Wenn TikTok 13-Jährigen Pornos zeigt

  • Viele Kinder bekommen schon früh ein Smartphone. Aber haben die Eltern auch die Gefahren bedacht und Schutzmaßnahmen ergriffen? Foto: Mascha Brichta/dpa

Medien Mobbing, Gewalt, Kosten, Sucht: Gerade mit dem ersten Smartphone sind für Kinder und Jugendliche auch Gefahren verbunden. Ab wann ein Handy sinnvoll ist und wie man sein Kind schützen kann.

Es waren nur wenige Klicks vom Anlegen eines eigentlich geschützten Accounts auf der Social-Media-Plattform Tiktok bis zum Porno-Vorschlag. Dabei sollte der Zugang für einen 13-jährigen Nutzer sein, wie Mitglieder der britischen Menschenrechtsorganisation „Global Witness“ bei der Anmeldung angegeben hatten. Sie legen die Accounts zu Versuchszwecken an – und waren nach eigenen Aussagen „geschockt“ von den Ergebnissen.

Denn die Vorschläge folgten nicht mal auf entsprechende Suchbegriffe, sondern wurden dem vermeintlichen Kinderaccount vom System selbst angezeigt. „TikToks Suchalgorithmen drängen Minderjährige aktiv zu pornografischen Inhalten“, so die Aktivisten. Dazu waren die Vorschläge häufig frauenfeindlich. Man habe dem Unternehmen die Möglichkeit gegeben, zu den Ergebnissen der Tests Stellung zu beziehen, erklärte die Nichtregierungsorganisation (NGO) nach dem Versuch. TikTok habe dann mitgeteilt, es seien Maßnahmen gegen mehr als 90 Inhalte ergriffen worden. Auch habe man einige der Suchvorschläge entfernt. Das klingt nach einem Tropfen auf den heißen Stein.

Dabei kann ein Smartphone auch schon Kindern und Jugendlichen nützlich sein. „Man kann darüber den Kontakt zu Freunden halten, Gleichgesinnte finden und sich austauschen“, erklärt Benjamin Thull, Leiter des Teams Jugendschutz und Forschung der Landesanstalt für Kommunikation in Stuttgart, im Gespräch. Die Jugendlichen könnten ihren Stars folgen und würden ständig mit Infos versorgt, „während wir damals noch auf die wöchentliche „Bravo“ oder auf das Lieblingsvideo auf MTV gewartet haben“.

Und der wichtigste Aspekt: Sie können sehr viel lernen. „Ich wäre früher sehr froh gewesen, wenn ich solch guten Youtube-Tutorials für Mathe gehabt hätte“, sagt Thull mit einem Lachen. Man könne sich auch mithilfe von KI Übungsaufgaben erstellen und sich durch die Lösung begleiten lassen. Ein großer Gewinn für die Bildung.

Geflutet von Kriegsbildern

Aber es gibt eben auch die Schattenseiten des Internets. Inhalte auf Sozialen Medien wie TikTok, Facebook oder Instagram oder Videoplattformen wie Youtube können für Kinder völlig ungeeignet sein, weil sie Gewalt oder sexualisierte Inhalte zeigen. „Das Netz ist derzeit beispielsweise geflutet von Bildern aktueller Krisen und Kriege“, erklärt Thull.

Er nennt das, was der NGO mit ihren üblicherweise limitierten Jugendbenutzerkonten widerfahren ist, die „Problematik der ungewollten Konfrontation“. „Die Plattformen sind so angelegt: Erst kommt ein Katzenvideo, dann ein Schminktipp und dann womöglich eine Szene aus einem Krieg.“ Oder eben ein Sexvideo. Noch ein Problem seien die Quellen vieler Videos. „Früher gab es Fernsehsender und Zeitungsredaktionen, da war es klar, von wem der Inhalt kommt. Heute ist jeder praktisch ein Fernsehsender: Jeder kann Inhalte jederzeit der ganzen Welt zugänglich machen.“

Inhalte sind allerdings nicht die einzige Gefahr. Auch Kostenfallen oder unregulierte Datenweitergabe sind ein Problem. Cybermobbing, also Mobbing beispielsweise über Messenger-Kanäle wie WhatsApp, schadet Kinder und macht sie zu Opfern. 18,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler sind davon betroffen, also mehr als zwei Millionen Kinder, wie eine Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing im vergangenen Jahr zeigte.

