Gewalt ging und geht: Um „Gewalt als Lifestyle“, so Strobl, angeheizt durch einen „toxischen Ehrbegriff“. Stenger sprach von einer „Gangster-Rapper-Attitüde“. Neu war, dass eine verbindende ethnische Klammer fehlte. Die jungen Täter rund um Stuttgart hatten höchst unterschiedliche Migrationshintergründe, die Führungsfiguren hatten aber im Wesentlichen einen türkisch-kurdischen Hintergrund. Jetzt haben Landespolizei und LKA die Strukturen im Kampf gegen die Jugendbanden umgestellt, so Strobl und Stenger gegenüber unserer Redaktion. Die eigens beim LKA eingerichtete „Besondere Aufbauorganisation (BAO) Fokus“ wurde aufgelöst. Dafür ist bei der Ermittlungsbehörde nun ein eigener „Arbeitsbereich zur Bekämpfung subkultureller Gewaltkriminalität“ eingerichtet, „deutschlandweit einmalig“, so Strobl. „Wir halten den Druck auf die Szene weiter aufrecht.“

Stenger beschreibt den Vorteil der neuen Organisation: Hier würden die erfahrenen Beamten und Fahnder zusammengefasst, sie kennen die Szene seit drei Jahren intensiv. „Wir halten die Spezialisten in diesem Bereich.“ Da gehe es vor allem um Kompetenz bei der Auswertung und Recherche. Die Zusammenarbeit mit den betroffenen Polizeipräsidien in der Region soll weiter intensiv bleiben. Stenger: „Wir werden in Echtzeit verständigt, wenn irgendwas passiert.“

Inwieweit sind die Jugendbanden aber überhaupt noch aktiv? Der LKA-Präsident weist darauf hin, dass sich das Verhalten der verbliebenen Anhänger stark verändert habe aufgrund des Drucks der Polizei und zahlreicher Verhaftungen. „Früher war ihr Verhalten ostentativ nach außen, jetzt ist es konspirativ.“   Die führenden Köpfe seien inhaftiert. Die Polizei müsse aber den Umstand auf dem Visier haben, dass die ersten bald wieder aus der Haft kommen. Aber auch die Prävention spielt eine Rolle: So hatte die Polizei in der Region Stuttgart mehrere hundert Jugendliche identifiziert, die sich im Umfeld der Gangs bewegten, und diese in einer konzertierten Aktion zu Hause aufgesucht, um mit ihnen und ihren Eltern zu sprechen.

Rückblende: Im Juli 2022 wurde in Stuttgart-Zuffenhausen aus einem Auto heraus mehrere Schüsse auf eine Ladenzeile abgegeben. Am 1. August 2022 wurde am Bahnhof in Zuffenhausen geschossen, wenige Tage später gab es eine Schießerei vor einer Gaststätte, die ersten Täter wurden ermittelt. Am 24. Februar 2023 wurde in Eislingen vor einer Shisha-Bar eine Frau ins Bein geschossen, in Plochingen gab es Schüsse auf einen Barbershop, ein Mann wurde schwer verletzt. Nach weiteren Schießereien und Festnahmen folgte am 9. Juni 2023 der bisherige aggressive Höhepunkt: der Handgranatenwurf auf eine Beerdigung in Altbach mit 15 Verletzten. Der 23-jährige Täter wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Am 2. Oktober 2023 gab es einen Anschlag mit einem Auto in Stuttgart-Vaihingen, bei dem das Opfer überfahren und so schwer verletzt wurde, dass es bis heute im Koma liegt. Der 26-jährige Täter türkischer Herkunft wurde jüngst zu neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es folgten weiter Anschläge. Am 2. Oktober 2024 schoss ein 17-jähriger Syrer in einem Lokal in Göppingen auf drei Gäste, ein Syrer starb. Später stellte sich heraus, dass der Täter wohl die Opfer verwechselt hatte. Anfang 2025 wurde ein 27-Jähriger in Stuttgart-Möhringen niedergeschossen und schwer verletzt.

Beteiligte Staatsanwälte berichteten unserer Redaktion mit Blick auf die Szene von völliger Empathielosigkeit der Täter, auch von teils völlig desolaten Familienverhältnissen oder desinteressierten Eltern – aber auch vom Schweigen vieler Opfer und der Weigerung, mit Polizei und Justiz zusammenzuarbeiten

Wir werden in Echtzeit verständigt, wenn irgendwas passiert. Andreas Stenger Präsident des Landeskriminalamts

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