Jobcenter beklagen Überlastung

  • Bei der Begrüßung (von links): Dr. Ulrich Bausch, Andrea Nahles und die Bundestags-Abgeordneten Dr. Martin Rosemann (SPD) und Beate Müller-Gemmeke (Grüne). Jürgen Herdin

Reutlingen Thema Ukraine-Flüchtlinge: „Ja, wir haben ein Verteilungsproblem“, bestätigt Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles bei einem Besuch in Reutlingen.

Die Jobcenter benötigten im kommenden Bundeshaushalt zusätzliche Mittel für die aus der Ukraine Geflüchteten, sagte gestern in Reutlingen Andrea Nahles. Doch die Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA) fügte hinzu: „Im Moment haben wir aber kein Geld-, sondern ein Verteilungsproblem“. Das sahen die Teilnehmer einer Fachtagung in der VHS Reutlingen nicht anders. Denn die Belastung der zuständigen Beschäftigten in den Jobcentern sei überaus hoch.

Mit dabei waren am Montag auf Einladung des Tübinger SPD-Bundestagsabgeordneten Dr. Martin Rosemann und VHS-Leiter Dr. Ulrich Bausch die Zuständigen von Gewerkschaften, den regionalen Agenturen für Arbeit, Jobcentern, Bildungsträgern, von Sozialverbänden samt Vertretern der Wirtschaft. Mit von der Partie waren auch die hiesigen Bundestagsabgeordneten Pascal Kober (FDP) und Beate Müller-Gemmeke (Grüne) – allesamt sozialpolitisch versiert.

Während der Chef einer ehemaligen Volkspartei anfänglich von „Sozialtouristen“ sprach, weil einige Geflüchtete zeitweilig auch zurück in die Ukraine gingen – und dann wieder nach Deutschland kamen, kümmern sich die Jobcenter um diese Menschen mit ihren Sorgen und Nöten. Sie sind vor Putins Krieg aus ihrer Heimat geflüchtet, schauen beileibe nicht zuerst aufs Geld.  

Sie suchen Arbeit – und streben eine gute Integration an. Über die aktuellen Probleme, zum Beispiel überlastetem Personal in den stark frequentierten Jobcentern und Sprachbarrieren sprach zu Beginn der Runde Jörg Würfel an. Er leitet das Jobcenter Zollernalbkreis und machte unter anderem deutlich: „Das Angebot an Sprachkursen ist völlig unzureichend“, dies bei Wartezeiten von bis zu einem Jahr. Würfel hofft, für die Bediensteten in den Jobcentern – in der gesamten Region – im laufenden Jahr eine baldige „Rückkehr in den Normalbetrieb“.

Innerhalb der Jobcenter sei bereits „Personal umgesetzt worden“, dorthin, wo es am meisten klemmt. Aber das reiche auf Dauer nicht aus, so Würfel. Der beklagt zudem, „dass wir unsere Budgetgrenze bereits erreicht haben.“ Der Gesprächsbedarf von Menschen aus der Ukraine sei „überaus hoch“. Vom Kindergeld bis zur ÖPNV-Fahrkarte: Für sie ist das Jobcenter der wichtige Anker in der Fremde, die Anlaufstelle überhaupt – auch in Fragen, wo die Behörde überhaupt nicht zuständig sei.

Gewaltige Herausforderungen sind das für die Jobcenter in der ganzen  Republik deshalb, weil der Bund vergangenes Jahr „in  einer Holter-di-Polter-Entscheidung“ die finanzielle Unterstützung der aus der Ukraine Geflüchteten an „Hartz IV“ festmachte. Nahles kritisiert das nicht, weiß aber: „Die Jobcenter müssen darunter schon leiden“. Geflüchtete aus der Ukraine erhalten in der Regel Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) – „Hartz IV“. Das ist mehr als Asylbewerber bekommen. Es werden alle Kosten für die Unterbringung übernommen. Und die Kriegsflüchtlinge können in die gesetzlichen Krankenkassen.

Eine grundlegend positive Nachricht hatte Andrea Nahles mit nach Reutlingen gebracht: „Wir alle bauen gemeinsam gute Brücken in die Arbeitswelt. Von 450 000 Menschen sind mittlerweile 140 000 in Integrationskursen“, weiß die BA-Chefin. Das Nürnberger Amt setze auf ein Mehr an „fachspezifischen Sprachkursen“. Doch der Teufel steckt im Detail.

Abgesehen davon, dass Sprachlehrer-Personal eh recht knapp sei, komme es bei der jährlichen Planung zu skurril erscheinenden Nachteilen für das Bundesamt für Migration (BAMF). Es sei schon „idiotisch“, so Nahles, dass ihre BA vom Bundesrechnungshof stets gerügt werde, weil sie schon am Jahresanfang Lehrer gewissermaßen präventiv „einkauft“, sodass dies für den geschätzten Bedarf zumeist auch ausreicht. Das BAMF hingegen versuche eine Reservierung von Sprachlehrkräften anhand des aktuell vorhandenen Bedarfs. „Das wird vom Rechnungshof zwar gelobt, aber oft geht das BAMF deshalb leer aus“, so Nahles.

Die Jobcenter gehen in Sachen Behörden-Personal nun in die Offensive. „Wir benötigen jetzt die Möglichkeit zur Ausschreibung neuer Stellen“, fordert Jörg Würfel. „Wir haben bis zu 180 Vorsprachen an einem Tag“, berichtete der Chef des Jobcenters Zollernalb. Und freilich würden auch die Abgeordneten solche Bedarfe bei den nun beginnenden Haushaltsgesprächen in Berlin anmahnen, so  der Tübinger SPD-Mann Rosemann. Vor allem müsse jedoch auch die BA „diese Probleme der Regierung direkt schildern“, gab Rosemann seiner Genossin Andrea Nahles mit auf den Weg.

Weitere Themen der Reutlinger Tagung waren das neue Bürgergeld und seine Umsetzung vor Ort – sowie die zukunftsgerechte Weiter- und Fortbildung von Arbeitskräften.

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