Bürgerforum statt Bürgerentscheid

  • Bergfeldens Ortsvorsteher Herbert Kehl (stehend) gab am Mittwochabend in der Ortschaftsratssitzung eine persönliche Erklärung ab. Er sprach sich gegen das geplante regionale Gewerbegebiet aus – und auch gegen ein Bürgerforum. Foto: Marcella Danner

Regionales Gewerbegebiet Bürgermeister Keucher will das Projekt nicht „durchpeitschen“. Der Bergfelder Ortschaftsrat spricht sich dagegen aus. Am Montag kommt das Thema in den Gemeinderat.

Der Bergfelder Ortschaftsrat spricht sich mit großer Mehrheit gegen das geplante regionale Gewerbegebiet „Best Invest A81“ aus. Am Mittwochabend fiel der Beschluss in der Sitzung im voll besetzten Foyer der Dickeberghalle. Zu viele Fragen und Verfahrensschritte seien – nach fast 30 Jahren – noch ungeklärt, heißt es in der Begründung der Beschlussvorlage. Zudem sei von der Stadtverwaltung über notwendige Strukturmaßnahmen, sollte das Projekt umgesetzt werden, mit dem örtlichen Gremium bisher kein Gespräch gesucht worden. Eine Beteiligung der Einwohnerinnen und Einwohner in Form eines Bürgerforums lehnt der Ortschaftsrat ebenfalls ab. Denn alle Argumente und Entscheidungsgrundlagen für einen Gemeinderatsbeschluss lägen bereits auf der Hand. Lediglich Axel Grathwol sprach sich für „Best Invest A81“ und das Bürgerforum aus. Am kommenden Montag steht das Thema auf der Tagesordnung des Sulzer Gemeinderats.

Bürgermeister Jens Keucher und der Erste Beigeordnete Hans-Peter Fauser waren am Mittwoch zum Bürgerdialog nach Bergfelden gekommen. Einwohnerinnen und Einwohner können bei diesem Format an die Verwaltungsspitze Fragen rund um ihren Stadtteil stellen. Beherrschendes Thema des Abends war jedoch das regionale Gewerbegebiet. „Wir hatten einen Bürgerentscheid, der gigantisch ausgegangen ist“, meldete sich ein Bergfelder zu Wort. „Unsere Bevölkerung will das einfach nicht, ob das Windräder sind oder ein regionales Gewerbegebiet ist.“

Gemeinderat „ist maximal uneins“

Keucher will vom Ausgang des Bürgerentscheids über die Windkraftanlagen jedoch nicht auf alle künftigen Entscheidungen in Sulz schließen. „Das würde ja bedeuten, dass wir uns eine Käseglocke überstülpen.“ Schließlich wolle man als Stadt weiter vorankommen.  Er selbst sei nach einer Einarbeitungszeit der Ansicht, dass das regionale Gewerbegebiet gut für die Stadt wäre und befürworte es weiterhin.

Allerdings haben sich seit der jüngsten Kommunalwahl die Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat geändert. Wo vorher ein Konsens von zwei Dritteln zu einem Drittel pro „Best Invest A81“ herrschte, sei das Gremium jetzt „maximal uneins“, wie es Keucher ausdrückte. Er wolle das Projekt „nicht durchpeitschen“. Eine Mehrheit von einer Stimme „reicht mir einfach nicht für so eine richtungsweisende Entscheidung für unsere Stadt“.

Die Verwaltungsspitze möchte einen Beschluss auf eine breitere demokratische Basis stellen. Die Fristen für einen Bürgerentscheid seien jedoch verstrichen. Und weder die Initiative „Pro Mühlbachenbene“, noch einzelne Bürger oder der Gemeinderat selbst hatten bisher einen solchen angestrebt. „Aber das war ja von der Verwaltung auch gar nicht gewollt“, wandte Ernst Schmid, betroffener Landwirt, ein. „Wir müssen jetzt halt nach anderen Wegen suchen, und da ist das Bürgerforum eine Möglichkeit“, so Keucher. Sollte dabei herauskommen, dass das regionale Gewerbegebiet nicht gewünscht ist, so sehe man das als Selbstverpflichtung für den Gemeinderat. „Und dann kann ich damit auch leben“, betonte der Bürgermeister. „Ich bin dann nachher mit niemandem griesgrämig, auch nicht am Ratstisch.“ Er hoffe, dass man bis zu den Sommerferien zu einer finalen Entscheidung komme. In welche Richtung auch immer.

