Wiedersehen im Hexenkessel
Europa League Für den VfB kommt es vor 50.000 frenetischen Fenerbahçe-Fans in Istanbul zu einem spannenden Duell mit dem Team von Trainer Domenico Tedesco, der den Stuttgartern viel zu verdanken hat.
Einen kürzeren Weg zur Arbeit hatte Domenico Tedesco, der Ex-Stuttgarter, vermutlich selten. In den ersten Wochen nach seinem Amtsantritt bei Fenerbahçe Istanbul übernachtete der 40-Jährige im Trainingszentrum des türkischen Traditionsvereins. Mittlerweile wohnt er in einem Hotel, für die Suche nach einer dauerhaften Unterkunft war schlicht und ergreifend aber noch keine Zeit. Auch sonst erlebte der frühere Schalker und Leipziger Bundesliga-Coach am Bosporus einen turbulenten Start – und das nicht mal in sportlicher Hinsicht.
Eine „unglaubliche Wucht“ und „fantastische Fans“ habe sein neuer Klub, sagt Tedesco vor dem Wiedersehen mit dem VfB. Die Europa-League-Partie gegen den Fußball-Bundesligisten an diesem Donnerstag (18.45 Uhr/RTL+) ist sein neuntes Pflichtspiel als Fenerbahçe-Trainer – und natürlich ein ganz besonderes. „Ich komme aus der Region, und der Verein gab mir die Chance, als Trainer im Jugendbereich Fuß zu fassen“, sagt der in Esslingen aufgewachsene Tedesco vor dem Duell mit dem VfB, der wettbewerbsübergreifend fünf seiner vergangenen sechs Pflichtspiele gewonnen hat und nach dem 3:0 beim VfL Wolfsburg voriges Wochenende entsprechend selbstbewusst anreist.
Sportlich läuft es auch für Tedesco in Istanbul bislang ordentlich. In der Liga ist er mit dem 19-maligen Meister noch ungeschlagen. Und doch ging‘s mitunter schon etwas wild zu, seit er Anfang September bei „Fener“ angeheuert hat. Kaum war Tedesco da, gab‘s einen Machtwechsel im Klub. Sadettin Saran löste überraschend den langjährigen Präsidenten Ali Koc ab. Nicht selten zieht ein solches Szenario in der Türkei weitere personelle Konsequenzen nach sich. Tedesco, der auf Starcoach José Mourinho folgte, blieben sie erspart. Nicht weniger als den ersten Meistertitel seit 2014 erhoffen sich die Fans vom ehemaligen belgischen Nationaltrainer. Aktuell beträgt der Rückstand in der Liga auf Titelverteidiger und Stadtrivale Galatasaray sechs Punkte.
„Natürlich herrscht hier auch Druck. Aber wenn du für so einen großen Verein arbeitest, ist das ganz normal. Damit muss man umgehen können“, sagte Tedesco. Dass die Euphorie bei Fans und Medien nicht selten auch in Hysterie umschlägt, sieht er gelassen. „Ich mag es, wenn es große Emotionen gibt. Das zeigt, dass den Menschen der Verein nicht egal ist, dass sie mitfiebern.“ Im Duell mit dem VfB dürfte das im rund 50.000 Zuschauer fassenden Hexenkessel Sükrü Saracoglu am Donnerstag nicht anders sein.
Karazor-Infos aus erster Hand
VfB-Kapitän Atakan Karazor freut sich ungemein auf die Partie. „Für mich wird es kein Heimspiel, auch wenn meine Familie natürlich da ist“, so der 29-Jährige. „Ich bin auf die Atmosphäre gespannt. Das wird in meiner Erinnerung bleiben. Natürlich ist es aufgrund meiner Herkunft ein besonderes Spiel.“
Im Vorfeld ließ Karazor zudem keine Informationsquelle ungenutzt: „Ich habe auch bei der Nationalmannschaft ein paar Spieler gefragt, wie es hier sein wird. Die meinten, dass hier die Hölle los ist. Und das habe ich auch an mein Team weitergegeben. Aber wir müssen es vor allem genießen. Deswegen haben wir den Pokal gewonnen, dass wir solche Spiele wie hier erleben dürfen.“
Wahrscheinlich setzt Trainer Sebastian Hoeneß in Istanbul gleich von Beginn an auf Mittelfeldspieler Karazor, der zuletzt nicht immer in der Startelf des VfB stand: „Ein Stück weit bietet sich das doch auch einfach an, das ist doch klar.“