Der Nebel hat sich gelichtet
Reutlingen Pilotprojekt im Diakonieverband will geflüchtete Jugendliche aus der Ukraine im Alter von 15 bis 18 Jahren dabei unterstützen, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden.
Ein Projekt im Diakonieverband Reutlingen zeigt, wie wichtig muttersprachliche Begleitung für geflüchtete Jugendliche ist – und wie gemeinschaftliche Unterstützung Orientierung schenkt. „TRIO. Deine Zukunft. Dein Weg“: So heißt das Pilotprojekt, das geflüchteten Jugendlichen aus der Ukraine im Alter von 15 bis 18 Jahren helfen will. „Wir wollen den Jugendlichen zeigen, dass es sich lohnt, in die eigene Zukunft zu investieren und diese selbst zu gestalten“, sagt Tetyana Pikulska, eine der beiden Projektmitarbeiterinnen. „Viele von ihnen haben einen langen Weg hinter sich – wir wollen ihnen helfen, neue Wurzeln zu schlagen.“
Das Projekt verbindet Berufsorientierung mit psychosozialer Unterstützung. Es geht darum, Mut zu machen, Strukturen zu erklären und Selbstvertrauen aufzubauen – in einem sicheren Rahmen, in dem die Jugendlichen sich verstanden fühlen.
Die beiden Projektmitarbeiterinnen erinnern sich noch gut an den Beginn: „Viele Jugendliche kamen ganz klassisch über Mund-zu-Mund-Propaganda.“ Um passende Teilnehmende zu finden, schufen sie ein großes Netzwerk und kontaktierten unter anderem die Integrationsmanager der Unterkünfte im Landkreis Reutlingen, den Jugendmigrationsdienst, Lehrkräfte in Vorbereitungsklassen sowie Migrantenvereine wie BIM und Dialog in Reutlingen.
Dass so viele passende Jugendliche so rasch gefunden wurden, sei sehr überraschend und ungewöhnlich gewesen. Und ebenso, dass diese auch sofort bereit waren, aktiv mitzumachen. Flyer oder offizielle Werbung hätten kaum funktioniert. Viel bedeutsamer sei der Zugang über bereits bekannte und vertraute Personen gewesen.
Teilnehmen konnten Jugendliche, die Motivation und Eigeninitiative mitbrachten – unabhängig davon, ob sie langfristig in Deutschland bleiben oder irgendwann zurückkehren möchten. „Uns war wichtig, dass sie selbst kommen wollten“, so Iryna Pedan, die mit Tetyana Pikulska im Projekt arbeitet. „Wenn Eltern oder Lehrkräfte sie schicken, ohne dass der Wille da ist, funktioniert es nicht.“ Das Projekt bietet Raum, sich aktiv mit eigenen Stärken, Wünschen und Zielen auseinanderzusetzen. Dabei geht es nicht nur um Berufe – sondern um Selbstvertrauen und Orientierung. Die Teilnehmenden arbeiten in zwei Hauptbereichen: berufliche Orientierung und persönliche Stabilisierung. Sie lernen, welche Bildungswege und Ausbildungssysteme es in Deutschland gibt und wie sie Zugang zu Chancen finden können.
Besonders wertvoll sind die Begegnungen mit ehrenamtlichen „Rolemodels“ oder Jobpaten – Menschen, die selbst als Migrantinnen oder Migranten ihren Weg in Deutschland gefunden haben. Das Projekt wird zweisprachig – auf Deutsch und Ukrainisch – durchgeführt. „Wir sprechen ihre Sprache, wir verstehen ihre Erfahrungen“, erklärt Tetyana Pikulska. Ein Erlebnis blieb den beiden besonders in Erinnerung: „Als wir in einer Schule das Projekt vorstellten, sagten einige Jugendliche danach: ‚Danke, dass wir euch nicht egal sind.‘ Das hat uns tief berührt.“ In der Muttersprache über Gefühle, Ängste und Hoffnungen zu sprechen, öffne Türen, die sonst verschlossen blieben.
„TRIO“ setzt zudem stark auf Gruppendynamik. Gemeinsame Gespräche, kreative Übungen und erlebbare Erfolge erzeugen ein Gefühl von Zusammenhalt. Für Jugendliche mit intensiverem Unterstützungsbedarf gibt es bei Bedarf Einzelgespräche.
Bereits am Ende der Gruppenphase zeigen sich die Erfolge: Jugendliche, die erst die Schule abbrechen wollten, haben sich umorientiert. Andere planen ein Freiwilliges Soziales Jahr oder konkrete Ausbildungswege.
„Viele sagten schon jetzt: Ich habe Klarheit. Das war unser größter Erfolg“, so Iryna Pedan. Eine 15-jährige Teilnehmerin ergänzt: „Es war, als ob der Nebel in meinem Kopf sich gelichtet hätte. Jetzt kann ich mir meine Zukunft vorstellen.“
Die Projektbeteiligten und die Projektleitung Christine Mauser, auch Leitung der Psychologischen Beratungsstelle, wollen „TRIO“ nicht nur abschließen, sondern möglichst direkt verlängern – mit längerer Laufzeit, mehr Raum für emotionale Themen und stärkerer Einbindung der Eltern. Auch eine Öffnung für andere Nationalitäten ist geplant.
Das einjährige Projekt wird gefördert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und aus Landesmitteln. Ein Antrag für weitere drei Jahre ist bei der Förderausschreibung „Starke Kinder ESF Plus – Maßnahmen gegen Jugendarmut 2025“ gestellt worden und schon genehmigt.
Wir zeigen den Jugendlichen, dass es sich lohnt, in die eigene Zukunft zu investieren. Tetyana Pikulska Projektmitarbeiterin