Immer häufiger Hassobjekt

  • Gerade Politikerinnen und Politiker der Grünen sehen sich aktuell mit viel Hass und Hetze – im Netz und wie zuletzt in Neu-Ulm auch im realen Leben – konfrontiert. Das betrifft auch die hiesigen Parlamentarier der Umweltpartei. Sebastian Willnow

Reutlingen In Neu-Ulm wurden Grünen-Politiker attackiert. Auch Abgeordnete der Partei aus Reutlingen müssen mit häufigen Anfeindungen umgehen.

Auf Facebook legt Hermann W. aus Reutlingen mal wieder los. Ein Foto der Außenministerin Annalena Baerbock lädt er hoch. In der Bildunterschrift bezeichnet er die Politikerin als „Dauer-Lügnerin und Extrem-Hochstaplerin“. An diesem Tag werden noch drei weitere Posts im selben Stil folgen. Auch eine Person, an der sich W. gerne abarbeitet: Die grüne Parteivorsitzende Ricarda Lang. Weil die 29-Jährige wegen ihrer Parteiarbeit ihr Studium der Rechtswissenschaften geschmissen hat, ist sie für W. „ungelernt“. In vielen seiner Posts schreibt W., Lang habe noch nie in ihrem Leben gearbeitet – und er schreckt auch nicht davor zurück, die Parteichefin zu beleidigen: „Warum soll mich die Meinung dieser fetten Rotznase interessieren?“, fragt W., der eigentlich anders heißt und unter seinem Klarnamen solche Kommentare auf Facebook hinterlässt, unter einem Post von Ricarda Lang.

Unter der Forderung Langs nach einem Tempolimit auf Autobahnen häufen sich solche Hasskommentare. Die Politikerin selbst gab bereits im Frühjahr an, Morddrohungen erhalten zu haben.

Virtueller Hass, reale Gefahr

Kürzlich wurden die Grünen-Politiker Ludwig Hartmann und Katharina Schulze bei einem Wahlkampfauftritt in Neu-Ulm von einem Mann mit einem Stein beworfen. Tief sitze „der Schock über diese kriminelle Bosheit, diesen kriminellen Schritt, mit dem man nicht rechnet“, erklärte Julia Probst, die gehörlose Direktkandidatin der Grünen bei der bayerischen Landtagswahl.

Ähnliche Bosheit kennt auch Beate Müller-Gemmeke, die als Grünenpolitikerin seit 2009 den Wahlkreis Reutlingen im Bundestag vertritt. Man habe bereits Wahlplakate mit ihrem Konterfei mit dem Wort „Volksverräter“ überklebt – und dann war da dieser Brief. Er enthielt die Forderung, Müller-Gemmeke solle zu einer gewissen Abstimmung in den Bundestag wohl besser nur „bewaffnet“ kommen.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihres Wahlkreisbüros werden ebenfalls angefeindet, Hassnachrichten kommen sogar per Post an beide Büros der Parlamentarierin. So schlimm wie jetzt sei es bisher nie gewesen, sagt Müller-Gemmeke. Und: „Die AfD hat die Grenzen dessen, was sagbar ist, sehr deutlich verschoben. Das Unrechtsbewusstsein verändert sich – und damit auch das Wesen unserer Demokratie.“

Fake-News würden gestreut, die sich insbesondere gegen Politiker der Grünen richten, die sich verselbstständigen und nicht mehr zu korrigieren seien. „Schlimm ist, dass sich die Aggressionen auch gegen Minderheiten und bestimmte Gruppen richten, beispielsweise gegen erwerbslose Menschen“, erklärt die 62-Jährige. Verleumdungen und Hassreden auf ihren Social-Media-Kanälen löscht die Abgeordnete, werden Grenzen überschritten, bringt sie dies konsequent zur Anzeige.

Hilfe durch die Kripo

Gleiches weiß Thomas Poreski zu berichten, der für den Wahlkreis als Grüner im Landtag sitzt. Den Steinwurf gegen Spitzenpersonal der Öko-Partei in Neu-Ulm sieht er als Zeichen dafür, dass eine Steigerung der Anfeindungen vorliegt. Seit zwölf Jahren ist Poreski Mitglied im Landesparlament und erklärt: „Wir werden als Landtagsabgeordnete von der Kriminalpolizei gut beraten. Wir informieren sie über Bedrohungen.“ Die Kriminalpolizei beobachte die Gefahrenlage – darunter auch die Aktivitäten in den sozialen Medien -  sehr präzise und unterbreite gegebenenfalls Vorschläge.

Der Politiker stellt aber klar: „Nicht alle, die – oft aus erklärbaren Gründen – wütend sind und sich unhöflich ausdrücken, sind verfassungsfeindlich.“ Häufig versuche es Poreski mit dem Angebot eines Dialogs, wenn mal wieder ein Hasspost im Mailfach landet. Das werde „natürlich nicht immer, aber doch relativ häufig“ angenommen.

Poreskis Parteikollegin Beate Müller-Gemmeke sieht das Problem mit der Hetze als äußerst gefährlich an – gerade in der aktuellen politischen Lage: „Wenn Politiker demokratischer Parteien uns Grüne zum Hauptfeind erklären und sich damit bei der AfD anbiedern, dann machen sie solche Anfeindungen salonfähig.“

Beim Kampf dagegen sei die Allgemeinheit gefragt: „Wir haben das Grundgesetz und die Grundidee unserer Demokratie an unserer Seite. Wir können mit der Würde des Menschen und mit den Menschenrechten argumentieren. Wir müssen Verantwortung übernehmen für unsere Gesellschaft. Denn eine Gesellschaft ist nur stark, wenn sie zusammenhält.“

Dass Hermann W. aus Reutlingen an solchem Zusammenhalt überhaupt Interesse hat, ist erstmal schwer zu glauben. In seinem neuesten Post auf Facebook geht es zur Abwechslung mal um einen Mann bei den Grünen: um den Wirtschaftsminister Robert Habeck. Einen „ökonomischen Voll-Idioten“ nennt er ihn.

Das Unrechtsbewusstsein verändert sich – und damit auch das Wesen unserer Demokratie. Die Reutlinger Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke

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