Bergfeldens Ortsvorsteher Herbert Kehl hatte vorab in einer persönlichen Stellungnahme sichtlich bewegt vorgetragen, weshalb er gegen das Projekt ist. „Die Umsetzung des rechtsgültig festgestellten Baurechts ist mit einem möglicherweise langen Klageweg verbunden“, nannte er unter anderem als Begründung. Ebenso die Umlegung von Grundstücken, deren Besitzer diese bisher nicht verkaufen oder tauschen wollen. Er rechne nach den bisherigen Erfahrungen mit einem weiteren langwierigen und schleppenden Prozess. Ein Bürgerforum ist für Kehl keine gute Grundlage für eine Entscheidung. Vielmehr sei eine frühzeitige Bürgerbeteiligung bei solchen Projekten grundsätzlich eine gute Wahl. Denn alle Bürger würden nur mit einem Bürgerentscheid erreicht, und dieser sei nun nicht mehr möglich. „Sollte sich der Gemeinderat am Ende gegen die Umsetzung des regionalen Gewerbegebiets entscheiden, erwarte ich im Übrigen von den Landwirten, dass sie nicht nur über die besten Böden im Landkreis reden, sondern diese und ihre anderen Flächen auch nachhaltiger, schöpfungsgerechter und klimafreundlich nutzen und mehr daraus machen, als zum Beispiel Mais für eine Biogasanlage anzubauen“, adressierte Kehl an die örtlichen Bauern.

Für Ortschaftsrat Giancarlo Varutti und seine Gremiumkollegin Alexandra Rau sind „zehn Prozent der Bevölkerung“, die bei einem Bürgerforum befragt würden, zu wenig. Deshalb halten sie das Format für ungeeignet. Ein Argument, das der Bürgermeister nicht nachvollziehen konnte. „Von 23 auf 1500“, das sei doch was, sagte er und meinte damit, dass ansonsten 23 Stadträtinnen und Stadträte alleine die Entscheidung träfen. Weshalb man solch eine demokratische Möglichkeit ablehne, könne er nicht verstehen.

Axel Grathwol ist Befürworter des regionalen Gewerbegebiets

Unter all den Gegnern des regionalen Gewerbegebiets fand sich am Bergfelder Ratstisch allerdings auch ein Befürworter. Axel Grathwol sprach sich für das Projekt aus. Er sieht darin eine mögliche finanzielle Entlastung des städtischen Haushalts und somit kommunale Entscheidungsfreiheit. Sulz bekomme fast die komplette Erschließung von der Region bezahlt, könne jedoch alleine entscheiden, welcher Investor eine Zusage erhalte. Die planerische Vorarbeit sei bereits geleistet, die Optionskaufverträge seien ausverhandelt. Es gebe sehr wohl einen hohen Bedarf an solchen Flächen in dieser Größe und „so perfekter Lage“.

Grathwol sieht im regionalen Gewerbegebiet Chancen für den Arbeitsmarkt und fürs Handwerk vor Ort. Ein größeres Arbeitsangebot mache die Stadt Sulz attraktiver. Und schließlich sollten Einzelinteressen von 15 Prozent der Grundstückseigentümer, die nicht bereit seien, zu verkaufen, keine Zukunftsperspektiven verbauen. „Wir sollten dem regionalen Gewerbegebiet eine Chance geben“, lautet sein Fazit.

Am Montag, 28. April, wird das Thema ab 18 Uhr in öffentlicher Sitzung des Gemeinderatsrats in der Stadthalle im Backsteinbau diskutiert.

Holzhauser Räte machen mobil

Die Holzhauser Ortschaftsräte, die vor 14 Tagen zu einer Informationsveranstaltung eingeladen hatten, äußern sich ebenfalls zur anstehenden Gemeinderatssitzung.

Sie schreiben: „Das Thema regionales Gewerbegebiet steht zwar auf der Tagesordnung, allerdings nicht zur finalen Abstimmung des Umsetzungsbeginns, sondern mit der Beauftragung der Verwaltung, eine Bürgerbeteiligung mit Bürgerforum vor Beauftragung der Stufe 2 des Treuhandvertrags zum regionalen Gewerbegebiet durchzuführen. Das Ergebnis unserer Infoveranstaltung am 9. April war eindeutig, es gab keine gehörten Stimmen, die für das regionale Gewerbegebiet sprachen. Daher sehen wir ein Bürgerforum zum aktuellen Zeitpunkt nicht zielführend.“

Mit einem Flyer laden Ruth Lebold, Hannah Mittner, Tanja Plocher, Sigrid Rosenzweig, Manfred Ahrens, Manfred Mangold, Dirk Plocher und Timo Willi die Bevölkerung ein, an dieser öffentlichen Gemeinderatssitzung Präsenz und Interesse zu zeigen und die Möglichkeit der Mitsprache und Meinungsmitteilung zu nutzen.

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