Freude auf dem „Platz der Geiseln“
Nahost-Konflikt Nach der Meldung einer Einigung zwischen Israel und Hamas über die Freilassung der letzten Geiseln überwiegt bei den Israelis die Erleichterung. Vor allem ein Mann erhält viel Lob.
Viele Monate lang war der „Platz der Geiseln“ in Tel Aviv ein bedrückender Ort. Von Plakaten blicken die Gesichter all derjenigen, die die Hamas am 7. Oktober vor zwei Jahren in den Gazastreifen verschleppte. Eine von Künstlern errichtete Installation vermittelt einen beklemmenden Eindruck von den Tunneln, in denen manche Entführte gehalten werden. Am Donnerstag aber verwandelte sich der Platz der Geiseln, von Aktivisten so benannt nach dem 7. Oktober, in einen Ort der Freude. Nach der Meldung, dass Israel und die Hamas sich auf einen Deal zur Befreiung der Geiseln geeinigt hatten, sammelten sich erleichterte Menschen auf dem Platz, schwenkten Israel- und USA-Fahnen, sangen und jubelten.
Zwei Jahre und zwei Tage, nachdem Hamas-Terroristen rund 1200 Menschen im Süden Israels ermordeten und 250 weitere entführten, scheint das Ende eines der schmerzhaftesten Kapitel in Israels Geschichte plötzlich nah: Womöglich schon in den kommenden Tagen, heißt es mancherorts, könnte die Hamas die letzten zwanzig überlebenden Geiseln freilassen. So sieht es der Plan des US-Präsidenten Donald Trump vor, auf den die beiden Kriegsparteien sich nun zumindest in Teilen geeinigt haben.
Israel soll seine Truppen in der ersten Phase der Abmachung auf vereinbarte Linien innerhalb des Gazastreifens zurückziehen, über die noch keine Details bekannt sind. Eigenen Angaben zufolge hatte Israels Armee, die IDF, am Donnerstagmorgen bereits mit den Vorbereitungen für die Umsetzung des Plans begonnen.
Mittelfristig soll die IDF sämtliche ihrer Soldaten aus Gaza abziehen – aber erst, wenn eine sogenannte internationale Friedenstruppe einsatzbereit ist, zu der Trumps Plan wenig Einzelheiten nennt. Außerdem soll Israel 250 jener rund 290 Palästinenser aus seinen Gefängnissen entlassen, die zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden, viele von ihnen wegen der Planung oder Ausführung schwerer Terroranschläge. Dazu soll Israel 1700 Palästinenser freilassen, die es seit Beginn des Gazakrieges im Gazastreifen festgenommen hatte.
In Israel wurde die Einigung überwiegend mit Erleichterung aufgenommen. Umfragen zeigen, dass eine große Mehrheit – fast drei Viertel – aller Befragten den Trump-Plan unterstützt. Auch die führenden Parteien der Opposition begrüßten den Deal. Oppositionsführer Yair Lapid rief in einer Videonachricht gar das Komitee des Friedensnobelpreises dazu auf, US-Präsident Trump den Preis zu verleihen. Zuvor hatte schon Israels Staatspräsident Yitzhak Herzog diese Forderung geäußert.
Für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seine Verhandler dagegen hatten beide nur wenig Lob übrig. Zufall ist das nicht. Auch in den Verlautbarungen des Forums der Familien von Geiseln und Vermissten, in dem sich die meisten Geiselfamilien organisiert haben, wird ausschließlich Trump für den „historischen Durchbruch“ in den Verhandlungen gepriesen. Unter jenen, die sich in Israel seit Monaten für einen Deal zur Befreiung der Geiseln einsetzen, gilt es als Konsens, dass Netanjahu eher bremse als helfe. Zu seiner Regierung heißt es in der Erklärung der Geiselfamilien denn auch nur: „Die israelische Regierung muss sich sofort versammeln, um die Einigung zu billigen. Jede Verzögerung könnte den Geiseln und Soldaten einen hohen Preis abverlangen.“
Unter Analysten wird die Einigung teils mit vorsichtiger Zuversicht, teils mit Vorbehalten debattiert. „Wir wissen immer noch nicht genau, was dieser Deal bedeutet und was hinter den Kulissen vereinbart wurde“, sagt Guy Aviad, Hamas-Experte und Militärhistoriker, gegenüber dieser Zeitung.
„Dass die Hamas bereit ist, mit zwanzig lebenden Geiseln ihren wichtigsten Trumpf aufzugeben, weist meiner Einschätzung nach darauf hin, dass sie sehr bedeutsame Zusicherungen erhalten hat – und wie die aussehen, wissen wir noch nicht.“
Freilassung von Terroristen
Zudem könne die Hamas trotz aller Zugeständnisse auch wichtige Errungenschaften vorweisen – etwa die geplante Freilassung verurteilter palästinensischer Terroristen, nicht nur von der Hamas, sondern auch rivalisierenden Bewegungen wie der Fatah. „Damit sagt sie der palästinensischen Gesellschaft: Schaut her, wir sind eure Repräsentanten“, meint Aviad. „Außerdem kann sie argumentieren: Wir, die Hamas, haben die palästinensische Sache nach Jahren wieder auf die Agenda der Weltöffentlichkeit geholt. Nicht Arafat, nicht Mahmud Abbas“, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde.
Für die Angehörigen der Entführten dürften derweil Überlegungen zur Zukunft des Konflikts zweitrangig sein. „Sie haben uns zurückgegeben“, heißt es in einem Dankesbrief an Trump von Familien der Geiseln, „was wir glaubten, für immer verloren zu haben.“
Unter Analysten herrscht vorsichtige Zuversicht. Aber es gibt auch Vorbehalte.