Die Bagger rollen trotzdem an
Stambulant Was wird aus dem Meßstetter Ärztehaus? Eine Frage, die sich viele Bürger stellen angesichts der vorläufigen „Stambulant“-Absage der Bundesregierung.
Stirbt das Sozial- und Gesundheitszentrum? Es ist eine Befürchtung, die seit geraumer Zeit in Meßstetten die Runde macht, wie Bürgermeister Frank Schroft bei einem Pressegespräch am Mittwochnachmittag erklärt. Unbegründet sind diese Sorgen und Ängste nicht. Bereits seit 2017 steht die Verwaltung mit der Benevit-Gruppe, die in der Hossinger Straße eine Einrichtung mit ihrem „stambulanten“ Pflegekonzept betreiben will, in Kontakt. 2019 kündigte Benevit-Chef Kaspar Pfister an: „2022 soll es fertig sein“. Nun machen die Regierungspläne den Verantwortlichen wieder einen Strich durch die Rechnung. Eine rechtliche Verankerung des neuen Pflegekonzepts ist nicht in Sicht (wir berichteten). Doch das soll nicht zum Sargnagel für das Projekt werden.
Die Verärgerung über die Gesundheitspolitik ist groß. Fassungslosigkeit macht sich breit, Frank Schroft, Kaspar Pfister und Claudia Kanz, bei Benevit für die Leitung der Bauprojekte zuständig, kommen aus dem Kopfschütteln kaum raus. Noch im März hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigt, die „stambulante“ Versorgung möglich zu machen. Der Entwurf des neuen Pflegekompetenzgesetzes (PKG) brachte dann die große Enttäuschung. Die „Details“ zur neuen Betreuungsform müssten noch von den Spitzenverbänden definiert werden.
Rätselraten bei der AOK
Pfister zweifelt, dass diese eine Einigung erzielen, die in der Praxis umsetzbar ist. Denn die ersten Verbandsabhörungen sorgen bereits für Verwunderung. So wird etwa die Bürokratisierung als Gegenargument angeführt. „Es ist nicht bürokratischer, als das, was wir jetzt schon haben“, sagt Pfister. Befürchtete Rechtsstreitigkeiten seien ein weiteres „Totschlagargument“. Keiner der Kritiker habe mit ihm gesprochen oder die Einrichtung in Wyhl, wo das Konzept erprobt wird, besucht, sagt er. Ebenenfalls verwunderlich: Die AOK BW ist für „Stambulant“, die AOK Bund dagegen.
Um welche „Details“ es sich konkret handelt? Schulterzucken bei Kaspar Pfister – was genau geklärt werden müsse, werde nicht genannt. Dabei seien diese „Details“ über Jahre hinweg in akribischer Arbeit ausgetüftelt worden. Der Benevit-Chef gibt einen kurzen Rückblick: Die Entwicklung von „Stambulant“ begann bereits im Jahr 2014. Seit 2016 wird das Konzept „Haus Rheinaue“ in Wyhl am Kaiserstuhl erprobt. Es handelt sich um eine Mischform der stationären und ambulanten Versorgung. Die Pflegebedürftigen leben dabei in Hausgemeinschaften und bringen sich je nach ihren Möglichkeiten bei der Arbeit mit ein. Und auch Angehörige dürfen mit anpacken. Die Einrichtung aus Wyhl wird daher in den Medien als „Mitmach-Heim“ bezeichnet.
Das unabhängige Forschungsinstitut IGES, das sich mit Gesundheitsfragen beschäftigt, kommt zu einem klaren Ergebnis. Laut IGES-Bericht wirkt sich „Stambulant“ positiv auf die Gesundheit der Pflegebedürftigen aus und senkt zugleich die Kosten für die Pflege. Pfister nennt einige Zahlen: 30 Prozent der Bewohner konnten im Pflegegrad zurückgestuft werden. Der Eigenanteil sinkt um bis 1000 Euro pro Monat und die Kassen können jährlich pro Bewohner bis zu 14.000 Euro sparen. Jährlich würde die Pflegeversicherung bis zu 220 Millionen Euro weniger ausgeben.
Rathauschefs verärgert
Aufgrund dieser positiven Erfahrungen hat das Konzept zahlreiche Befürworter in der Politik. Zu den bekanntesten zählt Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne). Und auch auf kommunaler Ebene wird eine Reform gefordert, die „Stambulant“ ermöglichen soll. Rathauschefs von 24 Städten und Gemeinden aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und dem Saarland machen in einem jüngsten Schreiben an das Bundesgesundheitsministerium ihrem Ärger Luft: „Es ist schlichtweg nicht hinnehmbar, dass wir nach all den umfassenden Evaluationen und der Aussicht auf die Regelleistung weiter in der Schwebe hängen.“ Neben Frank Schroft wurde das Schreiben auch von Davide Licht (Burladingen) und Roland Tralmer (Albstadt) unterzeichnet.
Wann wird gebaut?
Die Hoffnung auf „Stambulant“ ist noch nicht ganz erloschen. Vielleicht werde am PKG-Entwurf bis zur Verabschiedung nach geschraubt. Theoretisch sei es auch möglich, auf Landesebene „Stambulant“ als Regelleistung zu verankern. Doch ungeachtet dieser politischen Hängepartie wird das Projekt in Meßstetten nun angegangen. „Wir, die Stadt und vor allem die Menschen, die die Pflege brauchen, können nicht länger warten“, sagt Kaspar Pfister.
Im Sommer kommenden Jahres soll der Bau losgehen. Pfister rechnet mit einer Fertigstellung Ende 2026. Neben den 56 Benevit-Wohnplätzen werden im Komplex auch städtische Sozialstation, Tagespflege und Kindergarten sowie eine Apotheke und vier Arztpraxen Platz finden. Für die Apotheke und drei Arztpraxen gebe es schon jeweils mündliche Vereinbarungen, lässt Pfister wissen. Die Benevit-Einrichtung wird so gebaut, dass später noch auf „Stambulant“ gewechselt werden kann. Sofern das Gesetz es irgendwann erlaubt.