Wende ist nicht Ende
Immer schärfere Gesetze, Regeln und Kontrollen für Menschen, die nach Europa wollen, ändern nichts an den Gründen für Aus- und Zuwanderung. Staut sich da etwas auf?
Die Asylbewerberzahlen gehen immer weiter nach unten. In Wirklichkeit kommen noch weniger Menschen zu uns, als die Statistik scheinbar aussagt. Denn zuletzt gab es mehr Folge- als Erstanträge. Folgeanträge werden unter anderem gestellt, wenn ein Asylantrag abgelehnt wurde, sich aber die Bedingungen im Herkunftsland geändert haben. Nachdem der Europäische Gerichtshof entschieden hat, dass die vom Taliban-Regime erlassenen diskriminierenden Maßnahmen und Gesetze für Frauen so schlimm sind, dass sie nun als Verfolgungshandlungen gelten, gibt es einen starken Zuwachs bei den Folgeanträgen, die von Afghanen gestellt werden. Das sind also Migranten, die schon hier sind.
Ansonsten existiert mittlerweile ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die Einreisen in die EU und nach Deutschland verhindern. Es gibt mehr Abschiebungen, mehr Länder, die als sichere Drittstaaten gelten, mehr Zäune, mehr Abkommen mit fragwürdigen Regimen und bald gibt es Aufnahmelager an den EU-Außengrenzen, vielleicht Abschiebelager in Drittstaaten und wohl auch unbegrenzte Abschiebehaft, zumindest für Straftäter.
All diese staatlichen Abwehrmaßnahmen haben einen guten Grund. Die Migration soll gedrosselt und geordnet werden. Das ist legitim und entspricht dem Wunsch großer Bevölkerungsmehrheiten in den europäischen Ländern.
Die Sache hat jedoch mehrere Haken. Einer davon ist, dass immer mehr Regierungen bereit sind, sich weder um europäisches Recht noch um Menschenrechte noch um die eigenen Verfassungen zu scheren. Es soll keiner glauben, das beträfe ihn nicht. Wenn es zur Gewohnheit wird, dass das Recht unter schwierigen Umständen gebeugt werden kann, dann wird es bald gar nichts mehr wert sein. Das zersetzt Demokratien von innen.
Migration ist die ganz natürliche Reaktion von Menschen, die unter ihren bisherigen Lebensumständen nicht mehr leben können oder wollen. Ebenso jahrtausendealt ist die Abwehrhaltung derjenigen, die in der Einwanderungsregion leben. Es geht um das Austarieren von Interessen, was selten gut gelingt. Am Ende steht oft die nackte Gewalt. Weil wir das alles aber schon wissen, wäre es klug für ein Land, das auf Einwanderer angewiesen ist, nicht einfach nur Reflexen zu folgen und sich in einen Anti-Migrationsrausch zu steigern. Nach dem Motto: „Hurra, ich habe die meisten abgeschoben! Morgen schaffe ich noch mehr!“ Misstrauen, Angst und Ablehnung werden auch bei uns geschürt. Dieses Gift bekäme man nur sehr schwer wieder aus der Gesellschaft. Selbst wenn man es wollte.
Und immer noch gibt es kaum legale Wege für Migranten nach Deutschland. Für die gewünschte geordnete Migration wäre es wichtig zu wissen, was das Ziel ist. Ab wann ist denn die Migration geordnet? Wird es Einwanderungskontingente geben? Greencards?
Im Moment sieht es nach stumpfem Überbietungswettkampf in Hässlichkeiten aus. Mehr Härte? Mehr Schärfe? Das ist Migrationspolitik auf unterem Western-Niveau. Eigentlich ist es gar keine Politik.
leitartikel@swp.de
Mehr Härte? Das ist Migrationspolitik auf unterem Western- Niveau. Eigentlich ist es gar keine Politik.