Für die Betroffenen kann Cybermobbing gravierende gesundheitliche Folgen haben. „Neben körperlichen Beschwerden wie Kopf- oder Magenschmerzen sind es vor allem psychische Auswirkungen, die Kinder und Jugendliche schwer belasten können“, sagte Uwe Leest, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing, bei der Vorstellung. Das seien beispielsweise Angst- und Schlafstörungen sowie Niedergeschlagenheit oder Depressionen.

Dazu kann noch „Cybergrooming“ kommen. Hierbei nutzen Erwachsene Kommunikationsfunktionen in Spielen oder auf Sozialen Medien dazu, sich das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen zu erschleichen, um in sexualisierten Kontakt zu kommen. „Alles, was mit Kommunikation zu tun hat, öffnet Tür und Tor für alle möglichen Gefahren“, fasst Thull zusammen. Gerade bei Messenger-Diensten könnte sich das auch schnell hochschaukeln, da schicke ein Jugendlicher ein Hitlerbild, der andere ein intimes Foto. „Vielen Kindern und Jugendlichen ist dann gar nicht bewusst, dass das auch strafrechtlich relevant sein kann.“

Auch Suchtgefahr ist ein Thema. Eine Nachricht über das Smartphone kann gerade in den Gehirnen von jungen Menschen zu einer Dopaminausschüttung führen. „Die sozialen Netzwerke nutzen unser Belohnungssystem des Gehirns und das kann in Extremfällen zu einer Ähnlichkeit mit klassischen Abhängigkeiten führen“, bestätigt Falk Kiefer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin in Mannheim, gegenüber der AOK.

Sollte man also sein Kind möglichst lange von diesen Verlockungen und Gefahren fernhalten? Ab wann ist ein eigenes Smartphone denn empfehlenswert? Viele Experten nennen konkrete Zahlen wie 11, 12 oder 13 Jahre. In der Realität allerdings haben schon viele Grundschulkinder ein Handy, spätestens der Übertritt an eine weiterführende Schule ist für viele Eltern ein Anlass, ihr Kind damit auszustatten.

Experte Thull will sich auf kein konkretes Mindestalter festlegen, sondern auf Kriterien, an denen Eltern erkennen können, ob ihr Kind reif dafür ist. „Denn das hängt stark vom Entwicklungsstand des Kindes ab – und auch von seiner Medienerfahrung. Dabei geht es auch darum, wie oft man das Thema mit dem Kind schon thematisiert hat.“ Es sei wenig sinnvoll, es bis zum Alter von zehn oder elf Jahren gar nichts machen zu lassen, und ihm dann ein Smartphone in die Hand zu drücken.

Nicht nur bei der Entscheidung, ob und wann ein Kind ein Smartphone erhält, spielen Eltern eine entscheidende Rolle. Sie müssen selbst als Vorbild fungieren – und mehr. „Eltern müssen bereit sein, den Umgang ihres Kindes mit Medien als Dauererziehungsaufgabe an- und wahrzunehmen“, sagt Thull. Eltern müssten sich selbst informieren und technische Schutzeinstellungen nutzen. „Das überfordert viele, denn man ist nie wirklich mal entlastet und kann denken, man hat dem Kind nun alles beigebracht. Man muss immer am Ball bleiben.“

Besonders wichtig ist Thull, dass der Umgang rund um das oft vieldiskutierte Thema respektvoll bleibt. Für ihn heißt das, dass sich Eltern auch für die Inhalt interessieren, mit denen sie selbst wenig anfangen können, und nicht gleich verurteilen und abwerten. „Und man muss immer im Gespräch bleiben und beispielsweise technische Schutzmaßnahmen wie Tracking oder Zeitschranken mit den Kindern vorab besprechen“, betont er.

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